Deutscher Pfarrer in Lima: Synodale Prozesse und Mitgliedsbeiträge
Nicht einmal fünf Monate vergingen zwischen der Ankunft von Pfarrer Peter Seibt in Lima und dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Im Interview spricht er über das soziale Engagement der Gemeinde für Bedürftige in der Pandemie und erzählt auch, wie es für ihn ist, in Peru auf einen Bischof aus seiner Heimatdiözese zu treffen.
Frage: Herr Pfarrer Seibt, wie hat die Corona-Pandemie die Arbeit in Ihrer Gemeinde verändert?
Seibt: Ich bin im Oktober 2019 hier angekommen und nicht einmal fünf Monate später ging die Corona-Krise dann voll los. Ich habe also noch keinen vollen Jahresablauf mitgemacht und hatte mich noch nicht richtig in der Gemeinde eingefunden, als die Pandemie kam. Am Anfang war das natürlich herausfordernd, weil es Quarantäne und Ausgangsverbote gab und auch die Kirchen geschlossen waren. Bis in den vergangenen November hinein haben wir die Messen ausschließlich als Videokonferenz gehalten. Die Krise hat auch dazu geführt, dass immer mehr Menschen in Lima ihren Job verloren haben und in existenzielle Nöte gekommen sind. Die Hilfsaktionen und Zahlungen der Regierung kamen bei den meisten Menschen aber gar nicht an. Wir versuchen – vor allem mit Spenden aus Deutschland – Lebensmittelpakete zu verteilen, um die Not zu lindern.
Frage: Was bei vielen südamerikanischen deutschsprachigen Auslandsgemeinden auffällt, ist, dass die Gemeinden oft eine ziemlich lange Geschichte haben. Warum ist das so?
Seibt: Es gab eine relativ große Auswanderungsbewegung nach Südamerika Ende des Zweiten Weltkriegs. Die meisten aktiven Gemeindemitglieder gehören zu diesen Einwanderungswellen, die zwischen 1950 und 1970 gekommen sind. Danach kamen zumindest nach Peru kaum noch Einwanderer, weil sich die Situation in den deutschsprachigen Ländern verbessert hat und wir hier in den 1970er Jahren eine kommunistische Diktatur hatten. Entstanden ist die deutsche Auslandsgemeinde hier 1951 durch Herz-Jesu-Missionare, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg nach Lima kamen und zunächst keine eigene Pfarrkirche hatten und Seelsorge für die Deutschen gemacht haben.
Frage: Im Gegensatz zu anderen deutschsprachigen Auslandsgemeinden besteht Ihre Gemeinde also vor allem aus deutschen Auswanderern, die schon länger in Peru leben?
Seibt: Ich habe in meiner Gemeinde eigentlich zwei Teile: Eine peruanische Gemeinde und eine deutsche Gemeinde. Einmal in der Woche habe ich einen deutschen Gottesdienst, sonst sind die Gottesdienste alle auf Spanisch und da kommt auch eigentlich nur eine spanischsprachige Gemeinde. Das sind zum großen Teil Leute, die um die Pfarrei wohnen oder zur Gemeinde gefunden haben, weil sie den Stil mögen. Die peruanische Kirche hat einen oft sehr konservativen Stil, der für uns deutsche manchmal gewöhnungsbedürftig ist. Generell nimmt die Kirchenbindung ab und viele leben ihren Glauben auch nicht in den Gemeindestrukturen. Das merke ich zum Beispiel in der Begegnung mit den Armen: Die sind schon gläubig, aber oft sind die Kinder nicht getauft, weil die Familien kein Geld dafür aber auch keine Beziehung zu ihrer Pfarrei haben.
Frage: Auf der Website Ihrer Gemeinde ist die Rede von Mitgliedsbeiträgen, die die Kirchenmitglieder bei Ihnen zahlen. Ist das üblich in Peru?
Seibt: Die Mitgliedsbeiträge erheben wir als Auslandsgemeinde, das ist ähnlich wie in der Schweiz. Andere Kirchengemeinden Perus finanzieren sich eher über Messstipendien, Gebühren für Hochzeiten und Taufen und die Kollekte. Im Vergleich zu Deutschland, wo es die Kirchensteuer gibt, sind das schon relativ hohe Gebühren. Die Mitgliedsbeiträge erbitten wir allerdings nur und haben noch nie einen Mahnbrief geschrieben, weil jemand nicht gezahlt hat. Ein Teil der laufenden Kosten wird auch bei uns über Messstipendien finanziert. Es war für mich auch neu, das war ich anders gewohnt.
Frage: In Ihrem Bistum hat Erzbischof Carlos Castillo Mattasoglio Anfang 2020 einen synodalen Prozess gestartet. Was hat es damit auf sich?
Seibt: Erzbischof Castillo hat die Initiative "Wir sind alle Jünger und Missionare auf dem Weg" gegründet. Ich konnte an einer Diözesansynode Anfang 2020 teilnehmen. Der Prozess geht jetzt weiter. Für viele Gläubige hier ist es sehr überraschend, dass sie gefragt werden.
Frage: Ist dieser synodale Prozess vergleichbar mit dem Synodalen Weg in Deutschland? Werden ähnliche Themen besprochen?
Seibt: Der synodale Prozess hier ist noch viel zahmer, weil die engagierten Katholiken sehr viel konservativer sind. Ich habe bei der Diözesanversammlung mit einer Frau über das Thema Ministrantinnen diskutiert. Sie war der Meinung, es sei völlig verständlich, dass der ehemalige Erzbischof von Lima, Kardinal Luis Cipriani Thorne, Mädchen am Altar verboten habe. Der Ministrantendienst sei schließlich eine Rekrutierung für zukünftige Priester. Sie hat das nicht als Abwertung der Frau wahrgenommen. Auf der anderen Seite habe ich in einem Gespräch ein vielleicht 14-jähriges Mädchen erlebt, das mir gesagt hat, wie abgewertet sie sich als Frau fühlt. Als ich gesagt habe "Weißt du, dass Gott dich genauso liebt, wie einen Mann? Dass du genauso wertvoll für ihn bist?" Daraufhin hat sie geweint und dreimal gefragt, ob das stimmt. Da sieht man, wie oft die Menschen noch in alten Strukturen denken. Deshalb ist es vielleicht auch richtig, jetzt mit einem synodalen Prozess anzufangen. In Deutschland habe ich manchmal das Gefühl, dass der Synodale Weg schon zu spät ist – und wahrscheinlich im Hinblick auf die Weltkirche doch vieles wieder blockiert werden wird.
Frage: Von der vatikanischen Kleruskongregation blockiert wurde unter anderem auch die Leitung von Pfarrgemeinden durch Laien. Ihr Erzbischof will sich trotzdem dafür einsetzen. Wie sehen Sie das?
Seibt: Das ist natürlich hier auch sehr umstritten. Viele meinen nun, dass ihnen der Pfarrer genommen wird und durch Laien ersetzt wird. Ich selber stehe diesem Vorschlag sehr offen gegenüber, zumal ich in Deutschland erlebt habe, wie ich als Pfarrer für immer mehr Pfarreien zuständig war und das Gefühl hatte, immer weniger dem Auftrag Jesu gerecht zu werden, als guter Hirte für die Gemeinden dazu sein. Ich sehe ein ähnliches Problem hier. Die Pfarreien sind sehr groß, 20.000 bis 30.000 Gemeindemitglieder sind keine Seltenheit. Dazu ein Erlebnis: Als ich in Manchay, einer der Slum-Vorstädte Limas war, um Menschen einer kleinen Volksküche Lebensmittel zu bringen, kamen wir auf das Thema Kirche. Es ging um die Taufe der Kinder. Die meisten sind nicht getauft. Ich fragte dann nach der Kirche, die man von dieser Volksküche gut im Blick hat. Da meinten die Frauen etwas resigniert, dahin komme einmal am Sonntag ein Pfarrer und mehr Gemeindeleben gebe es halt nicht. Wenn Erzbischof Carlos eine missionarische Kirche bilden will, dann muss diese Kirche auch gemeinschaftliche Formen über eine Sonntagsmesse hinaus anbieten. Dazu gibt es aber auch in Lima zu wenig Priester, die zudem noch in den Innenstadtgemeinden zentriert sind. Deswegen ist meiner Einschätzung nach sein Vorschlag auch für Lima richtig.
Frage: In Peru wirkt mit Reinhold Nann auch ein deutscher Bischof, der wie Sie aus der Erzdiözese Freiburg stammt. Haben Sie häufig Kontakt zu ihm?
Seibt: Er ist Bischof in der Territorialprälatur Caravelí im Süden Perus. Die ist rund 800 Kilometer von Lima entfernt. Trotzdem ist Bischof Reinhold immer wieder da und das ist sehr gut für mich, weil ich mit ihm viel besprechen und er mir vieles erklären kann. Er ist ein bischöflicher Freund und Begleiter der Gemeinde hier, auch wenn er formell nicht zuständig ist.
Frage: Wie sind Sie denn persönlich dazu gekommen, dass Sie als Pfarrer nach Lima gegangen sind?
Seibt: Ich war 13 Jahre lang Pfarrer in Tiengen-Lauchringen in der Nähe zur schweizerischen Grenze, wo es eine Peru-Partnerschaft gab. So bin ich 2000 das erste und 2006 das zweite Mal nach Peru gekommen. Als dann die Gemeinden in Deutschland immer größer wurden, habe ich gemerkt, dass ich an den Rand dessen komme, was leistbar ist. Ich habe damals den Freiburger Erzbischof Stephan Burger um ein Jahr Auszeit in Peru gebeten. Sein Kommentar dazu war: "Ja, aber komm wieder." Von 2016 bis 2017 habe ich in der Pfarrei St. Martin de Porres als Vikar mitgearbeitet. Da hat sich dann eine noch stärkere Bindung und Liebe zu Peru entwickelt. Als dann der Erzbischof dann 2019 die deutschsprachige Gemeinde hier in Lima ausgeschrieben hat, habe ich mich direkt beworben. Das war für mich die Möglichkeit, in diesem Land weiterzuwirken.