Theologe: Es braucht wieder Mut zu mehr Präsenzgottesdiensten
In der Corona-Pandemie wurden viele kirchliche Angebote digital organisiert, auch Gottesdienste. Das Deutsche Liturgische Institut (DLI) in Trier widmet nun eine Sommerakademie dem Thema Liturgie nach Corona. Der Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung des DLI, Marco Benini, spricht im Interview darüber, warum ein Gottesdienst am Laptop auf der Couch kaum mit einem Präsenzgottesdienst in einer Kirche vergleichbar ist, warum die Kirche eine Willkommenskultur braucht und was Online-Angebote Präsenz-Gottesdiensten voraus haben.
Frage: Professor Benini, Sie wünschen sich Mut zu mehr Präsenzgottesdiensten. Warum?
Benini: Online-Gottesdiensten sind gut für jene, die nicht in die Kirche kommen können. Sie sind aber kein Ersatz für Präsenzgottesdienste, denn es fehlt einfach sehr viel. Ich denke vor allem an den Gemeinschaftsaspekt und die menschliche Ebene, die Wirkung des Kirchenraums, mit allem, was an sinnlichem Erleben dazu gehört, und besonders den Empfang der Sakramente. Die Feier in Gemeinschaft wirkt ganz anders, als wenn jeder für sich vor dem Laptop oder Fernseher sitzt. In der Kirche wirkt das Gebäude auf uns. Die Gerüche, das gemeinsame Singen, die Gebärden – all das lässt sich medial nur bedingt abbilden. Und seien wir mal ehrlich, niemand kniet sich zu Hause vor den Laptop oder Fernseher hin.
Frage: Warum ist das denn wichtig?
Benini: Wir drücken viele Empfindungen und auch den Glauben körperlich aus. Wenn wir uns im Gottesdienst beispielsweise hinknien, dann ist das ein Zeichen des Respekts und wir bereiten uns vor, Jesus in der Eucharistie zu begegnen. Körperliches und Geistliches gehören zusammen. Diese Dimension ist bei Online-Angeboten stark reduziert. In der Sommerakademie soll es nun auch darum gehen, wie wir die Leute wieder zurückgewinnen können. Denn die bundesweiten Zahlen und Gespräche mit Pfarrern haben gezeigt, dass nach dem Lockdown ungefähr ein Drittel der Gottesdienstteilnehmer nicht wiedergekommen ist.
Frage: Wie wollen Sie die Menschen erreichen, die jetzt ein neues Sonntagsritual haben und sagen, mit einer Kerze zu Hause vor dem Laptop ist es eigentlich auch ganz besinnlich?
Benini: Das ist vor allem eine Aufgabe für die Pfarreien und Akteure vor Ort. Wir müssen überlegen, wie wir kommunizieren und die Mittel, die wir haben, sinnvoll nutzen, etwa den Pfarrbrief, die Homepage, vielleicht WhatsApp. Da ist viel Luft nach oben. Und dann müssen wir wohl auch mehr wagen. Warum nicht die Mailadressen von Firmlingen und Kommunionkindern nutzen, um über diesen Anlass hinaus zum Gottesdienst einzuladen – wenn das mit dem Datenschutz passt. Schauen Sie sich kommerzielle Anbieter an, die schicken einem immer mal wieder eine E-Mail. Da können wir professioneller werden. Auch in den liturgischen Diensten gibt es Menschen, die sich den Gottesdienst sozusagen abgewöhnt oder pausiert haben. Wer fehlt uns? Die könnten wir gezielt persönlich einladen.
Frage: Gottesdienste hatten auch vor Corona oft ein eher verstaubes Image. Die Zahlen der Gottesdienstbesucher sinken seit Jahren. Ein Zurück in die Zeit vor Corona kann nicht das Ziel sein, oder?
Benini: Da sind wir bei der Frage: Was ist ein guter Gottesdienst? Ein Gottesdienst wird gut, wenn ich als Teilnehmer tatsächlich mit Gott in Berührung komme und für den Alltag gestärkt werde. Dazu spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, etwa wie sind die rituellen Elemente gemacht, gibt es so etwas wie eine Willkommenskultur. Da könnten wir als Kirche stärker punkten und zum Beispiel einen Willkommensdienst etablieren. In den USA ist das üblich, dort gibt es jemanden, der Besucher an der Kirchentür begrüßt, ein wenig Small Talk hält, das Messprogramm oder das Gotteslob austeilt. Eine solche Begrüßung ist kein Selbstzweck, denn jemand, der sich willkommen fühlt, wird auch an dem Ritual ganz anders teilnehmen. Und wie gut Menschen an der Liturgie teilnehmen können, entscheidet, wie gut sie den Gottesdienst finden.
Frage: Wie könnte das noch besser gelingen?
Benini: Wir müssen Zeichen und Rituale viel mehr erklären. Im Gottesdienst tun wir oft Dinge, ohne zu wissen, warum. Warum etwa stehen wir zum Evangelium auf oder warum nutzen wir Leuchter und Weihrauch? In der Antike wurde ein Kaiser mit Fackel und Weihrauch empfangen. Das haben wir in die Liturgie übernommen, um zu zeigen, jetzt kommt Christus und spricht zu uns. Wenn man die Rituale versteht, kann man viel besser teilnehmen und bewusst feiern, wie es das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) mit der tätigen Teilnahme meint.
Frage: Was haben die Online-Formate besonders gut gelöst? Welche Impulse lassen sich davon mitnehmen?
Benini: Professionelle Online- oder Fernsehgottesdienste legen hohen Wert auf die Predigt, die Musik, die Inszenierung. Natürlich sind wir nun auch ein Stück weit verwöhnt und die Ansprüche an Gottesdienste gestiegen. Alles Wichtige ist sichtbar und perfekt ausgeleuchtet. Wenn der Priester den Kelch hochhält, sieht man das groß im Bild. Jemand, der in der Kirche sitzt, bekommt viele Handlungen nur von weitem oder kaum mit. Da müssen wir auf die Umsetzung der Zeichen Wert legen, damit sie ihre Botschaft entfalten können. Sicher kann nicht jede Pfarrei alles wie im Fernsehgottesdienst umsetzen, aber man kann Liturgie gut vorbereiten, sie liebevoll und authentisch feiern.
Frage: Sie beschäftigen sich auch mit Irrwegen von Online-Gottesdiensten im Zuge von Corona. Was sollte künftig besser laufen?
Benini: Gerade zu Beginn der Corona-Zeit wurden online teilweise Gottesdienste übertragen, in denen nur der Priester zu sehen war. Da ist – liturgiewissenschaftlich gesprochen – die tätige Teilnahme des ganzen Kirchenvolkes nicht gegeben. Das war zum Teil natürlich eine Notlösung. Priester mussten sich kurzfristig etwas überlegen und haben dann einfach einen Laptop aufgestellt, weil das besser war als nichts. Aber auch da hätte man mit kleinen Änderungen vieles besser machen können, beispielsweise einige wenige Teilnehmer einladen, die die Gemeinde repräsentieren. Das war oft nicht durchdacht und liturgietheologisch nicht reflektiert.