Benedikt XVI. kam als vorerst letzter Pontifex in die Bundesrepublik

Vor zehn Jahren: Missverständnisse beim Papstbesuch in Deutschland

Veröffentlicht am 22.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Die dritte Deutschlandreise des deutschen Papstes Benedikt XVI. im September 2011 war seine schwierigste. Anders als in Köln 2005 und in Bayern 2006 gaben ihm weder jubelnde Jugendlichen noch die weißblaue Heimatkulisse Rückenwind.

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Als Benedikt XVI. am 22. September 2011 zum dritten Mal nach Deutschland kam, ahnten weder er noch seine Gastgeber, dass dies für lange Zeit und bis heute die letzte Reise eines Papstes nach Deutschland werden sollte. Im Jahr danach reifte in dem glücklos agierenden Pontifex der Entschluss heran, das Papstamt niederzulegen. Ob die letzte Deutschlandreise mit ihrer sehr durchwachsenen Bilanz diesen Entschluss mit befördert hat, wird wohl einmal Gegenstand der Spekulation für Kirchenhistoriker werden. Fest steht, dass es ihm damals nicht gelang, eine nach der Williamson-Affäre (2009) und der ersten Welle des Missbrauchsskandals (2010) bereits angeschlagene katholische Kirche in Deutschland zu einen und zu stärken.

Schon der Auftakt der viertägigen Reise in Berlin war geprägt von Polemiken und Missverständnissen. Sinnbildlich war der Moment, als der 84-Jährige zu seiner Rede im Deutschen Bundestag zunächst am Rednerpult, das er als solches nicht erkannte, vorbeilief und vom Parlamentspräsidenten persönlich dorthin geleitet werden musste. Das Bild vermittelte den Eindruck: Der Papst bewegte sich unsicher in einem Raum, dessen Gegebenheiten er nicht kannte und dessen Bewohnern er dennoch wichtige Ideen für ihr Leben und ihr Handeln mitteilen wollte.

Missverständnisse gab es auch bei den Zuhörern: Die meisten Abgeordneten aus der Faktion der Linken und etliche aus der Fraktion der Grünen blieben demonstrativ der Rede fern, weil sie die Trennung von Staat und Kirche dadurch bedroht sahen. Und dann mussten ausgerechnet die Grünen erleben, dass der Papst ihre Rolle würdigte, weil sie die unverhandelbaren ökologischen Grenzen ins politische Bewusstsein gerückt hatten. Das überraschende päpstliche Lob für eine eher kirchenferne Partei, deren Mitglieder zeitgleich im Zentrum Berlins gegen den Papstbesuch demonstrierten, wurde damals vielfach positiv kommentiert, und es schien, dass der Papst trotz seiner anfänglichen Orientierungslosigkeit im Parlament doch gepunktet hatte. Der eigentliche Inhalt seiner Rede, in der er für eine Weiterentwicklung des naturrechtlichen Denkens in der Gesetzgebung warb, wurde indes kaum aufgegriffen. Für die meisten Zuhörer und Medienbeobachter war der rechtsphilosophische Gedankengang schlichtweg zu anspruchsvoll.

Heimspiel im Berliner Olympiastadion

Ein Heimspiel wurde im Vergleich dazu der Abend-Gottesdienst im Berliner Olympiastadion. Mehr als 60.000 Menschen nahmen teil, viele davon aus dem Westen und Süden Deutschlands, aber auch Zehntausende aus der Berliner und ostdeutschen katholischen Diaspora. Es war die große Stunde des damaligen Berliner Erzbischofs Rainer Maria Woelki, der streckenweise noch mehr als der Papst mit seinen ermutigenden Worten die Gläubigen zu Begeisterungsstürmen hinriss. Ein ähnliches Heimspiel sollte Benedikt am kommenden Abend bei einem Gottesdienst im katholisch geprägten Eichsfeld in Thüringen haben, wo fast 100.000 Menschen mit ihm beteten und ihm zujubelten.

Doch ebenfalls in Thüringen, im Erfurter Augustinerkloster, in dem einst Martin Luther als katholischer Mönch seinen theologischen Weg begann, kam es am zweiten Tag der Reise dann wieder zu Missverständnissen und Kritik. Ein akribisch vorbereitetes Treffen mit Spitzenvertretern des deutschen Protestantismus war in einigen Medien zu einem Ereignis mit historischem Potenzial für die Überwindung der katholisch-evangelischen Kirchenspaltung hochgeschrieben worden. Es schien nicht ausgeschlossen, dass der deutsche Papst im Kloster Luthers etwas verkünden würde, was die Wiedergewinnung der durch Reformation und Glaubenskriege zerstörten Kirchengemeinschaft möglich machte.

Tatsächlich hatte der Papst eine grundlegende, positive Neubewertung der Lutherschen Theologie im Gepäck, die – wenn die kirchenpolitischen Erwartungen nicht im Vorfeld so hoch gewesen wären – wohl eine Sensation hätte werden können. So aber sah sich Benedikt XVI. genötigt, erst einmal die falschen Erwartungen aus dem Weg zu räumen.

Benedikt XVI. bei einer Veranstaltung im Vatikan.
Bild: ©picture alliance/AP Photo/Gregorio Borgia (Archivbild)

Vom letzten Deutschlandbesuch Benedikts als Papst hängengeblieben sind vor allem Missverständnisse und Polemik.

Er tat dies mit dem fatalen Satz, dass er, anders als von manchen erwartet, kein "ökumenisches Gastgeschenk" mitbringe. Es sei ein "politisches Missverständnis des Glaubens", wenn man meine, Unterschiede zwischen den Konfessionen könnten Theologen ähnlich wie Diplomaten in der Politik durch Verhandeln und durch Kompromissformeln überwinden. Mit dieser Absage an eine von manchen erhoffte Annäherung zwischen der katholischen und den protestantischen Kirchen löste der Papst eine tiefe Enttäuschung aus. "Weniger als wenig" betitelt die FAZ am Tag danach ihre Bewertung der Ereignisse von Erfurt.

Ähnlich schrill waren die Misstöne, die zwei Tage danach die bislang letzte große Papstrede auf deutschem Boden auslöste. Im Konzerthaus in Freiburg sprach Benedikt XVI. zu prominenten Katholiken aus Kirche, Politik und Gesellschaft. Ausgerechnet dort, wo der Deutsche Caritasverband seinen Sitz hat, der mit seinen Untergliederungen den größten katholischen Sozialkonzern Deutschlands bildet, warb der Papst für eine radikale "Entweltlichung" der Kirche. Nicht Geldmittel, Personalstärke und Strukturen seien entscheidend, sondern der Glaube, so der Kern seiner Botschaft.

Die Kirche dürfe sich nicht in dieser Welt einrichten und sich nicht den Maßstäben der Welt angleichen. Denn dann gäbe sie der "Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin". Und weiter: Eine "von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben."

Benedikt räumt unglückliche Wortwahl spät ein

Die Rede löste in der katholischen Kirche in Deutschland eine lang anhaltende hitzige Debatte aus. Vor allem Vertreter katholischer Verbände und der Caritas kritisierten den Aufruf zur "Entweltlichung" als Signal in die falsche Richtung. Auch wurde der Aufruf, sich von Privilegien zu trennen, als eine Absage an das Kirchensteuer-System verstanden, dessen Milliarden-Erträge der katholischen Kirche in Deutschland eine Vielzahl an sozialen, karitativen und kulturellen Aktivitäten ermöglicht. Wollte der Papst das wirklich abgeschafft sehen?

Die innerkirchliche Kritik trug mit dazu bei, dass die vom Papst herbeigesehnte positive Energie, die der Kirche aus einer Entweltlichung zuwachsen sollte, kaum wahrgenommen wurde. Das Schlagwort wurde missverstanden als Aufruf zu einer Abwendung von den weltlichen Dingen hin zu Gott und damit letztlich als ein Signal zum Rückzug aus der Gesellschaft.

Erst vor wenigen Wochen hat der inzwischen schon lange emeritierte Papst eingeräumt, dass seine Wortwahl beim Begriff "Entweltlichung" vor zehn Jahren nicht wirklich glücklich war, weil er damit zu sehr das Negative betont habe. Wörtlich schrieb er: "Ob das Wort der Entweltlichung in Freiburg als abschließendes Stichwort von mir klug gewählt war, weiß ich nicht." So oder so ist dieses Wort wohl dasjenige, das von dieser von Polemik und Missverständnissen begleiteten Reise am längsten in Erinnerung bleiben wird.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)