Neymeyr: Unterstütze Stellungnahme jüdischer Organisationen zur AfD
Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr unterstützt nach eigenem Bekunden die Stellungnahme mehrerer jüdischer Organisationen, die dazu aufrufen, bei der anstehenden Bundestagswahl nicht die AfD zu wählen. Wenn manche Politiker die Meinung verträten, in Deutschland würde zu sehr an die Shoah gedacht, habe er "die Sorge, dass dann, wenn man die Erinnerung an die Shoah verblassen lässt und sie damit verharmlost, die Gefahr besteht, dass man sie am Ende gutheißt", sagte der Vorsitzende der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am Mittwoch gegenüber katholisch.de. Durch Ereignisse wie den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019 bestätige sich das. Neymeyr äußerte sich im Anschluss an ein Pressegespräch zum Thema "Kirche und Judentum: Gemeinsam gegen Antisemitismus" bei der DBK-Herbstvollversammlung in Fulda.
Zuvor hatte Neymeyr betont, es sei als Christ sowie als Demokrat eine Verpflichtung, sich aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen. Bei der Bundestagswahl sollten die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. "Gehen Sie wählen! Und geben Sie ihre Stimme einer Person und einer Partei, die sich glaubhaft für den Schutz jüdischer Gemeinden und die Förderung jüdischen Lebens in Deutschland einsetzen", so Neymeyr. Vor rund zwei Wochen hatten 60 jüdische Organisationen und Verbände in einem gemeinsamen Aufruf gegen Stimmen für die AfD bei der kommenden Bundestagswahl geworben. In der Partei hätten Antisemiten und Rechtsextreme eine Heimat gefunden, hieß es in dem Papier. Die AfD sei eine radikale und religionsfeindliche Partei und eine Gefahr für Deutschland. Die beiden großen Kirchen in Deutschland veröffentlichten ihrerseits einen Wahlaufruf, in dem sie eine explizite Empfehlung vermieden. Ohne Nennung einer Partei hieß es dort: "Populistischer Stimmungsmache und hetzerischer Rede muss klar und unmissverständlich entgegengetreten werden. Gegenüber extremistischem Gedankengut sind rote Linien zu ziehen."
Bei dem Pressegespräch forderten Experten mehr kirchliche Anstrengungen gegen Antisemitismus. Die Leiterin des Forums "Juden und Christen" beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), Dagmar Mensink, sagte, der Austausch zwischen Juden und Christen sei keineswegs nur eine Randaufgabe der katholischen Kirche. Vielmehr gehöre der Dialog "gleichsam zur DNA unseres Glaubens". Die Kirche müsse dabei Denkmuster überwinden, "die ein überlegenes christliches Wir gegen ein jüdisches Anderes setzen".
Lob für "Traditionis custodes"
Mensink lobte in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Motu proprio "Traditionis custodes", mit dem Papst Franziskus die Feier der sogenannten Alten Messe stark einschränkte. Franziskus habe unmissverständlich klargestellt, dass die in Übereinstimmung mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlichten Messbücher die einzige Ausdrucksform für die Gebetsordnung des Römischen Ritus seien. "Damit kann auch die 2008 von Papst Benedikt XVI. für den Außerordentlichen Ritus formulierte Karfreitagsfürbitte für die Juden, die im katholisch-jüdischen Verhältnis zu so viel Enttäuschung und Verletzung geführt hat, nicht länger beanspruchen, als Ausdruck der 'lex orandi' zu gelten."
Der Historiker Johannes Heil nahm die Kirchen und kirchlichen Gemeinden vor Ort in die Pflicht, gegen antisemitische, ausländerfeindliche, rassistische und diskriminierende Positionen Stellung zu beziehen. Solche Haltungen dürften "besonders im kirchlichen Leben keinen Platz haben, erst recht keine in der alten antijudaistischen Tradition stehenden Gewohnheiten", sagte Heil.
Der Antijudaismus sei nicht eine bedauerliche Begleiterscheinung in der Kirche, sondern der Theologie strukturell eingebettet, so Heil weiter. Umso wichtiger sei es, Schritte nach vorne zu gehen. Als Beispiel nannte er unter anderem eine beginnende kritische Auseinandersetzung mit den "Schattenzeilen" in Publikationen des seligen Adolph Kolping (1813-1866. Diese Stellen zeigten, dass er ein "schlecht erzogenes Kind seiner Zeit" gewesen sei, sagte Heil. Sie seien ein Beleg für die Anfälligkeit der Kirche, den traditionellen Antijudaismus mit der Kritik an der modernen Gesellschaft zu verbinden. "Das sollte in der Bewertung seiner Persönlichkeit auf jeden Fall eine Rolle spielen", so Heil. Das Kolpingwerk setzt sich seit mehreren Jahren intensiv für die Heiligsprechung seines Gründervaters ein. (mal)