"Abseitige Meinung eines abseitigen Kardinals" – Müller in der Kritik
Die Kritik an Kardinal Gerhard Ludwig Müller wegen seiner Äußerungen zur Corona-Pandemie verschärft sich. Der Kardinal habe "absurde, antisemitische Verschwörungsmythen verbreitet, die schädlich für unsere Gesellschaft sind und bestehende Probleme nur verstärken", sagte der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, am Mittwoch dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland". Er forderte eine "klare, unmissverständliche Distanzierung" durch die katholische Kirche. "Gerade auch der Vatikan ist hier gefordert." Auch der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, forderte, dass sich die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und der Vatikan "von solchen kruden Aussagen und Positionen klar distanzieren" müssten.
Die Äußerungen Müllers machten ihn wütend und seien die "abseitige Meinung eines abseitigen Kardinals", sagte der frühere Bundestagspräsident und Katholik Wolfgang Thierse (SPD) am Dienstag im "Deutschlandfunk". Der Fall zeige, "dass Verschwörungsmythen und irrsinnige Erklärungen eben auch bei intelligenten Menschen vorkommen". Papst Franziskus müsse dazu jedoch nicht öffentlich Stellung beziehen. "Ich kann nicht ermessen, auf welche Bemerkung – und das ist eine sehr dumme – der Papst reagieren muss", sagte Thierse. "Er müsste dann wahrscheinlich bezogen auf die katholische Kirche oder auf die Welt insgesamt jeden Tag sich zu irgendwas äußern."
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) reagierte mit Unverständnis auf die Aussagen Müllers. "Ich verstehe es nicht", sagte Söder am Dienstag vor Journalisten. In der Pandemie müsse der Schutz der Menschen in den Vordergrund gerückt werden, zugleich erlebe man aber auch "einen Rückfall in eine Abkehr von Wissenschaft mit seltsamsten Theorien". Nachdem sich – "soweit ich das gelesen habe" – auch der Papst gegen Corona habe impfen lassen, sollten auch seine Bischöfe und Kardinäle dem Beispiel folgen, so der CSU-Chef. Ludwig Spaenle, CSU-Politiker und Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung, forderte unterdessen eine Entschuldigung Müllers.
Offener Brief an Müller und Voderholzer
In einem Offenen Brief an Müller und dessen Nachfolger in Regensburg, Bischof Rudolf Voderholzer, schrieben die vier Grünen-Bundestagsabgeordneten Erhard Grundl, Stefan Schmidt, Marlene Schönberger und Tina Winklmann: "Gerade bei einem ranghohen und prominenten Diener der katholischen Kirche hätten wir es nicht für möglich gehalten, dass dermaßen krude und demokratiefeindliche Verschwörungstheorien ganz offen und ungehemmt zu Tage treten." Müller bediene sich "brandgefährlicher antisemitischer Chiffren". "Sie vergessen oder schlimmer ignorieren dabei, dass es Menschen gibt, die den Aussagen eines Kardinals eine hohe Glaubwürdigkeit schenken", hieß es.
Müller hatte in der vergangenen Woche in einem Video-Interview mit dem katholisch-konservativen "St. Bonifatius Institut" aus Österreich die Auffassung vertreten, dass die Corona-Pandemie dafür genutzt werde, um "die Menschen jetzt gleichzuschalten" und einer "totalen Kontrolle" zu unterziehen. Außerdem sprach der ehemalige Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation davon, dass hinter den Maßnahmen gegen die Pandemie eine finanzkräftige Elite stecke. "Leute, die auf dem Thron ihres Reichtums sitzen", sehen laut Müller "eine Chance jetzt, um ihre Agenda durchzusetzen". Zudem erwähnte Müller in dem Interview explizit den amerikanisch-jüdischen Investor George Soros.
Am Dienstag hatte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, gegenüber katholisch.de betont: "Kardinal Müller hat mit seiner Äußerung klar antisemitische Chiffren bedient. Das war vor allem angesichts der derzeit aufgeheizten Stimmung verantwortungslos und nicht akzeptabel." Zuvor hatte sich bereits die DBK verwundert über die Aussagen Müllers geäußert. Der Stuttgarter Religionswissenschaftler Michael Blume verwies auf seine Warnungen davor, "dass auch kirchliche Autoritäten wieder Verschwörungsmythen verbreiten werden". Die Schwelle dazu sehe er "bei Kardinal Müller jetzt erreicht", sagte Blume. (tmg)