Zu gut für die Tonne
Eine Studie der Universität Stuttgart ergab: Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte in Deutschland entsorgen jährlich knapp elf Millionen Tonnen Lebensmittel als Abfall. 61 Prozent davon entfallen auf private Haushalte. Im Schnitt wirft jeder Bundesbürger pro Jahr knapp 82 Kilo Lebensmittel weg. Dies entspricht einem Geldwert von rund 235 Euro pro Kopf und Jahr. Die Gründe liegen auf der Hand: Noch nie waren viele Lebensmittel so billig und das Angebot so riesig.
Zu viele Reste werden entsorgt
Nahrungsmittel sind zum Wegwerfprodukt verkommen. Das sorgfältig arrangierte Überangebot in Supermärkten verführt dazu, mehr zu kaufen, als verarbeitet werden kann. So wandert vieles direkt vom Kühlschrank auf den Müll, ohne dass es überhaupt ausgepackt und aufgetischt wurde. Reste werden entsorgt, weil viele nicht gelernt haben, sie für weitere Mahlzeiten zu verwerten. Wirklich verdorben ist weggeworfenes Essen so gut wie nie. Oft stören lediglich ein paar welke Salatblätter, Druckstellen beim Obst, die abgesetzte Sahne auf der Milch. Besonders kritisch gehen Kunden in Supermärkten mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) um. Da greift man gern zum Joghurt in der hintersten Reihe, weil der vermeintlich am frischesten ist.
Was viele nicht wissen: Das Mindesthaltbarkeitsdatum gibt an, bis wann der Hersteller die unveränderte Qualität seines Produkts garantiert. Verbraucht werden kann es in der Regel meist deutlich länger. Für den Kühlschrank zu Hause gilt also, erst mal hinzuschauen, zu riechen und zu schmecken, ob der abgelaufene Joghurt oder die Butter noch genießbar sind.
Preisdumping im Supermarkt
Der Lebensmittel in Deutschland so schnell im Müll landen, liegt auch an ihrem Preis und ihrer ständigen Vefügbarkeit. Es gab wohl noch nie eine so große Auswahl in deutschen Supermärktenwie heute. Aufmerksamkeit erhält das Thema in letzter Zeit aber verstärkt durch Medienberichte und sogar Filme, wie "Taste the Waste" von Valenthin Thurn, der auch das Buch "Die Essensvernichter" geschrieben hat. Gemeinsam mit seinem Mitautor Stefan Kreutzberger erklärt Thurn die Schieflage bei Lebensmitteln an vielen Beispielen, etwa an dem eines Billighühnchens, das der Discounter für gerade mal zwei Euro anbietet. Ein Biohuhn dagegen kostet rund 15 Euro.
Den Preis dafür zahlen zunächst mal die Hühnchen selbst. Erschreckende Bilder von Massentierhaltung in Käfigen sprechen Bände. Draufzahlen müssen auch diejenigen, die die Tiere schlachten, ausnehmen und verpacken. Aber auch diejenigen, die aus dem Land kommen, in dem billiges Soja für die Tiermast angebaut wird, zahlen ihren Preis, denn die Soja-Anbaufläche kann nicht mehr für die Ernährung der Einwohner genutzt werden. "Jede Menge Kompromisse für ein billiges Hühnchen", resümieren Thurn und Kreutzberger. "Wenn dieses Hühnchen dann in der Mülltonne landet, wird es zynisch – angesichts von weltweit begrenzten Ressourcen, steigender CO2-Emission und einer Milliarde Menschen, die Hunger leiden."
Lebensmittel aus dem Container "retten"
Es gibt jedoch Menschen, die versuchen, sich dem Trend der Lebensmittelverschwendung zu widersetzen. Dazu gehört der Autor Raphael Fellmer, der mit seiner Familie seit 2010 ohne Geld lebt. Fellmer, der sich vegan von weggeworfenen Lebensmitteln ernährt, die noch genießbar sind und die er aus den Abfallcontainern von Supermärkten sammelt, hat einmal einen Container entdeckt, der bis oben hin mit gefrorenen Hähnchen gefüllt war. Auch ungeöffnete Cornflakes-Packungen, Schokolade, Linsen, Obst, Gemüse, Joghurt und vieles mehr findet er dort – alles noch verwendbar und originalverpackt. "Lebensmittel retten" nennt er seine Container-Streifzüge.
Riesige Umweltschäden gehen auf das Konto der Lebensmittelschverschwendung Nach einem Bericht der Vereinten Nationen werden 28 Prozent des gesamten weltweiten Ackerlandes genutzt, um Nahrung zu produzieren, die nie gegessen wird. Dagegen steht eine Zahl von zwei Milliarden Menschen, die an Mangelernährung leiden, wie die Welthungerhilfe berichtet.
Papst prangert Missstände an
Auch für die Köchin Sarah Wiener spielt die Wertschätzung von Essen eine wesentliche Rolle, genauso wie die Einsicht, dass nicht jedes Gemüse zu jeder Jahreszeit verfügbar ist: "Zum Genuss gehört Beschränkung und nicht die ständige Verfügbarkeit auf Kosten der Qualität", sagt sie in einem Interview im Themenheft "Die einfachen und die guten Dinge" aus der Reihe "einfach leben" aus dem Herder Verlag. "Jede Region hat ihre Besonderheiten, und jede Saison bietet Eigenes. Wer im Winter gerne Erdbeeren oder argentinischen Spargel isst, hat keine Ahnung von gutem Geschmack. Wozu diese wahnsinnige Verschwendung an Ressourcen, wenn wir damit Boden und Klima zerstören?"
Papst Franziskus sagte bei seiner Generalaudienz anlässlich des "World Environment Day" im Juni 2013, Lebensmittelverschwendung massiv zu bekämpfen, sei eine Verpflichtung, die weit über rein ökonomische Aspekte hinausgehe: Die Menschen sollten sich daran erinnern, dass das Essen, das sie wegwerfen, gestohlen ist - und zwar von den Menschen, die hungern.