"Deutsche Kirche will das Evangelium leben"
Frage: Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr Nuntius in Deutschland. Welchen Eindruck haben Sie vom Zustand der katholischen Kirche in Deutschland?
Erzbischof Nikola Eterović: Ich sehe die Katholische Kirche hier im Land als sehr dynamisch und engagiert. Das ist nicht einfach, weil Deutschland sehr säkularisiert ist, besonders in großen Städten wie Berlin. Aber die Kirche hat sich auch gut organisiert und möchte das Evangelium leben. Das zeigt sich zum Beispiel an ihrer sozialen Rolle in der Gesellschaft, mit der sie ein Zeugnis von Christus ablegt. Darüber hinaus leistet die Kirche in Deutschland und auch in aller Welt konkrete Hilfe, zum Beispiel durch die Caritas und über die Hilfswerke wie Adveniat, Renovabis, Misereor, Missio, Kirche in Not, Bonifatiuswerk und andere.
Frage: Der Papst hat kürzlich den "Alten Kontinent" als "müde" kritisiert. Welche Probleme sehen Sie in Deutschland und Europa?
Eterović: Die Kirche verzeichnet in Deutschland einen Rückgang der Gottesdienstbesucher. Und einige Ereignisse in letzter Zeit haben sogar dazu geführt, dass Menschen aus der Kirche austreten , weil sie keine Kirchensteuern mehr bezahlen möchten. Das sehe ich durchaus problematisch, und es braucht einen neuen Dynamismus in der Katechese, im pastoralen Engagement, eine neue Evangelisierung. Auf der anderen Seite nehme ich aber auch eine gewisse Passivität der einzelnen Gläubigen überall in Europa wahr. Immerhin gehören über 70 Prozent der EU-Bürger einer christlichen Konfession an. Das müssen wir nutzen, um noch besser in der Gesellschaft mitzuarbeiten, um beispielsweise Einfluss auf Gesetzgebungen zu nehmen, wenn die Vorschläge nicht der christlichen Ethik entsprechen. So lässt sich die "Müdigkeit" überwinden, von der der Heilige Vater gesprochen hat.
Frage: Wie schätzen Sie die Rolle der Kirche dabei ein?
Eterović: Die katholische Kirche in Deutschland will in meinen Augen wirklich katholisch sein. Sie möchte die Menschen zur Umkehr, zum Leben nach dem Evangelium bewegen. Sie kann aber auch Einfluss nehmen auf die politischen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen des Landes. Sie erzieht in ihren Schulen im christlichen Sinne, hilft den Menschen in ihren Krankenhäusern und kümmert sich um die Alten und Schwachen. Aktuell ist die Flüchtlingspolitik ein gutes Beispiel für das soziale Engagement der katholischen Kirche. Die einzelnen Diözesen tun da sehr viel – nicht nur, indem sie Gebäude zur Verfügung stellen.
Frage: Sie unterstützen den Papst auch bei der Besetzung der Bischofsstühle. Aktuell sind drei frei: Hamburg, Limburg und Berlin. Wie ist da der Stand der Dinge?
Eterović: Wir halten uns da an die kanonischen Normen und die jeweiligen Konkordate . Die Prozesse laufen, und ich hoffe, dass im nächsten Jahr die Diözesen Hamburg und Berlin neue Bischöfe haben können. Die Situation in Limburg ist ein wenig anders. Da gibt es einen Apostolischen Administrator , der seine Arbeit gut macht.
Frage: Sie selbst arbeiten weitgehend im Hintergrund. Was genau tut ein Nuntius eigentlich?
Eterović: Die katholische Kirche ist ja kein in sich geschlossenes Konstrukt. Sie will mit den Menschen auf allen Kontinenten zusammenarbeiten. Deshalb unterhält der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen zu 182 Staaten auf der ganzen Welt – unter anderem durch mich in Deutschland. Ich habe eine pastorale und eine politische Aufgabe. Wenn es um politische Dinge geht, dann wende ich mich zunächst an das Auswärtige Amt. Aber natürlich gibt es auch Kontakt zu den verschiedenen Ministerpräsidenten, zu Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel. Zum Weltfriedenstag am 1. Januar habe ich den beiden kürzlich einen Brief mit der Botschaft "Nicht mehr Knechte, sondern Brüder" des Heiligen Vaters Franziskus geschickt. Das Thema behandelt die moderne Sklaverei und den Menschenhandel. Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es in unserer Welt 21 Millionen Sklaven in verschiedenen Formen. Alle Menschen und Institutionen müssen gegen diese menschenunwürdige Realität kämpfen.
Frage: Und ihr pastoraler Auftrag?
Eterović: Als Apostolischer Nuntius habe ich ein gutes Verhältnis zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz , Kardinal Reinhard Marx, aber auch zu allen anderen deutschen Bischöfen. Gerade bei Bischofsernennungen ist der Papst direkt involviert, weshalb wir aufeinander angewiesen sind. Ich versuche aber auch das ökumenische Verhältnis zu verbessern und den Dialog mit den nicht-christlichen Religionen im Land zu fördern. Der ist für die Staaten genauso wichtig wie für die Kirche selbst. Zum Glück sind die Beziehungen hier aber bereits verhältnismäßig gut.
„Wir haben ethische Werte, die sehr geschätzt und von den meisten Menschen verstanden werden.“
Frage: Welche Mittel haben Sie, um Interessen der Kirche in der Politik zu platzieren?
Eterović: Wir haben vor allem die ethischen Werte, die sehr geschätzt und von den meisten Menschen verstanden werden. Der Heilige Stuhl hat keine militärischen oder ökonomischen Interessen, sondern das Gemeinwohl der Völker im Blick. Es ist eine katholische Tradition, sich für den Frieden , die Gerechtigkeit und die Entwicklung in der Welt einzusetzen. Ganz gleich ob unter den Päpsten Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. oder jetzt bei Papst Franziskus im Fall von Kuba und den USA . Das Ganze hat eine moralische Dimension.
Frage: Aber schwindet der Einfluss der Kirche nicht, wenn sie die Gläubigen nicht mehr erreicht?
Eterović: Wir müssen auf jeden Fall an unserer Pastoral arbeiten. Gerade auch die jungen Leute möchten wissen, was das Christentum eigentlich auszeichnet. Papst Franziskus schafft es mit seinem Charisma aber immer wieder, die Aktualität des Evangeliums und der Botschaft Jesu zu verdeutlichen. Und ich glaube, dass auch die Menschen da draußen nur darauf warten, diese Botschaft wiederzuentdecken: Bruderliebe und Gottesliebe, Gerechtigkeit und Solidarität.
Frage: Sie teilen dem Papst auch politische Entwicklungen aus Deutschland mit. Was denken Sie beispielsweise über die aktuellen Pegida-Demonstrationen?
Eterović: Flüchtlinge sind natürlich kein rein deutsches "Problem". Man muss sich jedoch daran erinnern, dass Deutschland ein Land ist, dessen Entwicklung durch den Zuzug vieler Einwanderer nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Jetzt ist es in einer guten Position, um den armen Menschen, die nach Deutschland kommen, zu helfen. Dennoch muss die Öffentlichkeit in die Diskussionen stärker mit einbezogen werden. Auslöser des Problems ist allerdings, dass Menschen überall auf der Welt verfolgt werden. In der Mehrzahl sind es Christen. Das ist eine schwere Situation, in der wir den Dialog mit den Muslimen suchen müssen. Auch wenn es in jeder Religion eine kleine Gruppe Fundamentalisten gibt, wissen wir, dass eine Mehrheit der Muslime moderat ist. Zu den Christenverfolgungen und den Flüchtlingen haben der Heilige Vater und auch die deutschen Bischöfe schon klar Position bezogen. Dem schließe ich mich an.
Das Interview führte Björn Odendahl