"Proviant für den Marsch in die Zukunft"
Singen ist ein anderer Andachts-, ein anderer Seelenzustand, singend steigen wir in der Messe in die Welt der Gefühle und der Sinne, in herzöffnende, kopffernere Gebiete, wir singen uns gemeinsam in die Freude über Gottes Nähe, zu der im Sommer Sonnekleckse über dem Altarraum gehören, oder in den mitfühlenden Schmerz in der violetten, verhüllten Karwoche.
Und wenn es gregorianische Gesänge im Hochamt sind, lehne ich mich innerlich zurück in die Frühgeschichte der Kirche, der Mönche, zu Kerzenschein und kahlem Mauerwerk und Männern in Kutten, all das ist sozusagen einkomponiert. Dazu aber auch der Anteil der liturgischen Texte, der Gebete zum Kirchenjahr, der Einstimmungs-Texte zur Beichtvorbereitung oder der Gebete für und mit der Familie, all das macht das Gotteslob auch für das häusliche Glaubensleben unverzichtbar.
Nun gibt es das neue "Gotteslob", das in der Unterzeile "Gebets- und Gesangsbuch" heißt. Es enthält vieles vom alten Gotteslob, und das in mehrfacher Bedeutung. Denn das alte gibt es erst seit 1975, - vorher war da der Schott, der die lateinischen Gebete mit Übersetzung enthielt - es wurde zusammengetragen im nachkonziliaren Eifer, und es wirkt merkwürdig alt gerade in den Reformbemühungen um die neuen geistlichen Lieder und Andachten, die teils mit ausführlichen theologischen Erläuterungen aus dem Zweiten Vatikanum versehen waren, sehr tief und sehr interessant, aber doch eigentlich überflüssig. Es gibt nichts älteres als das Neue von gestern.
Ein kleiner Katechismus
Damals, 1975, waren noch Ausläufer der eingeschlafenen und selbstverständlichen Volkskirche zu erleben, gegen die man neu und frisch ansingen wollte, um sie aufzurütteln. Es war eine Kirche, die sich rapide in die neuen Zeiten schrumpfte. Heute erleben wir unsere Kirche mehr und mehr als "Entscheidungskirche", mit einer bewussten und längst nicht mehr selbstverständlichen Teilnahme der Gläubigen.
So manche der damals neuen Gesänge, die helfen sollten, das hergebrachte Lied- und Gebetsrepertoire auszurümpeln, haben den Test der Zeit nicht bestanden. Sie waren nicht gut, sondern das Gegenteil: gut gemeint. Und wirken heute: alt. Selbst wenn die Texte ästhetisch ansprechend waren – die neuen Melodien waren kaum singbar. "Kleines Senfkorn Hoffnung" oder "Suchen und fragen, hoffen und sehn" - das war Frömmigkeit als Bullerbü-Veranstaltung oder Lagerfeuer-Klampfen-Romantik, und schon zehn Jahre später alt wie Woodstock. Sie werden einfach wenig geliebt, wenig gesungen.
Das neue "Gotteslob" bricht mit uns auf in die völlig neue Millenium-Gläubigkeit. Übersichtlich, wesentlich, konzentriert. Es enthält so etwas wie den Proviant für den Marsch in die Zukunft. Es nimmt nichts mehr als selbstverständlich an. In einem Glossar werden die Grundbegriffe und –handlungen der Kirche erklärt. Darin ist es ein kleiner Katechismus. Es zeigt: Das hier haben wir, und es ist groß.
Die künftige Kirche setzt auf Initiative
Lieder, die im letzten "Gotteslob" rausgeräumt wurden, sind wieder mit dabei, wie "Segne du, Maria", ein wundeschöner Evergreen, der die Zeit auch außerhalb des "Gotteslobes" überstanden hat, genauso wie "O du fröhliche". Da die künftige Kirche zunehmend eine der Laien sein wird, sind Andachten in Ausführlichkeit notiert, was Sinn macht. Die Entscheidungskirche ist eine, die auf Initiative setzt.
Mir gefällt das neue "Gotteslob" sehr, und mein Lieblingslied wird ohnehin bleiben auf Ewigkeit, nämlich Paul Gerhardts "Geh aus mein Herz und suche Freud". Da ist es besonders die zweite Strophe: "...Narzissus und der Tulipan / die ziehen sich viel schöner an / als Salominis Seide...". Kann es überhaupt eine schönere Wortfindung als "Tulipan" geben?
Dass Huub Oosterhuis, der 1960er-Jahre-Aktivist und ehemalige Jesuit, der sein Priesteramt aufgab, dennoch ein guter Lied-Komponist und –Texter ist, haben die Editoren – gegen Widerstände offenbar - eingesehen, und so ist auch das ergreifende "Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr..." aufgenommen. Es beschreibt Anfechtungen und Zweifel, beschreibt das, was Papst Franziskus in einfache Worte kleidete: "Ich bin ein Sünder".