Historiker: Papst Johannes Paul II. verhinderte DDR-Anerkennung
Der Vatikan stand nach Einschätzung des Historikers Thomas Brechenmacher Ende der 1970er-Jahre kurz vor einer diplomatischen Anerkennung der DDR als eigenständigem Staat. "Man war da schon sehr weit gekommen. Wenn 1978 nicht Johannes Paul II. Papst geworden wäre, hätte der Vatikan wohl die staatliche Souveränität der DDR offiziell anerkannt, mit dem Argument, dass die deutsche Zweistaatlichkeit ja nun mal ein Faktum sei", sagte Brechenmacher am Donnerstagabend bei einem Vortrag an der Universität Erfurt. Zugleich verwies er darauf, dass auch westdeutsche Politiker in jener Zeit regelmäßig im Vatikan vorstellig geworden seien, um eben jene offizielle Anerkennung der Zweistaatlichkeit zu verhindern.
Brechenmacher führte weiter aus: "Überaus starke Verflechtungen über die ganze Zeit der deutschen Teilung hinweg sind etwa auf dem Gebiet der Finanzströme über kirchliche Organisationen – Richtung von West nach Ost – festzustellen." Zeitgleich habe die divergierende Ausgestaltung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den beiden deutschen Staaten zu einer Abgrenzung der Kirchen im Osten von der Situation im Westen geführt. Die Kirchen suchten sich ihre Handlungsspielräume im DDR-Staat. "Das führte nicht zuletzt zu Formen des gegenseitigen Unverständnisses und der Entfremdung zwischen den Kirchen in Ost und West", so der Potsdamer Historiker.
DDR "moderat" gegenüber Kirchen
Die DDR habe es den christlichen Kirchen nicht leicht gemacht, trotzdem habe sie sich im Vergleich zu anderen sozialistischen Regimen moderat gezeigt, erklärte Brechenmacher. Die DDR habe vor allem nach internationaler Anerkennung gestrebt: "Und das war nicht möglich, wenn man sich die Kirchen, die international vernetzt waren, dauerhaft zum Feind gemacht und sie komplett unterdrückt hätte." Daher habe die DDR die Anerkennung durch den Heiligen Stuhl unbedingt gewollt. Eine Voraussetzung dafür sei wiederum gewesen, die bislang zu westdeutschen Bistümern gehörenden Kirchengebiete in der DDR in den Rang von eigenständigen Bistümern zu erheben. Auch hier habe es schon entsprechende Pläne gegeben.
Unabhängig von den unterschiedlichen politischen Systemen habe aber die Säkularisierung sowohl die Bundesrepublik wie die DDR "sogartig" erfasst. Allerdings sei der Prozess im Westen schleppender verlaufen als im Osten. So seien in der Nachkriegszeit zunächst noch etwa 90 Prozent der DDR-Bevölkerung Kirchenmitglieder gewesen, 1990 habe es nur noch 19 Prozent Protestanten und 4,5 Prozent Katholiken gegeben. Es lasse sich von einem "religiösen Kahlschlag" sprechen, sagte Brechenmacher. Kaum etwas trenne Ost- und Westdeutsche bis heute so sehr wie die religiösen Bindungen.
Brechenmacher lehrt als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und ist im Vorstand der Kommission für Zeitgeschichte. Unlängst erschien sein Buch "Im Sog der Säkularisierung. Die deutschen Kirchen in Politik und Gesellschaft (1945-1990)". (KNA)