Interview zum Grundtext des Priesterforums des Synodalen Wegs

Leineweber: Forum will Priesteramt nicht abschaffen, aber öffnen

Veröffentlicht am 22.08.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Wozu braucht es noch Priester? Mit dieser und anderen Fragen beschäftigt sich der Grundtext des Priesterforums des Synodalen Wegs. Im katholisch.de-Interview spricht Matthias Leineweber darüber, warum er sich vorstellen kann, dass nicht nur zölibatär lebende Männer das Amt ausführen können.

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"Das Forum soll sich mit der Frage auseinandersetzen, ob es das Priesteramt überhaupt braucht." Der Änderungsantrag 11 der Antragskommission zum Grundtext des Synodalforums zur "Priesterlichen Existenz heute" ist einer der am meisten umstrittenen Entscheidungen des Synodalen Wegs. Bei der zweiten Synodalversammlung im Herbst 2021 stimmten 95 Synodale dafür und 94 Synodale dagegen, dass sich das Forum mit der Frage beschäftigt, ob es das Priesteramt überhaupt braucht. Medial wurde in der Folge immer wieder diskutiert, inwieweit der Synodale Weg Priester an sich abschaffen will. Bei der vierten Synodalversammlung im September steht nun die zweite Fassung des Grundtextes zur Abstimmung. Der stellvertretende Würzburger Dekan Matthias Leineweber gehörte zum Redaktionsteam des Priesterforums. Im katholisch.de-Interview spricht er über den umstrittenen Änderungsantrag und den überarbeiteten Text.

Frage: Eine Frage wird rund um Ihr Forum medial am meisten diskutiert: Will Ihr Forum Priester abschaffen, Pfarrer Leineweber?

Leineweber: Da kann ich ganz deutlich sagen: Nein! Sonst würden wir uns auch nicht so intensiv mit der Frage nach der priesterlichen Existenz heute beschäftigen. Bei dem Änderungsantrag, über den wir in der Synodalversammlung abgestimmt haben, ging es nicht darum, dass wir grundsätzlich fragen sollen, ob es den Priester in der Kirche überhaupt braucht. Unser Forum sollte sich genauer damit beschäftigen, warum und wozu es den priesterlichen Dienst braucht. Es ging also nicht darum, diesen Dienst abzuschaffen, sondern die Grundlagen neu zu erklären, weil sie im Bewusstsein vieler gläubiger Menschen nicht mehr so klar sind.

Frage: Was macht es mit Ihnen als Priester, wenn medial immer wieder die Behauptung aufgestellt wurde, der Synodale Weg diskutiere darüber, ob Priester abgeschafft werden sollen?

Leineweber: Für mich macht das die Verunsicherung deutlich, die es gibt – sowohl bei Gläubigen als auch allgemein in der Gesellschaft. Der Priester ist keine selbstverständliche Amtsperson im Leben der Kirche mehr. Autoritäten werden in der Gesellschaft ohnehin hinterfragt. Für mich ist das daher ein Ansporn, die priesterliche Amtsfunktion in unserer Gesellschaft verständlich zu machen.

Frage: Im Grundtext heißt es, dass der "Priester nicht mehr selbstverständlich und sein amtliches Handeln auch binnenkirchlich nicht mehr plausibel ist". Welche Konsequenzen hat das?

Leineweber: Das Spezifikum des priesterlichen Dienstes ist in vielen Gemeinden nicht mehr deutlich, weil die Zahl der Priester abgenommen hat und viele ihrer früheren Funktionen – zum Glück – von Frauen und Männern, Laiinnen und Laien übernommen worden sind. Von ihnen fragt sich natürlich eine große Gruppe: Was ist denn jetzt eigentlich das Besondere am priesterlichen Amt, wenn beispielsweise die Taufe von einem Diakon übernommen wird und die Beerdigung von einer Pastoralreferentin. Das wollten wir im Grundtext darstellen mit all den Herausforderungen in der veränderten kirchlichen Situation. Unser Text drückt auch aus, dass wir noch keine fertigen Antworten haben, weil sich die kirchliche Lage und die pastorale Situation in allen Diözesen sehr stark verändert und damit auch der priesterliche Dienst und die anderen Beauftragungen in der Kirche.

„Ich denke, das gilt für uns alle: Ein "Weiter so" wollen wir auf keinen Fall.“

—  Zitat: Pfarrer Matthias Leineweber

Frage: Die Selbstverständlichkeiten aus früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten gibt es also nicht mehr …

Leineweber: Genau. Und ich denke, das gilt für uns alle: Ein "Weiter so" wollen wir auf keinen Fall. Auslöser für diesen Reformprozess war die sexualisierte Gewalt durch Priester, aber die Herausforderung, sich neu mit dem Priesteramt zu beschäftigen, ist auch eine allgemeine kirchliche Entwicklung. Diese Situation wollen wir zum Anlass nehmen, das Priesteramt nochmal neu im Rahmen der Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils durchzubuchstabieren und manche Dinge aus dem Konzil mehr zu rezipieren, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

Frage: Blicken wir auf den Text: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten neuen Punkte des Grundtextes, der jetzt in zweiter Lesung diskutiert wird?

Leineweber: Es wurden einige Kapitel eingefügt mit dem Bezug zur aktuellen kirchlichen Entwicklung. Das ist zum einen die Frage der Synodalversammlung, über die wir gerade gesprochen haben: Wozu braucht es das sakramentale Weiheamt? In unserem Text plädieren wir dafür, dass die Kirche das sakramentale Weiheamt braucht. Allerdings sehen wir auch, dass die Art, wie es gelebt wird, einer Reform bedarf. Daneben ist es der Bezug zur MHG-Studie und zu den erschütternden Aussagen über Priester, die zu Tätern geworden sind. Wenn wir darüber sprechen, dass der Synodale Weg von den Erkenntnissen der MHG-Studie ausgeht, ist unser Forum "Priesterliche Existenz heute" vielleicht das zentralste Forum. Wir haben die zentralen Empfehlungen und systematischen Aspekte der Untersuchung aufgenommen, weil wir nicht davon ausgehen können, dass jeder die umfangreiche Studie kennt.

Frage: Viele priesterliche Funktionen, beispielsweise das Wachhalten der Frage nach Gott in der Gemeinde oder das spirituelle Gegenübersein, werden im Grundtext so beschrieben, dass sie auch von anderen geistlich ausgebildeten Theologen oder Ordensleuten wahrgenommen werden könnten. Warum?

Leineweber: Unser Grundtext plädiert dafür, dass wir das Priesteramt beibehalten, aber wir können uns vorstellen, dass auch andere Personen als nur zölibatär lebende Männer dieses Priesteramt ausführen können. Wir erklären, dass dieses Amt unabhängig von der Person, ob es eine Frau oder ein Mann, eine verheiratete oder nicht verheiratete Person ist, erhalten werden muss, auch um eine gewisse Amtlichkeit in den Vollzügen der Kirche darzustellen. Der Text unterstreicht außerdem diese Einwurzelung des priesterlichen Dienstes in das allgemeine Priesteramt der Gläubigen. Das ist sicherlich etwas, das wir in der aktuellen kirchlichen Situation noch vertiefen können.

Bild: ©katholisch.de (Symbolbild)

Die Kirche muss synodaler werden, ist Pfarrer Matthias Leineweber überzeugt. Was das für Priester konkret bedeutet, hat er im Gefängnis erlebt.

Frage: Was heißt das konkret?

Leineweber: Ich denke, der Priester – oder derjenige, der dieses Amt übernimmt – ist nicht automatisch eine herausgehobene Persönlichkeit. Das ist sowohl wichtig für die Person, die dieses Amt ausübt, als auch für die Gemeinde, in der das Amt ausgeübt wird. Das entspricht der Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, die wir hier sehr stark machen. Unter anderem stellen wir auch die Frage nach der Leitung, die nicht unbedingt an der Priesterweihe hängt. Die Priesterweihe hat in bestimmten Momenten der Kirche eine sakramentale Funktion, aber sie bleibt integriert in den gesamten Vollzug des priesterlichen Volkes Gottes. Das ist ein Miteinander und Füreinander, das wir mehr betonen wollen. Es geht nicht um einen Priester als Hochwürden, der eine besondere Person und herausgehoben aus dem Gottesvolk ist, wie das manchmal praktiziert wurde und wird. Das hat aber den Priestern und den Gemeinden nicht gutgetan. Der Priester ist ein Gläubiger, ein Christ, wie alle anderen Christen und Getauften. Er hat allerdings eine besondere sakramentale Funktion im kirchlichen Vollzug.

Frage: Im Text schreiben Sie immer wieder, dass das Priesteramt einer Reform bedarf, dass sich einiges ändern muss. Wie muss ein Priestertum der Zukunft aussehen, das unserer zunehmend säkularen Gesellschaft und den Anfragen innerhalb und außerhalb der Kirche gerecht wird?

Leineweber: Die Kirche muss synodaler werden. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen plakativ, aber ich glaube, Papst Franziskus hat der Universalkirche hier eine sehr deutliche Leitlinie gegeben. Und das gilt nicht nur für die Kirche insgesamt, sondern auch für den Priester. Das bedeutet, in einer Gruppe unterwegs zu sein, in der der Priester nicht immer automatisch vorangehen muss. Es muss aber kommunitär sein und alle müssen den gleichen Schritt gehen, um im Bild zu bleiben.

Frage: Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?

Leineweber: Ich habe in meinem Priesterleben oft eine Angst davor erlebt, dem Priester etwas Kritisches zu sagen. Aber Priester brauchen diese Correctio sehr. Zölibatär zu leben, bedeutet ja nicht, einsam zu sein. Man kann nur zölibatär leben, wenn man in einer Gemeinschaft lebt. Wie kann ich für eine Gemeinde da sein, wenn ich nicht weiß, wie die Gemeinde lebt? Ganz praktisch habe ich das als Gefängnisseelsorger in Würzburg erlebt. Dort habe ich mit Menschen zu tun, die sehr fern sind von der Kirche. Nach dem Gottesdienst habe ich aber oft Kommentare gehört, die so in einer Gemeinde nicht gemacht wurden: "Mensch das war toll heute!", aber auch "Mensch, ich habe überhaupt nichts verstanden. Was haben Sie denn da geredet heute?". Sehr direkte Kommentare also, bei denen mir aufgefallen ist, dass es im Kopf der Menschen gar keine Vorstellungen von einem Priester als Hochwürden und es auf beiden Seiten kein klerikales Denken gibt. Unser Ziel im Forum ist es, dieses Abgehobensein und diese Vereinsamung zu überwinden, die oft der Grund dafür sind, dass Priester auf schwierige Wege geraten.

Von Christoph Brüwer