Über Dialogbereitschaft, Irritationsfähigkeit und Prävention

Die Hausaufgaben des Konzils für den Synodalen Weg

Veröffentlicht am 15.10.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Beim Synodalen Weg kommt es auf Gesprächsbereitschaft an – und darauf, sich nicht in die Selbstbestätigung zurückzuziehen. Was das Zweite Vatikanum über das Lernen aus der Welt gelehrt hat, ist bis heute nicht vollständig umgesetzt. Dabei wäre genau das nötig, schreibt der Moraltheologe Jochen Sautermeister in einem Gastbeitrag.

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Der Synodale Weg geht in seine letzte Runde. Nachdem die schweren Turbulenzen und die Erschütterungen der vierten Synodalversammlung im September sich zu beruhigen scheinen, werden nun nicht nur die Gräben sichtbarer, sondern auch die Bemühungen verstärkt, die Grenzen der unterschiedlichen Positionen zu markieren. Den Konsens zu benennen, dass es einen Dissens gibt, ist sicherlich ein erster Schritt zu redlicher Auseinandersetzung. Wenn jedoch weiterhin Zweifel gesät werden, dass der Synodale Weg sich nicht in der Ausrichtung des Zweiten Vatikanischen Konzils bewege, dann ist das schon ein schweres Geschütz. Ob aus dieser Gemengelage ein gemeinsames Ringen werden kann, hängt vor allem davon ab, ob alle gesprächsbereit sind.

Aber was heißt Gesprächsbereitschaft? Sicherlich nicht, einfach nur Worte zu wechseln. Denn wer in ein Gespräch tritt, das sich ernsthaft als Dialog verstehen will, muss grundsätzlich die Bereitschaft haben, sich durch die Begegnung und das Gespräch verändern zu lassen. Ansonsten wird Dialog nur vorgespielt.

Moraltheologe Jochen Sautermeister
Bild: ©Uni Bonn (Archivbild)

Jochen Sautermeister ist Inhaber der Lehrstuhls für Moraltheologie und Direktor des Moraltheologischen Seminars an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Hören und Monologisieren passen genauso wenig dazu wie der Rückzug in die eigene Echokammer in Hinterzimmern. In kommunikationspsychologischer und ethischer Hinsicht benötigt man schon einiges an Fantasie, das als Dialog zu verstehen. Denn für einen Dialog, der diese Bezeichnung verdient, bedarf es auch der Fähigkeit, sich durch Erfahrungen irritieren zu lassen und sich auf andere Sichtweisen einzulassen. Wer dies jedoch nicht kann, für den werden andere Sichtweisen schnell unangenehm, störend oder gar bedrohlich.

Mangelnde Irritationsfähigkeit hat verheerende Folgen

Welche verheerenden Folgen mangelnde persönliche und systemische Irritationsfähigkeit haben kann, bringen die Aufarbeitungsbemühungen um sexualisierte Gewalt in der Kirche deutlich zu Tage. Der Synodale Weg will ja gerade daraus Konsequenzen ziehen. Die Praxis jahrzehntelanger Vertuschung war bekanntermaßen auch durch die Absicht motiviert, die Institution Kirche und das Amt zu schützen. In Verbindung mit einer ungesunden Sexualmoral konnte sich eine Kraft entfalten, die sowohl systemisch als auch persönlich schwerwiegende Folgen hatte. Bestimmte Vorstellungen von "rein" und "unrein", gepaart mit einer Überhöhung des Priesteramts, konnten unheilvolle Idealisierungs- und Abspaltungsdynamiken forcieren. Als psycho-ekklesiale Abwehrmechanismen sollten sie davor bewahren, sich aufgrund sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen durch Kleriker grundlegend verunsichern zu lassen. Die Kirche musste "sauber" und "unbefleckt" sein! Wer heute noch von der "reinen" und unverfälschten Lehre sprechen möchte, kann das nicht mehr unbedarft tun.

Die Fähigkeit, sich irritieren zu lassen, ist also nicht nur für dialogische Kompetenz und die Fähigkeit zur Synodalität wichtig, sondern auch für Aufarbeitung und Prävention. Denn man darf nicht vergessen: Oft waren es Priester (und Bischöfe), bei denen es unvorstellbar war, dass sie Kindern und Jugendlichen sexualisierte Gewalt antaten und kriminell handelten. Der Friedensnobelpreisträger und frühere Bischof von Osttimor, Carlos Ximenes Belo, oder der frühere Chef der Sternsinger Winfried Pilz sind hier nicht die einzigen Beispiele prominenter Missbrauchstäter.

Werden die Erfahrungen in der Welt von heute genug gehört?

In der Kirche engagieren sich genügend Expertinnen und Experten in der Caritas, den Beratungsdiensten und der sozialen Arbeit, die sich durch Dialogfähigkeit, Solidarität und Mitmenschlichkeit auszeichnen und die davon Zeugnis geben, dass in der zugewandten, vorurteilsfreien und offenen Begegnung mit Menschen in ihren konkreten Existenzen und Lebenswirklichkeiten das Evangelium von der unbedingten Liebe Gottes gelebt werden kann. Man kann zurecht fragen, ob sie mit ihren Erfahrungen in der Welt von heute hinreichend zu Wort kommen und Gehör finden.

Ein freiwilliger Helfer der Caritas Roma bespricht mit einer Seniorin mit Mundschutz ihre Einkaufsliste, um ihr Lebensmittel zu bringen, am 9. April 2020 in Rom.
Bild: ©Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA (Symbolbild)

Expertinnen und Experten für das echte Leben gibt es in der Kirche viele – werden sie auch gehört?

Wenn jedoch noch im Jahr 2022 zum Beispiel während einer Priesterweihe Sätze fallen wie "Dass der Hirte nach den Schafen riechen soll (…), hat nichts mit Romantik zu tun, sondern kostet Überwindung", und der Prediger dann an die Neupriester gerichtet fortsetzt: "Ihr werdet mit den Sorgen, den Sünden, den Ängsten der Menschen beschmutzt werden", dann ist das ebenso problematisch wie irritierend. Und zwar aus mindestens drei Gründen:

Die metaphorische Verbindung, dass es beschmutzend für einen Priester sei, wenn Menschen sich ihm mit ihren Sorgen und Ängsten anvertrauen, verdunkelt das Geschenk des Vertrauens und die Haltung seelsorgerlichen Respekts.

Übernahme des "Stallgeruchs" ist nichts Anrüchiges

Die Übernahme des "Stallgeruchs" ist nichts Anrüchiges, ganz im Gegenteil! Der Hirte soll sich selbst gerade nicht von den Schafen absondern, sondern sich in deren Welt hineinfinden und einleben. Dafür steht auch das griechische Wort "ethos". Übertragen bedeutet dies, dass man als Priester in der Welt von heute als Christ unter Christen und als Mensch unter Menschen unterwegs ist, so wie das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" zum Auftrag und Selbstverständnis der Kirche in der Welt von heute betont. Es geht hier um die Haltung pastoraler Demut und die inkarnatorische Einsicht: "Was nicht angenommen wird, kann nicht geheilt werden", die für das Leben eines jeden Menschen gültig ist – also nicht Abschottung von der Lebenswirklichkeit und sei es "nur" durch innere Abwehr oder Abwertung.

Wahrscheinlich sind solche irritierenden Assoziationen nicht beabsichtigt. Aber vielleicht lassen solche Sätze tiefer blicken, als manch einem lieb ist. Denn ob man selbst bereit ist, sich verändern zu lassen, zeigt sich auch im eigenen Sprechen. Metanoia, Umkehr, Lernbereitschaft dürfen kein Fake sein. Wenn die Sprache sich nicht verändert, bleibt die Frage, ob sich schon die Wirklichkeit verändert hat – die innere wie die äußere. Die Hausaufgaben das Zweiten Vatikanischen Konzils sind noch lange nicht erledigt.

Von Jochen Sautermeister