Dogmatiker Tück: Papst muss Synodalen Weg mitgestalten
Aus Sicht des Wiener Dogmatikers Jan-Heiner Tück dürften die Reformentwicklungen des Synodalen Wegs Papst Franziskus nicht gefallen. Es wäre "höchste Zeit, dass Franziskus vom unentschiedenen Beobachter zum entschiedenen Mitgestalter des Synodalen Weges wird", forderte der Theologe in einem Gastbeitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" (Sonntag). Der vom Synodalen Weg initiierte Synodale Rat sei ein neuer Typus von Kirchenleitung. Dieses Gremium verschlinge beträchtliche Finanzmittel und beschränke die Befugnisse der Bischofskonferenz. "Loyalitätskonflikte der deutschen Bischöfe sind vorprogrammiert", prognostiziert Tück. Der Synodale Rat könne nur funktionieren, wenn sich Bischöfe durch freiwillige Selbstbindung den Voten des Rates unterwürfen. "Woher die theologische Legitimation stammen soll, dass Laien mit quasi bischöflicher Autorität die Kirche leiten sollen, ist offen."
Zudem sei mit der Synodalversammlung im Februar "der 'gender trouble' in der Kirche angekommen", so Tück, da Frauen nur als "Nicht-Männer" hätten abstimmen können, "weil sich unter den Synodalen eine Person befand, die sich als nicht binär definiert." Dies habe unter den Frauen Unbehagen provoziert und im September zu einer Abstimmungstrias aus Mann, Frau und divers geführt. "All diese Entwicklungen dürften kaum im Sinne von Papst Franziskus sein", betonte Tück.
Papst: Deutschland hat eine große und schöne evangelische Kirche
Tück bezog sich dabei auf die jüngsten Aussagen des Papstes bei der Rückreise aus Bahrain. Dort hatte das Kirchenoberhaupt die Katholiken in Deutschland aufgefordert, sich auf die Wurzeln ihres Glaubens zu besinnen. Auch in Deutschland bestehe die Gefahr, den Glaubenssinn des Volkes Gottes aus den Augen zu verlieren. "Und dann verfallen wir in rein ethische Debatten, in Diskussionen gemäß dem aktuellen Zeitgeist, in kirchenpolitische Diskussionen, in Diskussionen, die nicht aus der Theologie kommen und die nicht den Kern der Theologie treffen", so Franziskus. Zugleich betonte er: "Ich sage den deutschen Katholiken: Deutschland hat eine große und schöne evangelische Kirche; ich will keine andere, die nicht so gut wäre wie diese; sondern ich will eine katholische Kirche sehen, in Geschwisterlichkeit mit der evangelischen Kirche."
Der Zeitpunkt für diese Aussagen kurz vor dem Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom sei bemerkenswert, betonte Tück. "Der vorausgegangene Besuch mehrerer Bischöfe, die für das Anliegen des Synodalen Weges nochmals intensiv geworben haben, hat beim römischen Pontifex keine Wirkung gezeigt. Franziskus bleibt skeptisch." Dies werde Befürworter des Synodalen Wegs in Deutschland wenig freuen. Schon der Brief des Papstes an die Kirche in Deutschland 2019 habe ein gespaltenes Echo provoziert. Die Ermutigung zu mehr Synodalität sei von vielen begrüßt worden, das päpstliche Votum für einen "Primat der Evangelisierung" sei dagegen vielfach übergangen worden.
Der Papst etwa habe den weltweiten synodalen Prozess von der Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes abgekoppelt. Er habe mehrfach betont, alle Menschen beteiligen zu wollen, unterscheide aber klar zwischen Konsultation und Entscheidung. Die Beschlüsse nähmen die Bischöfe vor. "Dabei gilt: ohne spirituelle Erneuerung keine Strukturreform", betont Tück. "Der Synodale Weg in Deutschland verfolgt eine gegenläufige Agenda." Dort stünden die Strukturreformen am Anfang, die Maßnahmen zur Evangelisierung folgten. (cbr)