Liturgie sei "kontinuierlicher Ausdruck einer bestimmten Vorstellung von Kirche"

Theologin: Gläubige gehen aus Hierarchie-Kritik nicht in Gottesdienst

Veröffentlicht am 14.12.2022 um 12:51 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Erklärung, dass Gläubige einfach aus fehlender Motivation weniger Gottesdienste besuchen, greift aus Sicht der Kirchenrechtlerin Judith Hahn zu kurz. Viele Katholiken hätten vielmehr ihre eigene Praxis hinterfragt – und Konsequenzen gezogen.

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Aus Sicht der Bonner Kirchenrechtlerin Judith Hahn wollen praktizierende Katholiken, die seit der Corona-Pandemie ihren Gottesdienstbesuch eingestellt haben, das amtliche Kirchenverständnis nicht weiter mittragen. "Wer einen Gottesdienst mitfeiert, signalisiert durch das Einlassen auf die diversen symbolischen Handlungen, Personenkonstellationen und Umstände Zustimmung", schreibt Hahn in einem Beitrag für das Online-Portal "feinschwarz.net" (Mittwoch). In katholischen Gottesdiensten seien durch die liturgische Ordnung aktive Kleriker und passive Laien hierarchisch voneinander getrennt und damit sei festgelegt, wer agiere und wer reagiere. "Die beständige Botschaft, die von katholischen Gottesdiensten ausgeht, ist nicht allein die von der Erlösungstat Christi", schreibt Hahn. "Als 'Feier in hierarchischer Ordnung' ist die amtliche Liturgie auch kontinuierlicher Ausdruck einer bestimmten Vorstellung von Kirche."

Dabei sei auch unerheblich, ob die Teilnehmenden einen rituellen Akt innerlich mittrügen oder diesen nur äußerlich mittäten. "Die Mitfeier eines katholischen Gottesdienstes signalisiert Übereinstimmung mit den amtlichen Vorstellungen von Kirche, und dies unabhängig davon, ob die Mitfeiernden diese Vorstellungen bejahen oder bezweifeln", so Hahn. Wer katholische Gottesdienste mitfeiere werde so zu einer Stütze der amtskirchlichen Ekklesiologie. Aus ritualtheologischer Sicht gebe es daher nur die Möglichkeit, vom Gottesdienstbesuch Abstand zu nehmen, um die kirchliche Ordnung nicht weiter mitzutragen.

Der Rückgang der Gottesdienstbesucher lasse sich daher nicht nur durch fehlende Motivation oder Faulheit erklären, da auch andere liebgewonnene Gewohnheiten nach dem Corona-Lockdown wiederaufgenommen worden seien. "Vielmehr darf man vielen, die fernbleiben, weder heiße Empörung noch laues Phlegma unterstellen, sondern darf vermuten, dass sie, bewusst oder unbewusst, die Erkenntnis eint, dass Partizipation Affirmation ist", so Hahn. Durch den "kalten Liturgieentzug des Lockdowns" habe sich dieses Unbehagen verstärkt und durch das Durchbrechen des durchritualisierten Alltags habe sich für viele die Möglichkeit ergeben, die eigene Praxis kritisch zu hinterfragen. (cbr)