Die Hintergründe einer christlichen Tradition

Gebetsaufruf für Benedikt: Darum beten Christen für einen guten Tod

Veröffentlicht am 30.12.2022 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Papst Franziskus hat zum Gebet für Benedikt XVI. aufgerufen. Während die einen für Genesung beten, bitten andere um eine gute Sterbestunde. Im katholisch.de-Interview erklärt die Volkskundlerin Christiane Cantauw, was es damit auf sich hat.

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Nachdem Papst Franziskus zum Gebet für Benedikt XVI. aufgerufen hat, kursieren verschiedene Gebete im Internet. Während die einen für eine baldige Genesung beten, bitten andere für eine gute Sterbestunde. Im katholisch.de-Interview erklärt die Volkskundlerin Christiane Cantauw die Hintergründe dieser christlichen Tradition und erklärt, warum es die schlimmste Vorstellung für Christen ist, vom Blitz getroffen zu werden.

Frage: Frau Cantauw, der Papst hat dazu aufgerufen, für Benedikt XVI. zu beten. Was heißt das?

Cantauw: Traditionell ist es so, dass Sterbende nicht unbegleitet vom Diesseits ins Jenseits übergehen sollen. Sprich: man betet für sie. Aber natürlich sind auch Menschen bei den Sterbenden anwesend. Sie begleiten das Sterben und dokumentieren, dass es ein guter Tod ist. Also, dass der Sterbende mit den Sterbesakramenten versorgt wird und als Christ aus dem Leben scheidet.

Frage: Sie kennen sich mit Ritualen rund ums Sterben aus: Für was betet man da? Für Genesung oder für eine gute Sterbestunde?

Cantauw: Christen beten für eine gute Sterbestunde. Ab irgendeinem Punkt ist der bevorstehende Tod einfach Realität und man kann nicht mehr für die Genesung beten, weil es einfach keine Genesung mehr geben kann. Das ist dann auch allen Anwesenden klar und dann wird traditionell für eine gute Sterbestunde gebetet.

Frage: Und was betet man dann?

Cantauw: Traditionell werden die vierzehn Nothelfer angerufen und der Rosenkranz gebetet.

Christiane Cantauw
Bild: ©privat

Christiane Cantauw leitet die Kommission Alltagskulturforschung in Münster. Sie sagt: "Die schlimmste Vorstellung für Christen ist es, ohne die Sterbesakramente – also plötzlich – zu versterben."

Frage: Aber ist es nicht pietätslos, jemanden den Tod zu wünschen?

Cantauw: Nein, für Christen nicht. Christen betrachten den Tod als Beginn eines Lebens im Jenseits. Der Tod ist für sie der Übergang in dieses andere Leben. Der mittelalterliche Mensch zum Beispiel sah das Leben nach dem Tod als das schönere Leben an. Das Leben vor dem Tod war doch für die meisten Menschen sehr beschwerlich und mit viel Leid verbunden. Vom Leben nach dem Tod erhoffte man sich ein Leben jenseits von Kummer, Leid und körperlichen Beschwerden. Diese Vorstellungen schwingen auch im Gebetsaufruf für Benedikt XVI. mit. Es geht darum, fest im Glauben zu bleiben und auch dem Sterbenden zu wünschen, dass er nicht in der letzten Stunde vom Glauben abfällt.

Frage: Sie haben die historischen Hintergründe des Gebetsaufrufes angesprochen. Was ist denn eine gute Sterbestunde? Möglichst kurz und schmerzlos vom Blitz getroffen zu werden?

Cantauw: Nein, auf keinen Fall! Die schlimmste Vorstellung für Christen in vergangenen Jahrhunderten war es, ohne die Sterbesakramente – also plötzlich – zu versterben. Also genau das Gegenteil von dem, was viele heute prima finden, weil man eben kein langes Leid hat und sich nicht quält, wenn einen der Blitz trifft. Genau das war aber zum Beispiel für den mittelalterlichen Menschen eine Horrorvorstellung. Ohne Sterbesakramente zu sterben, bedeutete nämlich einen längeren Aufenthalt im Fegefeuer.

Frage: Gab es damals spezielle Traditionen?

Cantauw: Im Mittelalter gab es die sogenannte ars moriendi. Also die Lehre von der Kunst des Sterbens. Der Tod war für die Menschen viel präsenter. Das zeigt sich auch in der damaligen Alltagsgestaltung. An vielen Kirchen finden sich zum Beispiel noch heute überlebensgroße Christopherus-Darstellungen. Die Menschen glaubten, wenn sie Christopherus sehen, ereile sie an diesem Tag kein unvorhergesehener Tod. Im Münsteraner und Kölner Dom finden sich solche Figuren.

Bild: ©picture alliance / imageBROKER | Helmut Meyer zur Capellen

Im Eingangsbereich des Münsteraner Paulusdoms steht eine überlebensgroße Christopherus-Statue. Im Mittelalter glaubte man: Wer ihn anschaut und Christus auf seinen Schultern, den wird bis zum Abend die Kraft nicht verlassen und kein plötzlicher Tod ereilen.

Frage: Und welche Bräuche gab es sonst noch?

Cantauw: Wenn jemand im Sterben lag, hat man einen Versehtisch hergerichtet. Auf diesem Tischchen im Sterbezimmer wurde alles aufgestellt, was Priester und Ministranten brauchten: Kerzen, Öl und Buchsbaum, um den Verstorbenen mit Weihwasser zu besprengen. Meist lag auch ein Rosenkranz oder ein Sterbekreuz bereit, um dem Sterbenden etwas in die Hand zu geben. So hat man alles vorbereitet, dass es eine aus christlichem Verständnis gute Sterbestunde geben konnte. Vor allen Dingen hat man aber dem Priester Bescheid gesagt, der mit Ministranten kam. Und natürlich den Nachbarn.

Frage: Sie haben gesagt, dass sich die Vorstellung von einer guten Sterbestunde geändert hat. Während heute die Sache mit dem Blitz ganz angenehm wäre, war das früher anders. Wann hat sich das denn geändert und warum hat sich das geändert?

Cantauw: Diese Veränderung lässt sich auf das ausgehende 19. Jahrhundert datieren. In diesem Zusammenhang spricht man von einer Medikalisierung des Todes. Der Tod wurde immer mehr vergedrängt. Man hatte neue medizinische Möglichkeiten gefunden, um das Leben zu verlängern, und wollte damit den Tod aus dem Leben herausdrängen. Der Tod entwickelte sich vom Übergang aus dem irdischen ins ewige Leben zu etwas, mit dem man möglichst nicht konfrontiert werden wollte. Er wurde als ein Scheitern der Medizin und ihrer Möglichkeiten angesehen. So verschwanden zum Beispiel auch die Friedhöfe aus den Ortszentren. Gestorben wurde vielfach auch nicht mehr zuhause, sondern im Krankenhaus und solche Traditionen wie die Totenwache zählten nicht mehr zum alltäglichen Leben.

Von Benedikt Heider