Neue Ordnung für das Vikariat Rom stellt die Machtverhältnisse klar

Reform in Rom: Papst Franziskus ergreift Besitz von seinem Bistum

Veröffentlicht am 10.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt/Rom ‐ Der Papst ist der Bischof von Rom. Die Leitung seiner Diözese hat er bislang aber anderen überlassen – fast wie ein normaler Diözesanbischof konnte sein Kardinalvikar schalten und walten. Dem gebietet der Papst nun Einhalt: Unter dem Schlagwort Synodalität holt er sich die Leitungsgewalt zurück.

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"Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt hier." So könnte man das Verständnis von Synodalität beschreiben, das aus der neuen Kurienordnung für das Vikariat Rom spricht: Synodalität heißt mehr Absprache in den Gremien. Aber am Ende entscheidet der Papst. Der Kardinalvikar des italienischen Teils des Bistums Rom, der seinen Zuständigkeitsbereich bislang weitgehend wie jeder andere Diözesanbischof verwalten konnte, muss sich künftig enger mit seinen gestärkten Weihbischöfen ins Benehmen setzen. Dem Mehr an Synodalität im Bischofsrat, dem zentralen Gremium des Vikariats Rom, steht die deutlich gewachsene Rolle des Papstes in seiner eigenen Diözese gegenüber.

Überraschend hatte Papst Franziskus am Freitag mit der Apostolischen Konstitution "In ecclesiarum communione" ("In der Gemeinschaft der Kirchen") die Bestimmungen zur Organisation des Vikariats Rom reformiert. Die bisherige Ordnung ging noch auf Papst Johannes Paul II. zurück, der 1998 die Apostolische Konstitution "Ecclesia in Urbe" ("Die Kirche in der Stadt [Rom]") erlassen hatte. Auf den ersten Blick gibt es viel Kontinuität zwischen den beiden Konstitutionen: Vor den rechtlichen Normen steht eine ausführliche Würdigung der Bedeutung der Stadt Rom für die Welt und die Christenheit.

Im Einklang mit seiner bisherigen Reformtätigkeit legt Franziskus in seinem Vorwort den Schwerpunkt auf die Evangelisierung: Strukturen der Kirche dürfen für ihn nie Selbstzweck sein, sondern müssen auf die Mission der Kirche hin ausgerichtet sein. Der für sein Pontifikat zentrale Begriff der Synodalität nimmt großen Raum ein: Die synodale Dimension der Kirche wird gleich zu Beginn als konstitutiv bezeichnet. Sein eigenes Bistum soll ein Beispiel für die Weltkirche sein: das Bistum soll ein "beispielhafter Ort der Gemeinschaft, des Dialogs und der Nähe" sein, "einladend und transparent im Dienst der Erneuerung und des pastoralen Wachstums der Diözese Rom, eine evangelisierende Gemeinschaft, eine synodale Kirche, ein Volk, das ein glaubwürdiges Zeugnis für die Barmherzigkeit Gottes ist".

Organe der Synodalität

Das Vorwort richtet damit den Blick bei der Lektüre vor allem auf den dritten Abschnitt der eigentlichen Vikariatsordnung, der bei Franziskus deutlich programmatischer überschrieben ist als bei Johannes Paul II. Statt knapp von den "beratenden Gremien des Vikariats" zu handeln, werden nun ausführlich "Organe der Synodalität im Dienst der Mission der Diözese Rom" beschrieben. Wurde zuvor nur aufgezählt, wer dem Bischofsrat angehört – der Kardinalvikar, der Vizegerent (sein Stellvertreter), die Weihbischöfe und der Sekretär –, verzichtet Franziskus auf die Festlegung der Zugehörigkeit zugunsten einer Zielbestimmung: Der Bischofsrat wird als "Hauptorgan der Synodalität"  und "oberste Instanz für die Unterscheidung, die pastoralen und die Verwaltungsentscheidungen" bezeichnet.

Ein Bistum, zwei Vikariate – die Diözese Rom

Das Bistum Rom besteht aus einem vatikanischen und einem italienischen Teil, für die jeweils ein Vikariat zuständig ist, das von einem Generalvikar im Kardinalsrang geleitet wird. Das Vikariat Rom umfasst den Teil außerhalb des Vatikans, das Vikariat Vatikanstadt das Territorium des Kirchenstaats. Das Vikariat Rom wird seit 2017 von Kardinal Angelo De Donatis geleitet, dem Vikariat Vatikanstadt steht der Erzpriester des Petersdoms vor, derzeit Kardinal Mauro Gambetti. Die Konstitution "In ecclesiarum communione" ersetzt die bisherige Ordnung, die von Papst Johannes Paul II. 1998 mit der Apostolischen Konstitution "Ecclesia in Urbe" ("Die Kirche in der Stadt [Rom]") in Kraft gesetzt wurde. Die Reform tritt zum 31. Januar 2023 in Kraft. Zugleich regelte der Papst mit einem Dekret die Zuständigkeit der Weihbischöfe seines Bistums neu, der Weihbischof Baldassare Reina wird künftig "Vizegerent", eine Funktion, die vergleichbar mit dem Generalvikar in anderen Bistümern ist.

Die Umstrukturierung des Bischofsrats ist der eigentliche Kern der Reform. An ihm lässt sich ablesen, wie Papst Franziskus Synodalität versteht: Der Grundsatz "cum Petro et sub Petro", "mit dem Papst und unter dem Papst", der das Verhältnis von Papst und Bischofskollegium beschreibt, wird nun strukturell für das Vikariat Rom umgesetzt. "Cum Petro" – der Papst hat eine deutlich größere Rolle in der Verwaltung und Leitung seines eigenen Bistums als zuvor; und "sub Petro" – die Betonung beim Amt des Kardinalvikars wird auf "Vikar", nicht auf "Kardinal" gelegt, der Papst übernimmt nicht nur symbolisch Leitungsfunktionen in seinem Bistum. Den Bischofsrat leitet der Kardinalvikar nur noch, wenn der Papst selbst abwesend ist. In der Regel sitzt der Papst ihm von nun an selbst vor. Ob es angesichts des päpstlichen Terminkalenders realistisch ist, dass Franziskus dreimal im Monat am Bischofsrat teilnimmt, wird sich zeigen. Umfassende Informationen sichert er sich jedenfalls: Explizit wird geregelt, dass die Tagesordnung dem Papst unverzüglich zugesandt werden muss. Ein neues Aufsichtsgremium wird direkt vom Papst ernannt und berichtet ihm über administrative, wirtschaftliche und organisatorische Entwicklungen.

Ob im Bischofsrat anwesend oder nicht: Ohne den Papst geht künftig ohnehin kaum etwas. Er muss nun in alle wichtigen pastoralen, administrativen und wirtschaftlichen Entscheidungen eingebunden werden, der Kardinalvikar muss ihm vor bedeutenden Änderungen und Initiativen Bericht erstatten. Selbst bei der Ernennung von Pfarrern und der Aufnahme von Weihekandidaten ist der Papst zu beteiligen. Die beratenden Gremien des Bistums, darunter der Diözesanpastoralrat und der Priesterrat, beraten künftig nicht mehr den Kardinalvikar, sondern den Bischofsrat.

Der Kardinalvikar wird zurückgestutzt

Hieß es bislang, dass der Kardinalvikar im Namen und Auftrag des Papstes die bischöflichen Leitungsfunktionen ausübt, wird nun betont, dass der Papst selbst Bischof von Rom ist und lediglich aufgrund des "umfangreichen Engagements, das die Leitung der Weltkirche erfordert" der Unterstützung in der Leitung seiner Diözese bedarf. Im elften Jahr seines Pontifikats ergreift Franziskus sein Bistum quasi erst wirklich. Der Kardinalvikar wird auch hinsichtlich seines Titels zurückgestutzt: Er wird nun ausdrücklich als "Generalvikar" und "Weihbischof" bezeichnet, zuvor hieß es, der Kardinalvikar werde von den Weihbischöfen unterstützt. Die Rückkehr ins Glied wird im Italienischen und Lateinischen noch deutlicher, wo der außerhalb des deutschsprachigen Raums übliche Begriff "Auxiliar-", also "Hilfsbischof" verwendet wird.

Im Jahr 2015 wurde Angelo De Donatis von Papst Franziskus in der Lateranbasilika zum Bischof geweiht.
Bild: ©picture alliance/Pacific Press Agency/Ciccia/CITYPRESS24 (Archivbild)

Im Jahr 2015 wurde Angelo De Donatis von Papst Franziskus in der Lateranbasilika zum Bischof geweiht. Seit 2017 ist er Generalvikar Seiner Heiligkeit für das Bistum Rom.

Mit der Verminderung der Stellung des Kardinalvikars geht eine deutliche Stärkung der Weihbischöfe einher. Während der Kardinalvikar sich von der Stellung eines regulären Diözesanbischofs entfernt, werden die Weihbischöfe ihr angenähert. Der Bischofsrat ist nicht mehr nur unverbindliches Beratungsorgan des Kardinalvikars. In Bezug auf die Pastoral in der Diözese ist der Kardinalvikar verpflichtet, "stets in Gemeinschaft" mit dem Bischofsrat zu handeln, gegen den Bischofsrat kann er nur mit Zustimmung des Papstes handeln. Das ist ein deutlich anderes Verhältnis zwischen Kardinalvikar und Weihbischöfen als vom Universalkirchenrecht für die Zusammenarbeit zwischen Diözesan- und Weihbischof vorgesehen: Weihbischöfe sollen zwar "vor allen anderen" vom Diözesanbischof zu Rate gezogen werden. Es bleibt aber beim Rat. Der Diözesanbischof entscheidet, die Weihbischöfe haben sich so zu verhalten, "dass sie in Übereinstimmung mit ihm in Dienst und Gesinnung vorgehen" (c. 407 CIC). Ausdrücklich wird nun festgehalten, dass die Weihbischöfe als Bischofsvikare in ihrem zugeteilten Bereich die ordentliche stellvertretende Gewalt haben, anstatt dort nur ihren Dienst auszuüben – sie leiten ihre Bezirke also direkt im Namen des Papstes. Das ist weniger als die ordentliche eigenberechtigte Gewalt des Diözesanbischofs, aber mehr als Weihbischöfen qua Amt üblicherweise zukommt. In der alten Diözesankurienordnung wurde nur dem Kardinalvikar ordentliche stellvertretende Gewalt zugesprochen.

So ausführlich das Vorwort der Apostolischen Konstitution ist, so wenig ist transparent, was der eigentliche Anlass für die Reform ist. Es gibt aber Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass es nicht nur um stärker missionarische und synodale Strukturen geht. Das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und dem 2017 von ihm selbst als Kardinalvikar eingesetzten Angelo De Donatis gilt als angespannt. Ursprünglich galt De Donatis als Vertrauter von Franziskus; 2015 nahm er den Priester, der über Jahrzehnte Aufgaben im Vikariat Rom ausgeübt hatte, unter die Weihbischöfe auf und spendete ihm persönlich die Bischofsweihe. Seit der Corona-Pandemie scheint die gute Beziehung zu bröckeln: Nach nur einem Tag musste der Kardinalvikar im März 2020 ein Dekret zur Schließung der Kirchen Roms wieder kassieren, nachdem Franziskus in einer Predigt zu harsche Covid-Eindämmungsmaßnahmen kritisiert hatte. 2021 ordnete der Papst eine Wirtschaftsprüfung des Vikariats Rom an. Zuletzt wirkte De Donatis, als würde er mit Blick auf die Missbrauchsvorwürfe gegen den Jesuitenkünstler Marko Rupnik zu spät und zu zögerlich vorgehen. Rupnik untersteht als Ordensmann zwar nicht dem Vikariat Rom, sein geistliches Zentrum mit Werkstatt ist dem Vikariat aber seit 2019 in der Rechtsform eines öffentlichen kanonischen Vereins zugehörig.

Kardinalvikar in Ungnade

Die persönlichen Spannungen dürften nur ein Teil gewesen sein, die Franziskus zur Umstrukturierung bewogen hat. Ginge es nur um die gegenwärtige Person des Kardinalvikars, hätte ein personeller Wechsel genügt. Die Reform steht außerdem im Kontext anderer großangelegter Reformprojekte, allen voran die Kurienreform. Auch hier hat Franziskus eine evangelisierende Ausrichtung als Zielbestimmung ausgegeben, auch hier wurde der Dienstcharakter der Strukturen betont. So wie die vatikanische Kurie nun stärker Hilfsorgan des Papstes ist, ist die römische Diözesankurie nun stärker auf ihren eigentlichen Diözesanbischof ausgerichtet. Verfilzungen soll durch eine strengere Personalrotation – im Vikariat wie an der Kurie nun mit fünfjährigen Amtszeiten – vorgebeugt werden. Nach vielen Finanzskandalen legt der Papst Wert auf Kontrolle, und trotz der Bekenntnisse zu einer schlankeren Organisation bleiben die eigentlichen Behörden und Ämter weitgehend gleich, kollegiale Zusammenarbeit sub, aber nicht cum Petro wird gestärkt. Wie bei den anderen großen und kleinen Organisationsreformen seines Pontifikats – beim Souveränen Malteserorden, beim Opus Dei oder bei Caritas Internationalis – macht der Papst deutlich, dass er es ist, der entscheidet, und dass er bereit ist, allzu selbstbewusstes Eigenleben weltkirchlicher Akteure auch persönlich und unter Einsatz seines Jurisdiktionsprimats wieder einzuhegen.

Lateranbasilika
Bild: ©Fotolia/Matteo Gabrieli (Archivbild)

Der Kardinalvikar residiert im Lateranpalast, dem alten Sitz der Päpste, und ist in der Regel Erzpriester der Bischofskirche von Rom: San Giovanni in Laterano.

Ob die Reform der Diözese Rom nun als Blaupause für die Reform anderer Bistümer dienen kann, ist fraglich. Die Normen der Vikariatsordnung sind so speziell auf den Fall des Bistums Rom ausgerichtet mit der Besonderheit des Papstes als Diözesanbischofs, dass kaum etwas in anderen Bistümern davon relevant ist; lediglich eine verbindlichere Beteiligung der Weihbischöfe an der Leitung von Ortskirchen scheint auch in anderen Bistümern umsetzbar, wobei auch das wohl Änderungen im Universalkirchenrecht erfordern würde. Zuletzt war aus dem Vatikan keine Begeisterung für regionale Experimente mit neuen Formen von Kirchenleitung zu vernehmen.

Gerade in Deutschland und gerade mit Blick auf den Synodalen Weg dürfte die römische Reform keinen besonderen Rückenwind bedeuten. Synodalität wird durch den Papst deutlich hierarchischer verstanden als von den Synodalen hier, und am Ende entscheidet nur einer, nämlich er. Laien spielen im Vikariat Rom lediglich beratend, nicht entscheidend eine Rolle, trotz des Bekenntnisses dazu, die "gemeinsame Würde der Taufe" zu stärken. Die zuletzt in immer mehr deutschen Bistümern vorgenommene Aufteilung der Aufgaben des Generalvikars dergestalt, dass Laien neben einem Kleriker die Verwaltung leiten, scheint in Rom undenkbar. Ein klarer Auftrag der Reform ist die Einrichtung von Pastoralräten in allen römischen Pfarreien – ein Standard an Laienbeteiligung, der in Deutschland schon seit Jahrzehnten selbstverständlich ist. Der Bischofsrat ist auch nur das: ein Gremium aus Bischöfen, und wenn diese Organisationsform ein Vorbild synodaler Bistumsreform sein soll, sind die Blütenträume des Synodalen Wegs ausgeträumt. "Synodaler Rat" heißt in Rom etwas ganz anderes als in Frankfurt.

Von Felix Neumann