Himmelklar – Der katholische Podcast

Vatikanjournalist: Benedikt wird nach Tod noch mehr vereinnahmt werden

Veröffentlicht am 11.01.2023 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Die Kritik aus Deutschland zum Tod des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. hat den britischen Vatikanjournalisten Christopher Lamb überrascht. Im Interview spricht er darüber, was nach dem Tod des Emeritus bleibt, warum ihm Menschenkenntnis fehlte und was jetzt aus Erzbischof Gänswein werden könnte.

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Was bleibt von Benedikt XVI.? Der britische Vatikanjournalist Christopher Lamb glaubt, dass das Erbe des verstorbenen emeritierten Papstes schwer zu greifen ist. Im Interview spricht er auch darüber, warum es zwischen den Pontifikaten von Benedikt XVI. und Franziskus mehr Kontinuität gibt, als man allgemein denkt.

Frage: Es gibt ja bis heute eine gewisse Gruppe in der Kirche, die versucht hat, Benedikt zum Gegenspieler von Franziskus zu stilisieren.

Lamb: Das sehen wir in der Tat, und ich befürchte sogar, dass wir das in der nächsten Zeit noch in stärkerem Maße erleben werden. Es gibt ganz klar Kreise, die versucht haben, Benedikt gegen Franziskus auszuspielen – für ihre eigenen Vorteile. Ich finde, das ist eine ziemliche Missrepräsentation dessen, wofür Benedikt eigentlich steht. Er wollte nicht gegen Franziskus stehen. Wenn man seine Texte liest, gibt es viele Bereiche, in denen er auf einer Linie mit Franziskus liegt. Umwelt, Soziales, Finanzen, die Weltlichkeit der Kirche. Und natürlich werden die Pontifikate Benedikt und Franziskus historisch immer miteinander verbunden sein. Ohne Benedikts Rücktritt hätten wir keinen Papst Franziskus. Es gibt also viel mehr Kontinuität, als man allgemein zugesteht.

Natürlich gibt es auch Unterschiede, zum Beispiel beim Thema Liturgie. Benedikt stand auf der traditionelleren Seite. Aber ich denke, je mehr Zeit verstreicht, desto mehr werden die Gemeinsamkeiten der beiden ins Gewicht fallen. Man kann ja nicht erwarten, dass Päpste sich eins zu eins nur kopieren.

Frage: Wie wird denn die persönliche Beziehung der beiden wirklich ausgesehen haben? Schaut man sich Franziskus' Predigt zur Beerdigung an, sprüht die nicht gerade vor Leidenschaft. Auch die anderen Statements zum Tod haben sich doch eher formell angehört. Wäre da nicht mehr gekommen, wenn er wirklich eine Verbindung, eine Freundschaft, eine Wertschätzung empfunden hätte?

Lamb: Diese Predigt hat in der Tat einige Leute überrascht, weil sie mehr zum Leben und Wirken von Joseph Ratzinger erwartet hatten oder zu seinem Charakter, seinen Leistungen. Ich glaube aber, was Franziskus hier gemacht hat, ist, der Tradition treu zu bleiben, dass eine Trauerpredigt keine Grabrede ist, in der der Verstorbene gewürdigt wird. Es geht darum, für einen Verstorbenen zu beten und den Tod in den christlichen Kontext der Hoffnung auf Auferstehung zu setzen. Wenn man das aus diesem Blickwinkel betrachtet, hatte die Predigt durchaus etwas Wertschätzendes und Liebevolles. Was ich wirklich ein starkes Signal fand, war, dass Franziskus die Hand auf den Sarg gelegt hat. Franziskus ist sich sicher bewusst, wie versucht wurde, Benedikt gegen ihn auszuspielen. Da ist diese Handauflegung ein gutes Zeichen, dass da doch eine starke persönliche Beziehung bestand.

Übrigens, als Franziskus Erzbischof von Buenos Aires war, hatte er mitunter große Konflikte mit dem Vatikan. Ratzinger war aber nie jemand, der dieser Opposition angehörte. Sie haben sich gegenseitig immer respektiert. Franziskus hat ihn respektiert als Theologen und auch für seine Bescheidenheit.

Benedikts Rücktritt war ein großer Schritt für den Vatikan, ein großes Zeichen der Bescheidenheit, der das Papsttum für die Zukunft reformiert hat. In diesem Sinne ist das Pontifikat von Franziskus eine direkte Weiterentwicklung von diesem Schritt Benedikts.

Vatikanjournalist Christopher Lamb
Bild: ©Privat

"Man muss ja sagen, dass Benedikt zwar nie etwas gegen diese Kreise unternommen hat, die ihn instrumentalisieren wollten, aber er hat es auf der anderen Seite auch nie gutgeheißen", sagt Vatikanjournalist Christopher Lamb vom britischen Magazin "The Tablet".

Frage: Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht bestreiten, dass es Konflikte und Spannungen gab. Wenn nicht mit Benedikt, dann definitiv mit seinem Umfeld. Das Buch von Kardinal Sarah, der Umgang mit Erzbischof Gänswein. Das sind ja klare Zeichen, dass es nicht nur Harmonie gab.

Lamb: Es gibt definitiv Spannungen. Natürlich hatten Benedikt und Franziskus unterschiedliche Ansätze, bei der Liturgie zum Beispiel. Und es stimmt: Es gibt definitiv ein Problem mit Benedikts Umfeld. Das sieht man ja auch daran, dass Erzbischof Gänswein Werbung für sein Buch gemacht hat, bevor Benedikt unter der Erde war. Das ist schon außergewöhnlich.

Ich habe gerade ein sehr schönes deutsches Wort gelernt, das heißt: Menschenkenntnis. In der Beziehung hat es Benedikt gemangelt, sowohl als Kardinal als auch als Papst. Das war immer ein Problem, weil er in Verantwortungspositionen die falschen Leute auf die falschen Posten gesetzt hat. Ich befürchte, das wird im Nachhinein auch ein großer Teil seines Erbes werden, da dieses Problem sich ja nicht mit seinem Tod erledigt hat. Die Spaltungen könnten also eher noch tiefer werden in nächster Zeit.

Frage: Dabei sagen ja viele, dass Franziskus jetzt mehr Spielraum hat, da eben Benedikt jetzt nicht mehr zum Gegenspieler stilisiert werden kann. Das sehen Sie also anders?

Lamb: Zum Teil. Man muss ja sagen, dass Benedikt zwar nie etwas gegen diese Kreise unternommen hat, die ihn instrumentalisieren wollten, aber er hat es auf der anderen Seite auch nie gutgeheißen. Dieser Faktor fällt nach seinem Tod jetzt weg. Ich sehe also schon das Potential, dass die Spaltungen eher noch angefeuert werden. Wir stecken in einem tiefen Kampf um die Zukunft der Kirche, das wissen Sie in Deutschland am besten.

Frage: Was denken Sie, was nun mit Erzbischof Gänswein passiert?

Lamb: Gute Frage. Ich glaube nicht, dass er irgendwo Diözesanbischof wird. Es ist schon möglich, dass er eine andere Rolle bekommt, auch in Deutschland. Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass er in irgendeiner Position in Rom weitermacht, als Kurienerzbischof. Unter Franziskus hat ja der Rang oder Titel nicht mehr viel mit der Position im Vatikan zu tun. Kardinal Czerny war Untersekretär im Vatikan – als Kardinal. Für Gänswein gibt es also viele Möglichkeiten, auch die, dass gar nichts passiert. Das halte ich noch nicht mal für unwahrscheinlich. Vielleicht fragt ihn Franziskus auch: Was wäre denn dein Wunsch?

Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass Gänswein in die Rolle des Benedikt-Erben fällt und von Konservativen Kreisen zum Anführer der Franziskus-Kritiker stilisiert wird.

„Ich finde es schon etwas schwer zu verstehen, warum man nicht alleine schon aus Nationalstolz das Leben eines deutschen Papstes feiert.“

—  Zitat: Vatikanjournalist Christopher Lamb

Frage: In Deutschland gab es auf den Tod Benedikts viele negative Reaktionen, weitab der üblichen Würdigungen eines verstorbenen Prominenten. Wie war das in Großbritannien oder im Vatikan? Hat man da auch etwas von gemerkt?

Lamb: Von explizit negativen Reaktionen habe ich nichts mitbekommen. Die Menschen sind gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Es gab großen Zuspruch und große Würdigungen seines theologischen Erbes.

Als Benedikt 2013 zurückgetreten ist, gab es große emotionale Reaktionen, das hat vielleicht auch viel vorweggenommen von dem, was sonst jetzt zum Tod gekommen wäre. Das erklärt vielleicht auch, warum die Trauerfeier nicht so groß ausgefallen ist. Der Abschied hat sich also schon seit zehn Jahren angekündigt und seit dem Moment herausgezögert, als er mit dem Hubschrauber den Vatikan verlassen hat.

Frage: Können Sie die kritischen Reaktionen nach dem Tod Benedikts in Deutschland nachvollziehen?

Lamb: Ich muss einschränken, dass es auch über Deutschland hinaus einige negative Reaktionen gab, vor allem von Missbrauchsopfern. Wenn ich mir Deutschland angucke, hätte ich vielleicht doch erwartet, dass man sich mit der Kritik und den Urteilen zurückhält, bis der Papst beerdigt ist. Vielleicht bin ich da zu altmodisch, aber ich finde, der Zeitpunkt über einen Menschen zu richten ist nicht ausgerechnet die Stunde seines Todes.

Frage: Verstehen Sie, warum viele Menschen in Deutschland so kritisch reagieren? Oder hat Sie das überrascht?

Lamb: Ich finde es schon etwas schwer zu verstehen, warum man nicht alleine schon aus Nationalstolz das Leben eines deutschen Papstes feiert. Schauen wir uns Johannes Paul II. und Polen an. Ich weiß nicht, wie es in England aussehen würde. Ich vermute, die Gegner der Katholischen Kirche würden sich auch deutlicher zu Wort melden, das kann ich nachvollziehen.

Ich glaube, das Problem ist, dass das Erbe von Benedikt irgendwie schwer zu greifen oder zu definieren ist. Er war eine komplexe Person und in der heutigen Zeit gehen wir mit Nuancen nicht immer so gut um. Als Katholiken sollten wir lieber das "und" als das "entweder/oder" in den Blick nehmen. Entweder ist er der schlimmste Kardinal, oder der brillante Papst. Vielleicht hatte er Elemente von beiden Seiten. Er hat brillante Schriften verfasst, andere, die weniger brillant sind.

Frage: Vielleicht muss man die Ausmaße des Missbrauchsskandals in Deutschland immer im Blick haben, auch wenn es um die Reaktion auf Benedikt geht. Vielleicht ist auch solch ein Todesfall ein Ventil über den Frust gegen die Kirche.

Lamb: Das ist definitiv so, auch in vielen anderen Ländern. Schauen Sie nur nach Irland oder auch nach England. Der Missbrauchsskandal hat die Menschen regelrecht traumatisiert. Da ist es vollkommen selbstverständlich, dass das auch einen Einfluss auf den Tod eines Papstes hat. Ich denke, deshalb ist auch der synodale Prozess in der Weltkirche so wichtig, weil er ja genau die strukturellen Ursachen für dieses Problem angehen will. Gleiches gilt natürlich auch für den Synodalen Weg in Deutschland.

Diese Reaktion ist also vollkommen verständlich. Das ist einfach der Punkt, an dem die Kirche im Moment steht. Ratzinger war Bischof, bevor die großen Schlagzeilen zum Thema Missbrauch losgingen. Er war Kardinal in Rom währenddessen und hat versucht angemessen zu reagieren. Im Nachhinein sehen wir, dass er mehr hätte tun müssen. Aber zur damaligen Zeit war das schon ein beachtlicher Schritt. Es bleibt also am Ende ein gespaltenes Bild von Joseph Ratzinger.

Von Renardo Schlegelmilch