Liturgiker Gerhards analysiert die Trauerfeier

Benedikt-Requiem: Ein Papstbegräbnis mit Einschränkungen

Veröffentlicht am 06.01.2023 um 13:17 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Liturgieprofessor Albert Gerhards war gespannt auf das Requiem Benedikts. Für katholisch.de analysiert er die vatikanische Feier und die TV-Übertragung im ZDF. Mit Blick auf die Beteiligten kommt er zum Schluss: Hier zeigt sich die ganze Dramatik der Kirchenprobleme.

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Wohl nie zuvor hatten der Petersplatz und die Via della Conciliazione so viele Menschen gesehen wie am 8. April 2005, dem Tag der Beisetzung von Papst Johannes Paul II. Der schlichte Holzsarg stand auf einer Trage vor der Fassade des Petersdoms, auf ihm ein Evangelienbuch, daneben ein Leuchter mit der Osterkerze, darunter ein Teppich, sonst nichts. Diese karge Inszenierung löste vielfach Verwunderung aus, weil man sich für diesen Papst einen höheren Aufwand gewünscht hatte – mache erinnerten sich aber an die nahezu identische Anordnung beim Requiem für Papst Paul VI. im Jahr 1978.

Den Gottesdienst für den verstorbenen Papst aus Polen leitete der damalige Kardinaldekan Kardinal Ratzinger. Dabei überzeugte er nicht nur durch seine Predigt, sondern auch durch die Art und Weise seiner Zelebration, was angeblich einen positiven Einfluss auf seine  Papstwahl gehabt hatte.

Benedikt auf Podest

Der Feierort für den emeritierten Papst Benedikt am 5. Januar 2023 wurde wieder auf ähnliche Weise inszeniert, diesmal stand der Sarg jedoch auf einem der Altarinsel vorgelagerten Podest. Anders als vor 18 Jahren flankierten die konzelebrierenden Kardinale nicht den Sarg, sondern waren auf einer Seite versammelt, während die andere von Angehörigen und Staatsgästen eingenommen wurde.

Bild: ©Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA

Der Vergleich mit dem Requiem von Johannes Paul II. 2005 zeigt: Der Vatikan hat die Sitzordnung geändert und ein Podest für den Sarg aufgebaut.

Im Vorfeld gab es reichlich Spekulationen darüber, wie der Präzedenzfall der Beisetzung eines zurückgetretenen Papstes behandelt werden würde. Faktisch war es ein Papstbegräbnis mit kleineren Einschränkungen bzw. Varianten. Geleitet wurde der Gottesdienst durch Papst Fanziskus, auch wenn dieser aus gesundheitlichen Gründen nur den Eröffnungsteil, die Predigt und das Schlussgebet übernehmen konnte. Den Leitungsdienst des eucharistischen Teils übernahm der jetzige Kardinaldekan Giovanni Battista Re. Das ist eine Rollenteilung, die durchaus vorgesehen ist. Schließlich wäre es auch Res Aufgabe im Todesfall des amtierenden Papstes der Liturgie vorzustehen.

Traditioneller Ablauf

Das Zeremoniell des lateinischen Requiems für einen verstorbenen Papst ist wie alle vatikanischen Gottesdienste streng geregelt, unterscheidet sich aber nicht wesentlich von der allgemeinen Totenliturgie. Dies gilt etwa für die gregorianischen Gesänge, so den Gesang zur Einzugsprozession, den Introitus "Requiem aeternam" mit Versen nach Ps 65, wo um Gottes Barmherzigkeit für die Verstorbenen gefleht wird: "Ewige Ruhe gib ihnen, o Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen." Auffallend waren der schlichte Charakter der mehrstimmigen Teile, der zeitgemäße Gesangstil und die Schola aus Männer- und Frauenstimmen. Auch im Vatikan hat sich im Lauf der letzten Jahrzehnte einiges geändert.

Allerdings gibt es einige Besonderheiten bei der Verabschiedung eines Papstes. Die Farbe der Messgewänder ist rot, lange Zeit exklusiv die Gewandfarbe des Papstes und erst später der Kardinäle. Nach dem durch Papst Franziskus geleiteten Eröffnungsteil mit liturgischer Begrüßung, Bußakt, Kyrierufen und Tagesgebet, der nach römischer Manier ohne ein persönliches Wort der Einführung verläuft, folgte der Wortgottesdienst mit drei biblischen Lesungen. Diese waren nicht die bei Papstbeisetzungen üblichen, sondern eigens für diesen Anlass ausgewählt: Die auf Spanisch vorgetragene erste Lesung aus dem Propheten Jesaja sprach von der Erkenntnis des göttlichen Heils (Jes 29,16-19), worauf Psalm 23(22) als Antwortpsalm folgte. In englischer Sprache folgte ein Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief, der von unserer Hoffnung aufgrund der Auferstehung Christi sprach (1 Petr 1,3-9).

Bild: ©picture alliance / abaca | Vandeville Eric/ABACA

Zwölf Sargträger bringen kurz vor Beginn des Requiems den Sarg Benedikts auf den Petersplatz.

Der Ort, von dem die  Lesungen vorgetragen wurden, war nicht der massive Ambo auf der linken Seite, der dem Evangelium vorbehalten war, sondern ein Klapppult auf der rechten, entsprechend der alten römischen Tradition der Differenzierung der biblischen Lesungen. Die erneuerte Liturgie sieht nur einen Ort der Wortverkündigung vor, um die Einheit des Wortes Gottes beider Testamente zu verdeutlichen. Das Gefälle wurde durch die aufwendige Evangeliumsprozession des Diakons mit dem Evangeliar während des Alleluja-Gesangs (mit einem Vers aus Joh 6,40) noch verstärkt – die Lesungen aus dem Alten Testament und dem Apostelbrief wurden statt aus einem Buch lediglich aus einem Heft vorgetragen. Da zudem die Predigt von Papst Franziskus nur auf das Evangelium einging, den Bericht vom Tod Jesu nach Lukas (Lk 23,39-46), erschien alles vor dem Evangelium eher wie ein Vorspiel des Eigentlichen. Die Homilie (Predigt) des Papstes, die vom Sterbewort Jesu "in manus tuas – in deine Hände" ausging, bewegte durch ihre spirituelle Tiefe. Seinen Vorgänger erwähnte er nur am Ende seiner Ausführungen, allerdings mit ehrenden Worten.

Die Predigt des Papstes

Nach der Predigt wurde eine Zeit der Stille eingehalten, an die sich die Fürbitten in verschiedenen Sprachen anschlossen, die mit einem lateinischen Ruf beantwortet wurden. Nur hier und bei der zweiten Lesung traten Frauen in Erscheinung, so bei der ersten, auf Deutsch vorgetragenen Fürbitte: "Für den emeritierten Papst Benedikt, der im Herrn entschlafen ist: Möge der ewige Hirte ihn aufnehmen in sein Reich des Lichtes und des Friedens."

Der vom Chor vorgetragene mehrstimmige Gesang zur Gabenbereitung, ein inständiges Gebet um Verschonung der Seelen der Verstorbenen vor den Sündenstrafen, entstammt der alten Totenliturgie und befindet sich nicht mehr im offiziellen Repertoire: "Domine Iesu Christe". Nun übernahm Kardinal Re, auch er schon hochbetagt, die Leitung des Gottesdienstes. Er stand zwar mit den Diakonen allein am Altar, aber mit ihm konzelebrierten die Kardinäle, dazu kam eine unübersehbare Schar von Bischöfen und Priestern, die den vorderen Teil des Petersplatzes dominierten. Die Messfeier nach römischen Verständnis ist eine "communio hierarchica", eine hierarchisch gestufte Gemeinschaft, wie hier eindrücklich demonstriert wurde. Dies wurde auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es dem Papst vorbehalten blieb, den Kelch auszutrinken und das Schlussgebet zu sprechen.

Bild: ©picture alliance / abaca | ABACA

Dem eucharistischen Teil des Requiems stand der Dekan des Kardinalkollegiums, Giovanni Battista Re, vor. Stirbt der amtierende Papst, ist es die Aufgabe des Kardinaldekans die gesamte Feier zu leiten.

Die Übergabe und Verabschiedung (Commendatio et Valedictio) des Verstorbenen im Anschluss an die Messe unterschied sich in einigen Punkten von der eines amtierenden Papstes. So fehlten die Allerheiligenlitanei mit der Anrufung der stadtrömischen Heiligen sowie Gebete der Kirche von Rom und der Ostkirchen. Stattdessen gab es ein Gebet für den Papa Emeritus Benedictus.

Die bewegende Verabschiedung des amtierenden Papstes

Die Ehrenbezeigungen waren dieselben wie bei einem amtierenden Papst: zuvor Aufbahrung in der Peterskirche (allerdings kürzer), Auftritt der Schweizergarde, zwölf Sargträger, Beisetzung in den Vatikanischen Grotten nahe am Petrusgrab. Das Geleit in den Petersdom unter dem Gesang des Magnificat, dem Lied der Gottesmutter Maria (Lk 1,46-55) wurde unterbrochen, als sich Papst Franziskus auf bewegende Weise vor dem Portal von seinem Vorgänger verabschiedete.

Bild: ©picture alliance / Stefano Spaziani | Vatican pool/Spaziani

Am Ende des Requiems verabschiedet Papst Franziskus seinen Vorgänger. Auf den Bildern, die die Beisetzung in den vatikanischen Grotten zeigen, ist Franziskus nicht zu sehen.

Das für die Übertragung von Gottesdiensten bestens ausgewiesene ZDF konnte mit der Präsentation des Requiems nicht in allem überzeugen. Die Kommentierung der liturgischen Elemente war teilweise schlichtweg falsch oder deplaziert, was in einem solchen Kontext mehr als ärgerlich ist. Beim Requiem eines Papstes, für den die Liturgie nach eigenem Bezeugen Anfang und Mitte war, das Sanctus im Hochgebet mit "Ehre sei Gott in der Höhe" zu kommentieren und im Hochgebet von "Anrufung der Heiligen" zu sprechen oder zu behaupten, dass "vor allem für die Bischöfe gebetet" würde, ist bedauerlich. Dazu kann man in der Tat die Lektüre des Buchs "Der Geist der Liturgie" von Joseph Ratzinger empfehlen.

Der Gesamteindruck des Gottesdienstes bleibt bei aller Würdigung ambivalent. Die Vorsitzende der Katholischen Landjugend, der man gern mehr Redezeit hätte einräumen können, brachte dies zur Sprache: Die Diversität der katholischen Kirche sei nicht repräsentiert gewesen. Die marginale Präsenz von Frauen verstärkte nur den Eindruck der Inszenierung einer Klerikerkirche, die die Probleme nie in ihrem eigenen System, sondern stets nur im sündigen Individuum verortet. Die Tragik einer Ecclesia semper reformanda sed non reformabilis – einer stets zu erneuernden, aber nicht erneuerbaren Kirche – haftet dem Pontifikat des verstorbenen Papa Emeritus an. Ob sich dies einmal ändern wird, bleibt abzuwarten.

Von Albert Gerhards

Zum Autor

Albert Gerhards ist emeritierter Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.