Ministerium möchte kirchliches Arbeitsrecht im ersten Quartal angehen
Das Bundesarbeitsministerium plant für das erste Quartal, sich mit dem kirchlichen Arbeitsrecht zu befassen. Aus Akten des Ministeriums, die katholisch.de auf Grundlage eines Informationsfreiheitsgesetzantrags erhalten hat, geht hervor, dass für das im Koalitionsvertrag vereinbarte Projekt einer Angleichung ans staatliche Arbeitsrecht zunächst die Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes abgewartet werden sollte. "Erst wenn innerhalb des kirchlichen Bereichs klar ist, wohin die Reise gehen soll, dürfte es möglich sein, – wie im [Koalitionsvertrag] vorgesehen –, gemeinsam mit den Kirchen zu prüfen, inwieweit eine Angleichung des kirchlichen an das weltliche Arbeitsrecht in Frage kommt", heißt es in den Dokumenten, die noch vor der Reform der Grundordnung im November 2022 unter anderem als Gesprächsvorlagen verfasst wurden. Zu berücksichtigen seien außerdem der Ausgang von Gerichtsprozessen zum Umgang mit Kirchenaustritten und Anforderungen an die Kirchenzugehörigkeit.
Nach Einschätzung des Ministeriums hätten neben Gerichtsentscheidungen die jüngsten Änderungen im kircheneigenen Arbeitsrecht bereits dazu geführt, dass seitens der Kirche eine Annäherung an das staatliche Recht stattgefunden habe. Es sei damit zu rechnen, dass sich dieser Prozess in Zukunft fortsetze: "Insofern dürfe der Raum für eine von Seiten des Gesetzgebers beförderte Annäherung im Ergebnis begrenzt sein." Angesichts weiterer umfangreicher Projekte im Arbeitsrecht wie der Umsetzung des EuGH-Urteils zur Arbeitszeiterfassung und der Tarifpolitik will das Ministerium mehrere "offene Großbaustellen" vermeiden, zumal Überschneidungen gesehen werden, "beispielsweise die Frage der Zugangsrechte von Gewerkschaften im Rahmen des Tarifpakets, die auch in kirchlichen Institutionen relevant sein dürfte".
Aus einem Dokument zur Vorbereitung eines Gesprächs mit dem Katholischen Büro, der Verbindungsstelle zwischen Bischofskonferenz und der Bundespolitik, geht hervor, dass sich das Arbeitsministerium insbesondere für den Umgang mit aus der Kirche Ausgetretenen, eine mögliche Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte und die Zukunft des Dritten Wegs zur Festlegung von Arbeits- und Vergütungsordnungen interessiert. Für die Umsetzung des Prüfauftrags aus dem Koalitionsvertrags ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend zuständig, beteiligt sind auch die Verfassungsressorts Innen und Justiz. Auf Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz hin teilten die beiden Ministerien mit, dass es keine Unterlagen zu aktuellen Planungen gebe.
Gewerkschafts-Gutachten sieht großen Änderungsbedarf durch EU-Recht
Am Montag veröffentlichte das Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds ein Gutachten zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht im Arbeitsrecht und seinen Grenzen. Der Gutachter Peter Stein, der ehemaliger Arbeitsrichter ist und die Klägerin im Egenberger-Fall vor dem Europäischen Gerichtshof vertreten hat, kommt darin zu dem Schluss, dass die weitreichenden Selbstverwaltungsrecht der Kirchen in Deutschland "nicht unionsfest" sei: "Die Vorschriften des Unionsrechts über den Diskriminierungsschutz können nicht als Eingriffe in die organisatorische Autonomie der Religionsgemeinschaften angesehen werden. Das kirchliche Arbeitsrecht ist kein religiöses proprium", so das Gutachten. Es fordert, mindestens eine Güterabwägung zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Grundrechten der Beschäftigten vorzunehmen, wenn nicht ganz auf eine umfassende Anwendung des staatlichen Antidiskriminierungsrechts umgeschwenkt werden soll. "Der Topos der christlichen Dienstgemeinschaft darf kein Instrument sein, die Geltung der staatlichen Rechtsordnung zu marginalisieren und das kirchliche Arbeitsrecht gegen Antidiskriminierungsrecht und kollektive Arbeitnehmerrechte zu immunisieren", betont Stein.
Vor allem die Gewerkschaften fordern seit geraumer Zeit die Abschaffung von Ausnahmen für Kirchen, insbesondere im Betriebsverfassungsgesetz, das auf Religionsgemeinschaften keine Anwendung findet. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht Ausnahmen vor und erlaubt eine unterschiedliche Behandlung von Beschäftigten wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften. Mit der Reform der Grundordnung des kirchlichen Dienstes ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, künftig auch in kirchlichen Arbeitsverhältnissen rechtlichen Bewertungen entzogen. Keine Änderungen gab es im kollektiven Arbeitsrecht. Weiterhin halten die Bischöfe an einer eigenen Mitarbeitervertretungsordnung und der Aushandlung von Arbeitsbedingungen im Konsensverfahren des "Dritten Wegs" statt durch Tarifverhandlungen und Arbeitskampf fest. Für den arbeitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, den ehemaligen ver.di-Chef Frank Bsirske, stellt die Grundordnung einen ersten Schritt weg vom kirchlichen Arbeitsrecht überhaupt dar. (fxn)