Was können wir verantworten?
Frage: Herr Hoppe, Sie sind Professor für katholische Theologie an einer Bundeswehr-Universität. Wie geht das zusammen?
Hoppe: Ich vertrete das Fach Sozialethik mit dem Schwerpunkt politische Ethik. Gerade an einer Bundeswehr-Universität sind friedensethische Fragen natürlich prominent. Ich bin der Auffassung, dass diese friedensethischen Perspektiven auf das, was die Bundeswehr tut, auch Thema sein sollten. Vor diesem Hintergrund bin ich also schon an der richtigen Stelle.
Frage: In der kommenden Woche sollen Rüstungsgüter wie Schutzwesten und Helme in den Nordirak geliefert werden. Reicht das aus?
Hoppe: Man muss von der Aufgabe her urteilen, die es zu lösen gilt. Und die Aufgabe ist es, Genozide – also Völkermorde – oder genozidähnliche Handlungen zu verhindern. Davon muss ich ableiten, ob Schutzwesten, Helme und andere Schutzgüter ausreichen, oder ob mehr erforderlich ist. Mein Eindruck ist: Es ist mehr erforderlich. Allerdings ist im Moment vor allem sicherzustellen, dass die dringend benötigten humanitären Hilfslieferungen die notleidenden Menschen erreichen.
Frage: Wäre es demnach vertretbar, dass Deutschland Waffen in die Krisenregion liefert?
Hoppe: Mit Blick auf die Situation haben Waffenlieferungen auch problematische Aspekte. Zum einen gibt es, speziell bei europäischen Rüstungsgütern, zahlreiche Besonderheiten, mit denen die dort Kämpfenden nicht vertraut sind. Der zweite, politische Aspekt ist: Wenn man Waffen liefert, bleiben sie auch vor Ort. Niemand hat eine Kontrolle darüber, was nach dem Ende der Auseinandersetzung damit geschieht.
Frage: Was würden Sie stattdessen vorschlagen?
Hoppe: Aus meiner Sicht wäre es besser, dass sich die Staatengemeinschaft, entsprechend dem Prinzip der Schutzverantwortung, zu dem sie sich bekennt, zu einer begrenzten Intervention entschließt, bei der sie selbst das Heft des Handelns in der Hand behält. Denn wenn sie Waffen an die kurdischen Kämpfer gibt, könnten diese später ihre eigenen politischen Ziele verfolgen, die vielleicht nicht unbedingt dem Frieden in der Region dienen.
Frage: Wie gehen Sie als Theologe damit um, dass dabei auch Menschenleben geopfert werden?
Hoppe: Der entscheidende Punkt ist, zu welchem Zweck das Leben von Menschen aufs Spiel gesetzt wird. Wenn es darum geht, von willkürlicher Gewalt bedrohte Menschen zu retten, dann kann es gerechtfertigt, unter Umständen sogar verpflichtend sein. Wenn jemand in einer zivilen Situation das eigene Leben riskiert, um ein anderes zu retten, würde man ihm nicht vorhalten, dass er unethisch handelt und ihm wahrscheinlich Achtung zollen. Bei unbeabsichtigten Opfern an Unbeteiligten, die die Gewalthandlungen bewirken, sieht das anders aus. Hier muss viel mehr als in der Vergangenheit darauf geachtet werden, dass solche Opfer vermieden bzw. minimiert werden.
„Nicht fragen, wann man Gewalt anwenden darf, sondern wie man verhindern kann, dass sich diese Frage stellt.“
Frage: Die Kirche hat den Terminus des "Gerechten Krieges" geprägt. Was ist damit gemeint?
Hoppe: Die Lehre vom "Gerechten Krieg" wurde aus der Philosophie der Antike übernommen. Es war ein Versuch, dem Unrecht, das mit Kriegen einhergeht, Dämme zu setzen. Vor allem Cicero hat dafür Kriterien entwickelt, die in der christlichen Position zu Krieg und Frieden rezipiert wurden. Es hat sich aber gezeigt, dass man diese Lehre auch missbrauchen kann, indem man als gerecht ausgibt, was gar nicht gerecht ist.
Frage: Heute spricht man eher vom "Gerechter Frieden". Was ist der Unterschied?
Hoppe: Das ist nicht nur eine Sprachkosmetik, sondern meint, dass der primäre friedensethische Auftrag darin liegt, weltweit politische Bedingungen zu schaffen, unter denen keine Gewaltanreize bestehen. Nicht zu fragen, wann man Gewalt anwenden darf, sondern wie man verhindern kann, dass sich diese Frage stellt. Dazu zählt auch so etwas wie faire Teilhabe. Es scheint, dass diese im Irak in den letzten Jahren weitgehend nicht gewährleistet war und ein Grund ist, weswegen der Konflikt diese Zuspitzung gefunden hat, wie wir sie heute sehen.
Frage: Einige lehramtliche Aussagen zu Krieg und Militär lassen sich auf den ersten Blick nur schwer mit der Friedens-Botschaft Jesu vereinbaren. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Hoppe: Ich denke, der wichtigste Aspekt, der eine christliche Friedensbotschaft als solche markiert, besteht darin, die vielen nichtgewaltsamen Formen von Konfliktbearbeitung zu betonen. Diplomatie ist ein solcher Weg, aber daneben gibt es viele andere, etwa interkulturelle und -religiöse Gespräche, die Verfeindungen abbauen, bevor sie sich intensivieren. Diese müssten auch eine kritische Rückfrage an die eigenen kulturellen und religiösen Traditionen zur Folge haben.
Frage: Welche Traditionen meinen Sie?
Hoppe: Man müsste beispielsweise klären, was mit dem in der Publizistik oft zitierten Begriff "Dschihad" gemeint ist. Dann wird schnell klar, dass sich die gegenwärtige Form der islamistischen Gewaltanwendung unter Rückgriff auf dieses Konzept nicht legitimieren lässt. Die Religionsgemeinschaften selbst müssen hier Grenzen ziehen und sagen, welche Auslegung möglich und welche eindeutig ein Missbrauch solcher Lehren ist. Es ist eine ständige Aufgabe aller Religionen, dem Missbrauch der eigenen religiösen Traditionen für die Legitimation von Gewalt den Boden zu entziehen.
Frage: Was sagen Sie zu der rein pazifistischen Position von Margot Käßmann?
Hoppe: Der Pazifismus hat ein authentisches und legitimes Anliegen. Er hat absolut Recht, wenn er sagt, dass man mit Militär unglaublich viel Unheil anrichten kann und die nichtmilitärischen Möglichkeiten zur Konfliktlösung viel zu wenig beachtet werden. Aber es gibt Situationen, die so verzweifelt sind, dass diese Mittel nichts mehr bewirken können. Was ist zu tun, wenn Menschen ermordet werden? Jede Reaktion auf Gewaltakte muss so aussehen, dass sie auch von den jeweils bedrohten Menschen bejaht werden kann. Wenn die Reaktion aber lautet: Ich lasse Euch sterben, dann überzeugt sie nicht und dann will ich sie persönlich auch nicht akzeptieren. Im Hinblick auf Ruanda beispielsweise bedeutet das: Den Völkermord dort hätte man nicht fotografieren und dokumentieren, sondern verhindern müssen.
Das Interview führte Theresia Lipp