Standpunkt

Warum schaffen wir es nicht, uns den Römern verständlich zu machen?

Veröffentlicht am 27.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Beim Gang durch Rom denkt Pater Stefan Kiechle an Deutschland. In Rom sieht er lachende Ordensfrauen und diskutierende Priester. In Deutschland dagegen "fast nur noch Unzufriedenheit und Nörgeln". Sind die Welten vereinbar?, fragt er im Standpunkt.

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Gerade für ein paar Tage in Rom, zu einem internen Jesuitentreffen, ganz brüderlich, unter uns, völlig unklerikal. Geht man durch die Straßen Roms, in der Altstadt, ist überall Kirche präsent: Lachende Ordensfrauen im Habit, diskutierende Priester mit Kollar, ganz selbstverständlich, eher heiter – doch mache ich da nicht den Fehler, das religiöse Personal mit "Kirche" zu verwechseln? Dann denke ich zurück an das Requiem für Papst Benedikt: Die Bilder im Fernsehen zeigten fast nur Ordensfrauen, Priester, Kardinäle, alle in großen Gruppen – das ist also "Kirche"? Was noch auffällt: In Rom sieht man überall Kirchen, meist barock überladen, mäßig gepflegt, aber lebendig. Die ganze Ästhetik – also Sinnlichkeit – des kirchlichen Lebens erscheint akzeptiert, ohne Frage. Und spricht man in Rom mit Leuten, wirkt dieses kirchliche Leben seltsam unkompliziert, irgendwie normal, passend.

Doch denke ich an Deutschland in der Nacht – muss ich seufzen: Als Kirchenmensch ist man ein wenig Fremdkörper, Exot. Meine Existenz wirkt altmodisch, rechtfertigungsbedürftig. Ordensleute und Priester gibt es kaum noch, sie sind wenig sichtbar. Erzähle ich etwa im Zug fremden Leuten von meinem Beruf, reagieren diese meist abweisend, befremdet, bisweilen auch neugierig, aber so, wie man neugierig ist auf ein Museumsstück. In den Medien höre und lese ich fast nur Schräges über die Kirche. Als Sozial- und Bildungseinrichtung wird die Kirche geschätzt, sie wird auch gut verwaltet – aber mehr wird von ihr nicht erwartet. Rede ich mit Kirchenleuten, höre ich fast nur noch Unzufriedenheit und Nörgeln, Enttäuschung und Frustration.

Zwei Welten sind das: die römische Kirche bzw. das dortige kirchliche Personal und die deutsche Kirche. Zwei Blasen auch, die aneinander vorbeireden, denken und fühlen. Kein Wunder, dass die Römer die deutsche Kritik am "System" nicht mehr hören können; kein Wunder, dass wir Deutsche fassungslos sind, wie "Rom" unsere Reformideen abbügelt.

Was könnte helfen? Sich treffen und hören und reden. Warum kommen die Römer – Kardinäle, die ja gerne schon wissen, wie es geht – nicht nach Deutschland und hören, was man in den Gemeinden fühlt und denkt und will? Und warum schaffen wir Deutsche es nicht, uns den Römern verständlich zu machen?

Von Stefan Kiechle SJ

Der Autor

Pater Stefan Kiechle SJ ist seit 2018 Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Zuvor leitete er sieben Jahre die Deutsche Provinz des Jesuitenordens.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.