Joussen: Kirchen ändern ihr Arbeitsrecht nur unter Druck von außen
Der Arbeitsrechtler Jacob Joussen vermisst bei den Kirchen die Bereitschaft, ihr Arbeitsrecht ohne Druck von außen zu verändern. In einem Beitrag für die Zeitschrift "ZMV – Die Mitarbeitervertretung" (Ausgabe Januar/Februar) würdigte der Leiter des Instituts für kirchliches Arbeitsrecht an der Ruhruniversität Bochum zwar die Fortschritte, die insbesondere die katholische Kirche mit der neuen Grundordnung des kirchlichen Dienstes erzielt habe. Es sei bemerkenswert, dass sich die Kirchen inzwischen bewegten und verstanden hätten, dass sich die Zeiten ändern. "Konstatieren muss man indes, dass diese Veränderungen nicht freiwillig erfolgen. Die Kirchen wirken zu oft wie Getriebene, die ändern, weil sie ändern müssen", so der Jurist. Die Entwicklung der Rechtsprechung und der Fachkräftemängel seien die Ursachen für die Modernisierung, keine eigene Überzeugung. Die Bischöfe Stefan Oster (Passau) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) begründeten ihre Zustimmung zum neuen Arbeitsrecht mit Alternativlosigkeit angesichts der Rechtslage.
Joussen sieht beim neuen katholischen Arbeitsrecht insbesondere im Umgang mit Kirchenaustritten weiteren Änderungsbedarf. Nach wie vor hält die Kirche daran fest, dass auch ein Kirchenaustritt vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ein Einstellungshindernis und einen Kündigungsgrund im Arbeitsverhältnis darstellt. "Wie kann ein Verhalten, das vor Vertragsschluss liegt, das Vertragsverhältnis betreffen?", fragt der Professor für Arbeitsrecht. Hier werde der Europäische Gerichtshof absehbar eine Grenze ziehen. Derzeit berät der EuGH über eine Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts zum Fall einer Hebamme, deren Kirchenaustritt erst nach Antritt einer Stelle an einem katholischen Krankenhaus bemerkt wurde und die deshalb entlassen wurde.
Kirchen fordern nur von anderen Teilhabe der Beschäftigten
Defizite sieht Joussen auch im Bereich der Unternehmensmitbestimmung. Weiterhin sieht die Grundordnung keine Beteiligung von Beschäftigten in Aufsichtsgremien kirchlicher Unternehmen vor, lediglich die "Bischöflichen Erläuterungen" zur Grundordnung sehen einen unverbindlichen Prüfauftrag vor. Die Ablehnung der Unternehmensmitbestimmung ist für den Juristen weder inhaltlich nachvollziehbar noch rechtlich haltbar, gerade mit Blick auf die sozialethische Position der Kirchen zur Beteiligung von Beschäftigten: "Die Kirchen sprechen sich schon lange und zurecht für die Teilhabe der Beschäftigten bei grundlegenden Fragen einer Unternehmensführung aus – sie verwehren sie ihnen aber", so Joussen. Es müsse gerade der Anspruch der Kirchen sein, das eigene Mitarbeitervertretungsrecht so auszugestalten, dass die Teilhabemöglichkeiten kirchlicher Beschäftigter nicht hinter denjenigen von Beschäftigten nicht-kirchlicher Unternehmen zurückstehen. Wenn kirchliches Arbeitsrecht sich vom staatlichen unterscheide, müsse immer die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit derartige Abweichungen durch kirchliche Besonderheiten geboten seien. "Das Ergebnis wird sehr eindeutig sein: Es wird deutlich werden, dass ein Zurückbleiben hinter einer an anderer Stelle erreichten Teilhabe kaum je zu rechtfertigen sein wird", zeigt sich der Arbeitsrechtler überzeugt.
Im vergangenen November haben die deutschen Bischöfe die zuletzt 2015 geänderte Grundordnung des kirchlichen Dienstes grundlegend novelliert. Mittlerweile haben fast alle Diözesen die Änderungen umgesetzt. An die Stelle von Anforderungen an die Beschäftigten hinsichtlich Loyalität und Lebensführung ist im kirchlichen Arbeitsrecht jetzt ein stärker institutionaler Ansatz getreten: Die Kirchlichkeit einer Einrichtung bemisst sich nach den neuen Regeln nicht mehr an der Lebensführung ihrer Beschäftigten, stattdessen obliegt es dem Dienstgeber, den kirchlichen Charakter zu prägen. Das kollektive Arbeitsrecht wurde dagegen nicht substantiell geändert. Weiterhin halten die Bischöfe an den Rahmenbedingungen für die Beteiligung von Beschäftigten fest. Das Fehlen einer Unternehmensbestimmung, wie sie im staatlichen Betriebsverfassungsgesetz vorgesehen ist, wurde in Gewerkschaften und Politik, aber auch kirchlichen Mitarbeitervertretungen kritisiert. (fxn)