Franziskus gestaltet die Menschenrechtspolitik der Kirche

Legale Sünde – Der Papst und die Entkriminalisierung von Homosexualität

Veröffentlicht am 16.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Juba/Vatikanstadt ‐ In vielen Ländern steht Homosexualität unter Strafe – oft mit Zustimmung der katholischen Kirche. Franziskus ist der erste Papst, der eine Entkriminalisierung von gleichgeschlechtlichem Sex fordert. Der Weg dahin ist steinig – und nur weil der Papst etwas sagt, gibt es noch lange keinen Konsens.

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Vor und nach seiner Reise in die Demokratische Republik Kongo und in den Südsudan machte Papst Franziskus gut, was er bei seiner ersten großen Afrika-Reise zu Beginn seines Pontifikats noch versäumt hatte: Vor der Reise in einem Interview und auf dem Flug aus dem Südsudan zurück nach Rom sprach sich Franziskus als erster Papst überhaupt gegen die Kriminalisierung von Homosexualität aus. Gegenüber der Agentur "Associated Press" bezeichnete Franziskus Gesetze, die Homosexualität kriminalisieren, als ungerecht. Die Kirche müsse sich für die Abschaffung solcher Gesetze einsetzen: "Sie muss es tun. Sie muss es tun", betonte er – auch wenn ihm bewusst sei, dass es Bischöfe gebe, die es anders sehen. "Diese Bischöfe müssen einen Prozess der Bekehrung durchlaufen", so der Papst.

Besondere Brisanz erhielt das Ende Januar veröffentlichte Interview dadurch, dass er keine Woche später zu einer sechstägigen Reise nach Zentralafrika aufbrach. Von den Bischöfen, die nach Ansicht von Franziskus Bekehrung nötig haben, gibt es vor allem in Afrika viele. Laut der jüngsten Studie zur Kriminalisierung von Homosexualität, die die Organisation "International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association" 2020 veröffentlicht hat, stehen in 69 Mitgliedsstaaten der UN homosexuelle Handlungen unter Strafe. In Afrika sind es 32 der 54 Staaten des Kontinents – regelmäßig mit Zustimmung der Kirche.

Afrikanische Bischöfe forderten Null-Toleranz-Politik gegen Homosexualität

2014 dankten die nigerianischen Bischöfe der Regierung des Landes für eine Gesetzesreform, die gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellte. 2016 forderte die kamerunische Bischofskonferenz eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Homosexualität, eine "abscheuliche Handlung wider die Natur, die in der Gesellschaft Fuß zu fassen droht". 2016, ausgerechnet anlässlich des von Papst Franziskus ausgerufenen Jahres der Barmherzigkeit, beklagten die Bischöfe in Malawi, dass die Regierung von der Kriminalisierung Abstand nehmen wollte. "Das hieße, dass Personen, die sich homosexueller Handlungen oder Beziehungen schuldig machen, nicht strafrechtlich verfolgt werden können", klagte die malawische Bischofskonferenz. 2019 begrüßte der kenianische Kardinal John Njue, dass der Oberste Gerichtshof Kenias keine Einwände gegen langjährige Haftstrafen für Homosexuelle hatte.

Ein trans Mensch aus Uganda steht vor einer Regenbogenflagge.
Bild: ©picture alliance / AP Photo (Archivbild)

Queere Menschen sind in vielen afrikanischen Ländern Diskriminierung ausgesetzt – die meisten Länder, die heute noch Homosexualität kriminalisieren, liegen auf dem Kontinent.

Die erste Afrika-Reise im Pontifikat von Franziskus stand 2015 vor allem deshalb im Fokus der Debatte, weil sie ihn auch nach Uganda führte. Das mehrheitlich christliche Land ist für besonders schwere Repression von Homosexuellen bekannt, die auch von der katholischen Kirche unterstützt wird. 2009 hatte sich zwar der Erzbischof der Hauptstadt-Diözese Kampala, Cyprian Lwanga, im Namen der ugandischen Bischofskonferenz gegen Bestrebungen einer Verschärfung der Strafgesetze ausgesprochen und betont, dass der Anti-Homosexualitäts-Gesetzesentwurf nicht den Anforderungen an einen christlichen Umgang mit dem Thema entspreche: "Die Verfolgung des Sünders, nicht der Sünde, ist der Hauptfehler des Gesetzentwurfs." Aber schon 2012 änderte die Bischofskonferenz ihre Position und unterstützte in einer ökumenischen Allianz mit Vertretern der anglikanischen und orthodoxen Kirchen die Verschärfung der Rechtslage. Zuletzt 2019 war Uganda in den Schlagzeilen, weil erneut Bestrebungen öffentlich wurden, homosexuelle Handlungen mit der Todesstrafe zu belangen – nach internationalen Protesten nahm die Regierung davon Abstand. Jüngst kündigte die anglikanische Kirche in Uganda die Kirchengemeinschaft mit Canterbury auf, nachdem die Church of England zwar nicht die Ehe, aber die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt hatte.

Wirkmächtig ist in Uganda die Gründungsgeschichte des Christentums in dem Land, in der Missbrauch mit Homosexualität vermischt wird. Die "Blutzeugen von Uganda", der heilige Karl Lwanga und seine Gefährten, wurden auf Geheiß von König Mwanga II. im Jahr 1886 getötet, weil sie sich weigerten, dem christlichen Glauben abzuschwören. Ihr Märtyrertod wird nicht nur mit ihrer Glaubenstreue, sondern auch ihrer Opposition gegen pädophile Übergriffe und Vergewaltigungen in Verbindung gebracht: Der König soll sie vor allem umgebracht haben, weil sie sich seinen Übergriffen verweigerten.

Hoffnungen auf Papstworte

Queere Katholiken in Uganda hatten mit der Papstreise 2015 große Hoffnungen verbunden. In einem Interview sagte der Geschäftsführer der ugandischen Organisation für sexuelle Minderheiten, Frank Mugisha, dass ein klares Bekenntnis von Papst Franziskus die Situation von Homosexuellen in Uganda deutlich verbessern würde. "Dann wird die Gewalt gegen uns erheblich zurückgehen. Wenn er etwas sagt, wird die katholische Kirche hier das ernst nehmen", so Mugisha, der selbst praktizierender Katholik ist. Die erhofften Papstworte blieben aber aus.

Auch jetzt hat Papst Franziskus das Reizthema nur vor und nach dem Besuch angesprochen. In der Demokratischen Republik Kongo ist Homosexualität legal. Im Südsudan drohen für homosexuelle Handlungen aber 10 Jahre Haftstrafe. Dort hatten die Interviewäußerungen des Papstes im Vorfeld der Reise schon für Protest gesorgt. "Falls er kommt und uns erklärt, gleichgeschlechtliche Ehen und Homosexualität seien gestattet, antworten wir mit Nein", zitierte der örtliche Sender Radio Tamazuj  den südsudanesischen Informationsminister Michael Makuei Lueth. Die Verfassung des Landes sei eindeutig, und Gott habe in den Augen des Politikers keinen Fehler gemacht, als er den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat.

Menschen feiern und singen auf dem Platz vor der Kathedrale Saint Therese im Südsudan
Bild: ©KNA/CNS photo/Paul Haring (Archivbild)

Menschen feiern und singen auf dem Platz vor der Kathedrale Saint Therese während einer Begegnung von Papst Franziskus mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Seminaristen in Juba (Südsudan). Das Thema Homosexualität hat der Papst erst auf seiner Rückreise angesprochen.

In der Weltkirche gibt es aber auch Stimmen aus den Ortskirchen, die sich gegen eine Kriminalisierung aussprechen. Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay, sagte bereits 2013, dass die Kirche nie gegen die Entkriminalisierung von Homosexualität gewesen sei, weil sie Homosexuelle nie als Kriminelle betrachtet habe. Er wendete sich öffentlich gegen eine Entscheidung des höchsten Gerichts des Landes, ein Gesetz gegen Homosexualität wieder in Kraft zu setzen. Im zentralamerikanischen Belize zog die katholische Kirche 2018 Rechtsmittel gegen eine Gerichtsentscheidung zurück, mit der die Kriminalisierung aufgehoben wurde. Damit konnte die Aufhebung rechtskräftig werden. Ebenfalls 2018 begrüßte der Erzbischof von Port of Spain in Trinidad und Tobago, Jason Gordon, eine ähnliche Gerichtsentscheidung in dem karibischen Inselstaat. In Singapur befürwortete Erzbischof William Goh zwar grundsätzlich eine Entkriminalisierung, sah aber in konkreten Gesetzesvorhaben die Gefahr, damit den Weg für weitergehende Rechte queerer Menschen zu ebnen.

Ratzinger betonte Gefahr für Leben und Wohlfahrt von Menschen

Bis Franziskus sich als erster Papst gegen die Kriminalisierung von Homosexualität aussprechen konnte, musste die Kirche einen langen Weg zurücklegen. 1986 warnte Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation noch vor der ernsthaften Bedrohung von "Leben und Wohlfahrt einer großen Zahl von Menschen" durch die "Praxis der Homosexualität". Zwar sei es zu bedauern und zu verurteilen, dass homosexuelle Personen Objekt übler Nachrede und gewalttätiger Aktionen waren und sind. "Dennoch sollte die gebotene Antwort auf die Ungerechtigkeiten an homosexuellen Personen in keiner Weise zu der Behauptung führen, die homosexuelle Veranlagung sei nicht ungeordnet. Wenn eine solche Behauptung aufgestellt und homosexuelles Tun folglich als gut akzeptiert wird oder wenn eine staatliche Gesetzgebung eingeführt wird, welche ein Verhalten schützt, für das niemand ein irgendwie geartetes Recht in Anspruch nehmen kann, dann sollten weder die Kirche noch die Gesellschaft als ganze überrascht sein, wenn andere verkehrte Vorstellungen und Praktiken an Boden gewinnen sowie irrationale und gewaltsame Verhaltensweisen zunehmen", so Ratzinger. Ob von der Formulierung einer Einführung einer Gesetzgebung, die ein Verhalten als gut akzeptiert, nach dem Präfekten auch eine Entkriminalisierung erfasst wäre, blieb im Ungewissen.

Papst Johannes Paul II. begrüßt die Menschen aus einem weißen Papamobil
Bild: ©KNA/KNA-Bild (Archivbild)

Während des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. hat sein Glaubenspräfekt, Kardinal Joseph Ratzinger, einige Dokumente zum Umgang mit Homosexualität veröffentlicht.

1992 bekräftigte die Glaubenskongregation die Position von 1986, dass es gerechte Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung geben könne. "So wird es ja auch akzeptiert, daß der Staat z.B. im Falle von Menschen, die ansteckende Krankheiten haben oder geistig krank sind, die Ausübung von Rechten einschränken kann, um das Allgemeinwohl zu schützen", heißt es in dem Schreiben mit "Anmerkungen bezüglich der  Gesetzesvorschlägen zur Nicht-Diskriminierung homosexueller Personen". 2003 veröffentlichte die Glaubenskongregation "Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen" – datiert auf den Gedenktag der Blutzeugen von Uganda. Papiere wie dieses führten dazu, dass das Onlinemagazin "queer.de" in seinem Nachruf auf den späteren Papst von "einem der größten queerfeindlichen Hetzer" sprach.

Bis zu einer expliziten Distanzierung dauerte es noch: 2008 sprach sich die Delegation des Heiligen Stuhls bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die Rechte homosexueller Menschen aus: "Der Heilige Stuhl setzt sich weiterhin dafür ein, dass jedes Anzeichen einer ungerechten Diskriminierung von Homosexuellen vermieden wird, und fordert die Staaten auf, strafrechtliche Sanktionen gegen sie abzuschaffen", heißt es in einer Stellungnahme zur "UN-Erklärung zu Menschenrechten, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität". Zugleich distanzieren sich die Vatikan-Diplomaten von den in der Erklärung angeführten Kategorien "sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsidentität", die als neue, im Völkerrecht nicht etablierte Begriffe für Rechtsunsicherheit sorgen würden.

Hoffnung auf Papst Franziskus

Von Anfang an war das Pontifikat von Franziskus mit Hoffnungen auf eine Verbesserung für die Haltung der Kirche zu queeren Menschen verbunden. "Wer bin ich, ihn zu verurteilen", hieß es vom Papst schon im Jahr seiner Wahl 2013. Als Erzbischof von Buenos Aires hatte er 2010 die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner noch als "Schachzug des Teufels" gebrandmarkt, 2020 überraschte er mit einem Plädoyer für die zivilrechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften – in diametralen Gegensatz zum Schreiben der Glaubenskongregation von 1986. Im Jahr zuvor hatte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin eine Delegation des weltweiten Dachverbands von queeren Verbänden ILGA empfangen. Auf der Tagesordnung stand unter anderem das Thema der Entkriminalisierung von Homosexualität. Das erhoffte Treffen mit dem Papst selbst kam allerdings nicht zustande. Parolin sicherte der Delegation aber zu, die Anliegen dem Papst vorzutragen.

Altar mit einer Regenbogenfahne
Bild: ©KNA/Rudolf Wichert (Symbolbild)

Unter Papst Franziskus hat sich die Glaubenskongregation deutlich gegen die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren ausgesprochen.

Möglicherweise ist die nun klare Positionierung von Papst Franziskus auch eine Auswirkung dieses Dialogprozesses. Nach dem Reuters-Interview zeigte sich die ILGA zufrieden. "Wir können diesen Worten mehr als zustimmen", heißt es in der Pressemitteilung. Die einfache Aussage des Papstes habe das Potenzial, einen dringend benötigten Wandel einzuleiten und könne Millionen von Menschen aus der Community helfen. Nun dürfe der Vatikan sich aber nicht darauf ausruhen. Nur gute Worte würden den Menschen nicht helfen, deren Leben und Existenz weiterhin bedroht sind. "Wir fordern den Heiligen Stuhl auf, diesen Worten konkrete Taten folgen zu lassen. Die katholische Kirche und ihre Institutionen können und sollten eine aktive Rolle bei der Unterstützung von Entkriminalisierungsbemühungen in der ganzen Welt und innerhalb der Vereinten Nationen und multilateralen Foren spielen, wo seit langem die Abschaffung dieser zutiefst falschen Gesetze gefordert wird", betonte ILGA-Geschäftsführerin Julia Ehrt.

Bei allen Annäherungen und wohlwollenden Signalen bleibt Papst Franziskus allerdings in seinen grundsätzlichen Wertungen der Lehre der Kirche treu: An der Feststellung des Katechismus, dass homosexuelle Neigungen "objektiv ungeordnet" sind, rüttelt er bestenfalls durch eine höhere Empathie gegenüber queeren Menschen – und sieht in der Lehre auch keine Abwertung durch die Kirche. Lediglich könne es "positive Elemente" in homosexuellen Beziehungen geben, gestand sein oberster Glaubenshüter, Kardinal Luis Ladaria, in seinem Nein zu Segnungsfeiern zu. Ungleichbehandlungen bleiben damit auch unter Franziskus weiterhin zulässig, solange es nicht ungerechtfertigte Zurücksetzungen sind, wie es in der Sprache des Katechismus heißt. Nur ein schwacher Trost dürfte sein, dass Franziskus in seiner Erläuterung seiner Interview-Aussagen im Vergleich zur im Katechismus dokumentierten Lehre eine moralische Abrüstung vorgenommen hat: Weder spricht er mit Verweis auf die Bibel von "schlimmer Abirrung" noch von einem Verstoß gegen das natürliche Recht. Stattdessen ordnet er unerlaubte homosexuelle Handlungen gleichwertig neben unterlaubte heterosexuelle ein: "Es ist eine Sünde, wie jede sexuelle Handlung außerhalb der Ehe." In der katholischen Kirche ist das schon Fortschritt.

Von Felix Neumann