Dogmatiker Neuner: Erstes Vatikanum kein Hindernis für synodale Kirche
Der Dogmatiker Peter Neuner sieht in den Papstdogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1869–1870) kein Hindernis für mehr Synodalität in der Kirche. In der Zeitschrift "Stimmen der Zeit" (März-Ausgabe) stellt der Theologe fest, dass das Konzil dem Papst in erster Linie einen Auftrag für die Einheit der Kirche und der Christenheit zugesprochen, diesen aber in einem vom Absolutismus übernommenen Denkrahmen formuliert habe. "Dieser ist nicht der dogmatisch verbindliche Gehalt, sondern allein die unter den Bischöfen des Ersten Vatikanums dominante und von Papst Pius IX. propagierte, aber höchst zeitbedingte und einseitige Denkform", so Neuner: "Sie muss und kann überwunden werden, damit die Botschaft vom Dienst an der universalen Einheit der Kirche 'vollständiger und vollkommener' Gestalt gewinnt, als es in der kirchenamtlichen Rezeption durchgesetzt wurde."
Die Position der bei der Abstimmung auf dem Konzil unterlegenen Bischöfe sei schon früh bei der Auslegung der Dogmen vom Jurisdiktionsprimat und der Unfehlbarkeit führend geworden, meint der Dogmatiker: "Sie betonten die Einbindung des Papstes in den Konsens der Kirche und in ihre Tradition, also genau die Aspekte, für deren Aufnahme sie im Konzil vergeblich gekämpft hatten." So werde auch heute in der katholischen Dogmatik das Papsttum durchweg als Dienst an der Einheit der Kirche verstanden. Dennoch habe auch nach dem Zweiten Vatikanum, das das Amt der Bischöfe aufgewertet und Communio (Gemeinschaft) zum Schlüsselbegriff gemacht habe, die römische Kurie die Kirche nach Vorstellungen regiert, "die weit mehr vom Absolutismus im Gefolge des Ersten Vatikanums inspiriert waren als von der Idee des Volkes Gottes und der Gleichheit seiner Glieder".
Synodalität als Gegenbegriff zum monarchischen Absolutismus
So erkläre sich auch der Widerstand gegen das synodale Projekt von Papst Franziskus: "Denn Synodalität ist schon von der Etymologie her ein Gegenbegriff zu monarchischem Absolutismus", so Neuner. Der Begriff der Synode beinhalte die Vorstellung von einem gemeinsamen Weg, er schließe sowohl Alleinherrschaft als auch das Beharren auf einem Ist-Zustand aus, betont der Dogmatiker: "Synoden sind Prozesse, in denen die Kirche als Gemeinschaft handelt und unterwegs ist, in denen sie sich in noch unbekanntes Terrain vorwagt, um ihr Wesen und ihren Auftrag besser zu erfüllen, als sie das im Augenblick tut oder bisher getan hat."
Nach Ansicht von Neuner könne daher durch das Projekt der Synodalität auch die Regelungen des geltenden Kirchenrechts nicht unberührt gelassen werden, in denen der Jurisdiktionsprimat des Papstes stärker betont wird als seine Einbindung in die Gemeinschaft und sein Einheitsdienst: "Sie müssen überführt werden in Regeln, die dem Dienst an der Einheit des Volkes Gottes in unserer Zeit und Welt konkrete Gestalt verleihen." Dabei sei zu bedenken, dass Dienst nur von dem her verstanden werden könne, dem er gelte: "Folglich ist der Primat von der Kirche als Volk Gottes her und innerhalb dieses Rahmens zu verstehen." Ausgangspunkt sei die Kirche als Gemeinschaft. Der Primat sei dafür zwar unverzichtbar, er müsse aber subsidiär wirken, "sollte also dort und nur dort eingreifen, wo die synodalen Strukturen einer konkreten Herausforderung nicht gewachsen sind".
Bischofssynode soll Einbindung des Papstes in Konsens der Kirche erarbeiten
Synodalität kann sich für Neuner nicht darin erschöpfen, dass der Papst und vor allem die Kurie auf einige Vollmachten verzichten, "die sie in ihrer derzeitigen All- und Alleinzuständigkeit beanspruchen". Es brauche einen Perspektivwechsel: "Die Entscheidung, ob um der Einheit willen ein Eingreifen des universalkirchlichen Amtes angezeigt oder notwendig ist, kann jedenfalls nicht von diesem allein getroffen werden." Von der Bischofssynode zur Synodalität erhofft sich der Dogmatiker, dass darauf eine verbindliche Festschreibung folgt, wie sich die Einbindung des Papstes in den Konsens der Kirche und der Christenheit konkret gestalten soll, insbesondere durch Regelungen für Konfliktfälle. Mit "Pastor aeternus" verabschiedete das Erste Vatikanische Konzil 1870 die Konstitution, die das Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma identifizierte. In der Formulierung des Kirchenrechts bezeichnet das Jurisdiktionsprimat die "höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt", die der Papst als "Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden […] immer frei ausüben kann" (can. 331 CIC/1983).
Ende Januar hatten sich die beiden für den synodalen Prozess verantwortlichen Kardinäle Mario Grech und Jean-Claude Hollerich in einem Brief an die Bischöfe der Weltkirche gewandt, um das von Papst Franziskus vertretene Verständnis von Synodalität einzuschärfen. In der "konstitutiv synodalen Kirche" seien alle aufgerufen, ihr eigenes kirchliches Charisma auszuüben, um den gemeinsamen Auftrag der Evangelisierung zu erfüllen, heißt es in dem Brief. Die Bischöfe hätten im synodalen Prozess die Aufgabe, die ihnen anvertraute Konsultation des Volkes Gottes einzuleiten, zu leiten und abzuschließen. In den weiteren Phasen müssten sie gemeinsam im Kollegium der Bischöfe ihr "Charisma der Unterscheidung" ausüben. "Wir sind überzeugt, dass der Heilige Geist, der den Kurs der Kirche leitet, uns auf diesem Weg erfahren lässt, wie 'die Bischofssynode, die den katholischen Episkopat repräsentiert, zum Ausdruck der bischöflichen Kollegialität in einer vollkommenen synodalen Kirche wird'", zitieren die Kardinäle Papst Franziskus. Schließlich sei es das Vorrecht des Papstes, die Synodalversammlungen einzuberufen, zu leiten und zu bestätigen. (fxn)