Sternberg zu Kirchen-Reformen: Papst Franziskus will Zeitenwende
Thomas Sternberg gehörte 2019 als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) zu den treibenden Kräften beim Start des Synodalen Wegs zur Zukunft der Kirche in Deutschland. Kurz vor dessen Ende erhöht der Vatikan den Druck auf den Reformdialog. Papstbotschafter Nikola Eterovic überbrachte ein klares Nein zur Gründung eines neuen Leitungsgremiums von Bischöfen und Laien in Form eines Synodalen Rates. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert Sternberg, dessen Amtszeit an der Spitze des ZdK 2021 endete, warum er trotzdem auf Änderungen in der Kirche hofft.
Frage: Herr Sternberg, Hand aufs Herz, wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten gedacht: Gut, dass ich nicht mehr in der vordersten Reihe beim Synodalen Weg stehe?
Sternberg: Ich gebe zu, dass ich das häufiger gedacht habe. Aber das bezieht sich bei weitem nicht nur auf den Synodalen Weg.
Frage: Sondern?
Sternberg: Mich bewegt, wie schlecht das Image ist, das die katholische Kirche hat, und mich bekümmert jeder Kirchenaustritt. Das zeigt aber auch, dass es richtig ist, auf dem Synodalen Weg die strukturellen Probleme zu behandeln, die zum unfassbaren sexuellen Missbrauch auch von Klerikern führen konnten - und die zugleich den Reformstau aufgebrochen haben, der seit Jahrzehnten herrscht und bei Katholiken nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Fragen aufwirft.
Frage: Welche Fragen sind das?
Sternberg: Wie konnte die Kirche beim Thema Frau dermaßen in die Defensive geraten, wo doch Frauen in der Kirchengeschichte eine so bedeutende Rolle gespielt haben, mehr als in anderen Religionen und Gesellschaften? Wie kann es sein, dass die Kirche bei der Normalität demokratischer Verfahren, der Selbstverständlichkeit von Mitbestimmung und Gewaltenteilung, dermaßen im Hintertreffen ist - obwohl diese Probleme der Kirche keineswegs normativ eingeschrieben sind? Wie kann es sein, dass Geschlecht und Nicht-Heirat als Voraussetzung der Weihe für wichtiger gehalten werden als die pastorale Not der Gemeinden? Wie konnte in Deutschland kirchliche Subsidiarität immer weiter durch Bistumsverwaltungen ersetzt werden?
Frage: Jetzt hat der Vatikan, ausgelöst durch eine Bitte um Klärung von fünf Bischöfen, noch einmal sehr deutlich seine Vorbehalte gegenüber dem Synodalen Weg bekräftigt, vor allem mit Blick auf die von der Synodalversammlung geforderte Einrichtung eines Synodalen Rates. Gibt es kurz vor dem letzten beschlussfassenden Treffen der Synodalen überhaupt noch echte Spielräume?
Sternberg: Es ist schon erstaunlich, dass man in Rom offenbar auf fünf Einzelmeinungen mehr hört als auf 220 Synodale, inklusive 63 Bischöfe. Der Synodale Rat ist im Grunde genommen ja eine Erweiterung der Gemeinsamen Konferenz von Laien und Bischöfen, die es schon seit rund 50 Jahren, seit der Würzburger Synode, gibt. Soll auch die künftig abgeschafft werden? Er ist zudem die Erweiterung der synodalen Strukturen, die wir auf Ebene der Pfarrgemeinden und Bistümer mit den Pastoralräten haben.
Ist das alles Makulatur? Eins ist ohne Frage längst Makulatur: Die Vorstellung, dass nur geweihte Amtsträger entscheiden können. Dieses Konzept ist nicht zuletzt in Zeiten des katastrophalen Priestermangels nicht mehr aufrechtzuerhalten und wird in funktionierenden Räten längst nicht mehr durchgesetzt.
Frage: Kritiker des Synodalen Weges warnen vor einer Kirchenspaltung, sollte in wenigen Tagen bei der Vollversammlung in Frankfurt gegen den Willen des Vatikan am Synodalen Rat festgehalten werden.
Sternberg: Was in Frankfurt beschlossen wurde und wird, ist ganz sicher kein Schisma und hat auch nichts mit einem deutschen Sonderweg zu tun. Das halte ich angesichts der globalen Verantwortung der Katholiken in Deutschland und dem internationalen Echo für den dümmsten aller Vorwürfe. Und liest man einmal das nach, was der Nuntius am 27. Februar gesagt hat, liegt der Irrtum offen zutage: ein Synodaler Rat in Form einer kirchenrechtlichen Bischofssynode soll doch gar nicht etabliert werden.
Frage: Worum geht es dann?
Sternberg: Es geht vor allem darum, auf der Ebene der Bischofskonferenz die gleichen de facto demokratienahen Strukturen zu etablieren, wie sie auf Pfarrei und Diözesanebene in pastoralen und vor allem vermögensrechtlichen Fragen sehr oft funktionieren. Und auch in den bischöflichen Kommissionen beraten doch längst mehr "Laien" als Bischöfe. Wenn eine Kirche in einem Land wie Deutschland etwas mutiger die Dinge in die Hand nimmt, kann das kein Fehler sein. Die Defizite liegen eindeutig in Rom.
Frage: Können Sie das erläutern?
Sternberg: Aus Deutschland ist das Konzept einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Rom gegangen, das eine Arbeitsgruppe um Erzbischof Ludwig Schick im Auftrag aller Bischöfe erarbeitet hat. Wir haben dazu auf den Sitzungen des Synodalen Wegs immer wieder Berichte gehört, letztlich aber nichts mehr, weil es nichts Neues gibt. Man wird einfach hingehalten. Dass Rom nicht reagiert, ist beleidigend und skandalös. Sicherlich repräsentieren wir nur zwei Prozent der Katholiken in der Welt, aber wir sind doch kein unwichtiges katholisches Land! Meines Erachtens kann die Reaktion nur sein, dass man die Verwaltungsgerichte, die im Einklang mit dem Kirchenrecht stehen, in Deutschland ohne Stellungnahme aus Rom einführt.
Frage: Sie glauben weiter an Reformen in der Kirche?
Sternberg: Ich bin absolut überzeugt davon, dass wir in der katholischen Kirche Veränderungen in den wichtigen Fragen bekommen werden. Nicht nur, weil der Papst das immer wieder anmahnt und einen synodalen Prozess auf Ebene der Weltkirche gestartet hat. Sondern auch, weil das dem Lebensgefühl der Menschen und der Situation der Kirche entspricht. Ich glaube, dass wir derzeit Rückzugsgefechte erleben von einigen Stellen im Vatikan, die offenbar erschreckend wenig über das kirchliche Leben vor Ort informiert sind. Der Papst hat in seinem so wichtigen Brief an uns Gläubige in Deutschland schon 2019 von einer "Zeitenwende" gesprochen. Die gilt es zu gestalten.