Kranemann: Segensfeiern nicht vorrangig von Abgrenzung her gestalten
Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann fordert schon seit längerer Zeit, dass die katholische Kirche Segensfeiern für homosexuelle Paare anbieten muss – und hat sich auch wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt. Was hält er dementsprechend bei der Ausgestaltung solcher Feiern für wichtig, auch im Blick auf die schwierige theologische und weltkirchliche Gesamtsituation? Und wie wird man aus seiner Sicht der Forderung im Beschluss des Synodalen Wegs gerecht, dass sich solche Feiern von einer kirchlichen Trauung unterscheiden müssen? Ein Interview.
Frage: Herr Kranemann, nach dem Beschluss des Synodalen Wegs soll es bald eine Handreichung für Segensfeiern für Paare geben, die keine sakramentale Ehe eingehen können oder wollen. Sie sprechen sich schon lange dafür aus, dass man solche offiziell in der Kirche einführen soll. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie diese Handreichung aussehen könnte – oder haben Sie gar schon etwas Fertiges in der Schublade?
Kranemann: Ich habe zwar viele Texte gesammelt, aber einen fertigen Ritus in der Schublade habe ich nicht. (lacht) Das ist aber auch gar nicht die Aufgabe der Liturgiewissenschaft. Ich finde spannend, dass eine ganze Reihe solcher Feiern in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten aus der Praxis und damit an der Basis entstanden ist. Die Liturgiewissenschaft muss sie reflektieren, theologisch kommentieren oder gegebenenfalls auch kritisieren. Gerade das Beispiel dieser Segensfeiern zeigt sehr klar, dass Liturgie eben nicht "top-down", also von oben herab konzipiert wird, sondern dass sich neue gottesdienstliche Formen aus der Praxis und damit aus Lebenssituationen heraus entwickeln.
Frage: Welche Elemente dieser Feiern finden Sie aus liturgiewissenschaftlicher Sicht denn besonders spannend?
Kranemann: Es sind ja nicht nur Beispiele aus der katholischen Kirche, sondern aus verschiedenen christlichen Kirchen. Was mir auffällt: Es sind wirklich komplexe Liturgien. Zu diesen Gottesdiensten gehören selbstverständlich eine Wortverkündigung, dann kürzere oder längere Segensgebete – zum Teil sehr überzeugend – und selbstverständlich auch Zeichenhandlungen. Das sind also nicht irgendwelche kurze Riten, sondern es geht um Lebenssituationen, die vor Gott und um der Menschen willen in sehr ausdifferenzierten, feierlichen Gottesdiensten begangen werden. Es sind Feiern, die nicht im Verborgenen begangen werden, sondern die einen öffentlichen Charakter haben. Das halte ich für einen wichtigen Aspekt.
Was bei den Feiern in verschiedenen christlichen Kirchen auffällt: Es gibt häufig Fürbitten oder Gebetseinheiten, in denen deutlich wird, dass die Kirche mit der jeweiligen Feier eine Korrektur ihrer Tradition vornimmt. Die Geschichte der Verletzungen und Ausgrenzungen wird bekannt. Man kann, vielleicht auch in Form eines Schuldbekenntnisses, die Aussage finden, dass in der Geschichte der Kirche homosexuelle Menschen diskriminiert worden sind. Die jeweilige Kirche bekennt sich in der feiernden Glaubensgemeinschaft zu diesem Paar und spricht ihm Schutz und Nähe zu. Da darf schon von einem sehr deutlichen Paradigmenwechsel gesprochen werden. Hier verändert sich entsprechend auch die katholische Kirche gerade sehr weitreichend – und es ist aus meiner Sicht ein Erfolg des Synodalen Wegs, dass man an diesem Punkt so weit gekommen ist.
Frage: Das Thema Segensfeiern ist insgesamt aber in eine sehr schwierige theologische und kirchenpolitische Gemengelage eingebettet. Worauf gilt es da aus Ihrer Sicht besonders zu achten? Es gibt ja auch Aufforderungen, bei der Ausgestaltung der Segensfeiern besonnen zu agieren mit Blick auf die Diskussionen mit Rom und der Weltkirche.
Kranemann: Ich sehe nicht, dass der Bogen überspannt wird, wenn man beispielsweise eine Feierform entwickelt, die wirklich Partnerschaftssegnung ist. Sicher: Man wird im Gespräch bleiben müssen. Man wird immer wieder erklären müssen, was diese Feiern bedeuten. Man wird dafür gewinnen müssen. Aber nachdem beim Synodalen Weg sehr lange und sehr intensiv theologisch und praxisbezogen auf hohem Niveau um diese Fragen gerungen worden ist, darf man jetzt mit Souveränität drangehen, diese Feiern offiziell zu einer Liturgie der Kirche zu machen. Wenn sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in Belgien, Österreich oder in Teilen der Schweiz solche Feiern entwickeln, bin ich optimistisch, dass das zu einem Nachdenken in der katholischen Welt führt und dass man nach und nach weite Teile der Kirche insgesamt mitnehmen kann.
Frage: Um es auf den Punkt zu bringen: Sie erwarten kein vatikanisches Eingreifen in dieser Sache?
Kranemann: Ich will da gar nicht spekulieren. Sicherlich wird es Diskussionen, Einwände, Einspruch geben. Aber man hat sich beim Synodalen Weg aus sehr guten theologischen und pastoralen Gründen entschieden, diesen Weg einzuschlagen. Er kann und muss jetzt souverän weitergegangen werden.
Frage: Nun muss diese Feierpraxis zwei Anliegen gerecht werden: Sie muss die Lebenssituation und den Segenswunsch dieser Paaren ernstnehmen und zugleich die sakramentale Ehe in ihrer besonderen Bedeutung für die Kirche stärken. Wie kann oder soll sich das konkret niederschlagen?
Kranemann: Im Blick auf die Segensfeiern für homosexuelle Paare und die Trauung wird zunächst jedem klar sein, dass es unterschiedliche Situationen, aber auch Feiern sind, wenn nicht Mann und Frau vorne in der Kirche stehen, sondern zwei Frauen oder zwei Männer. So weit sind Menschen mit kirchlicher Lehre schon vertraut. Es muss im Segensgebet und in weiteren Gebeten für dieses Paar passende biblische Bilder und Formulierungen geben. Die Texte werden konsequent auf die Situation dieser Paare eingehen. Ich möchte aber sehr davor warnen, diese Feiern vor allen Dingen unter dem Aspekt zu gestalten, wie sie sich von der Trauung unterscheiden. Das Entscheidende ist, dass hier eine Form der Liturgie gefunden wird, die den Menschen, ihrer Lebenssituation und ihrem Glauben gerecht wird. Wenn man vor allem auf Abgrenzung setzt, schadet man nicht nur dem Prozess der Entwicklung dieser Liturgien – man kommt auch theologisch in ganz schwieriges Fahrwasser.
Frage: Inwiefern?
Kranemann: Es geht dann rasch um Abstufungen, die vom Grundgedanken eines Gottesdienstes höchst problematisch sind, denn hier wie dort geht es um Leben und Feiern in der Gegenwart Gottes. Es würde eine Abgrenzung in die liturgischen Feiern eingetragen, die erneut Menschen zeigen würde, dass ihre Partnerschaft nicht dem entspricht, was "eigentlich" und als "normal" gewollt ist. Und schließlich wirft jeder neue Versuch der Abgrenzung die Frage auf, wie ernst es der Kirche mit ihrer Umkehr und dem Miteinander mit ihren gleichgeschlechtlichen Glaubensgeschwistern wirklich ist.
„Das Entscheidende ist, dass hier eine Form der Liturgie gefunden wird, die den Menschen, ihrer Lebenssituation und ihrem Glauben gerecht wird. Wenn man vor allem auf Abgrenzung setzt, schadet man nicht nur dem Prozess der Entwicklung dieser Liturgien – man kommt auch theologisch in ganz schwieriges Fahrwasser.“
Frage: Sie sagen, man sollte diese Feiern nicht so sehr vom Aspekt der Abgrenzung her konzipiereren. Bei einem homosexuellen Paar ist den Menschen vermutlich eher klar, dass es eine andere Situation ist. Aber ist es das auch bei wiederverheirateten Geschiedenen, die sich segnen lassen wollen?
Kranemann: Diese Feiern werden anders aussehen als die Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare, aber auch anders als die Feier der Trauung. In diesem Fall geht es um eine Geschichte mit Brüchen, um verletzte und gescheiterte Beziehungen. Die Feier wird deutlich machen, wie sehr dieses Paar mit seiner schwierigen Lebensgeschichte die Begleitung Gottes braucht und auf sie vertraut. Das alles werden solche Segensfeiern thematisieren müssen. Darum wird man Feier für Feier neu ringen müssen. Das sind wirklich anspruchsvolle Feiern für alle Beteiligten, übrigens auch Feiern, die in ihrem Umgang mit Bibel, Gebet, Zeichen auch theologisch wie gestalterisch anregend etwa für die Feier der Trauung sein können.
Frage: Wenn man die Segensfeiern nicht zu sehr von der Abgrenzung her verstehen soll – wie könnte man deren Bedeutung positiv herausstellen?
Kranemann: Positiv herausstellen könnte man zum Beispiel etwas, das liturgisch gar nicht so neu ist: dass man das Gemeinsame liturgischer Feiern mit Blick auf Ehe und Partnerschaft betont. Das fasst man unter den Begriff der "sakramentlichen Liturgie", um bei allen Differenzierungen deutlich zu machen, dass all diese Feiern am Christusgeschehen und an Gottes Bund mit den Menschen partizipieren. Bei jeder diese Feiern stehen die Liebe von Menschen zueinander und die Zusage, dass Christus mit den Menschen auf dem Weg ist, im Mittelpunkt. Hier gibt es eine gemeinsame Mitte und einen wechselseitigen Bezug – das sollte man betonen.
Frage: Was bedeutet das jetzt alles für eine mögliche Form solcher Segensfeiern?
Kranemann: In der Liturgiewissenschaft ist unbestritten – was eben auch in der Praxis der Fall ist –, dass es wirklich öffentliche Feiern sein sollen, die auch unter einer kirchlich legitimierten Leitung stehen. Es sollte sichtbar werden, dass die katholische Kirche zu diesen Feiern und vor allem zu den Menschen steht, indem sie zur Leitung beauftragt. Es müssen zudem Liturgien im vollen Sinne des Wortes sein. Ich nehme gerne eine Formulierung des immer noch lesenswerten, lange verstorbenen Liturgiewissenschaftlers Emil Joseph Lengeling auf: Liturgie ist Dialog zwischen Gott und Mensch. Das verlangt Wortverkündigung und Antwort des Menschen im Gebet, im Ritus, im liturgischen Tun. In diesen Feiern wird die Gegenwart Gottes in der Beziehung von zwei Menschen gefeiert, und das im Rahmen einer Gemeinde. Und es muss ein Zeichen geben, das für Partnerschaft und Liebe steht.
Frage: Manche Kollegen schlagen da einen Ringtausch vor. Wie stehen Sie dazu?
Kranemann: Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen, was hier ein sprechendes Zeichen sein könnte. In manchen Diskussionsbeiträgen ist von Handauflegung die Rede. Doch was hat das mit Beziehung und Partnerschaft eines Paares zu tun? In unserem Kulturkreis ist der Ring das Zeichen für Partnerschaft. Die Diskussion macht die Unterscheidung zur Trauung oft am Ring fest. Aber zunächst einmal ist der Ring gar kein ursprünglich christliches Zeichen, er kommt aus paganen Kontexten. Dass es den Ringtausch generell bei der katholischen Trauung gibt, ist im deutschen Sprachraum erst seit den 1950er Jahren in allen liturgischen Büchern vorgesehen. Es gab im 20. Jahrhundert noch Bistümer in Deutschland, die ihn gar nicht gekannt haben. Und wenn man sich den Umgang mit dem Ring heute anschaut: Es gibt Brautpaare, die Ringe tragen, und es gibt welche, die keine tragen. Daraus jetzt das markante Unterscheidungszeichen zwischen den verschiedenen liturgischen Feiern zu machen, halte ich für abwegig.
Frage: Zusammenfassend: Was ist wäre Ihnen mit Blick auf die Form solcher Segensfeiern wichtig?
Kranemann: Sie sind nicht "Liturgie light". Das, was gefeiert wird, ist eine Feier des Glaubens, in der Menschen für ihren Lebensweg die Nähe Gottes erbitten und feiern. Das kommt in liturgischen Elementen zum Ausdruck: im Wort, im Zeichen, in der Versammlung von Gläubigen, im Beten und Handeln des Paares. Das ist aus meiner Sicht das Entscheidende.