Küster Hubertus Maier und sein letztes Osterfest im Dienst
Eigentlich hatte Hubertus Maier garnicht geplant Küster zu werden. Als er vor 36 Jahren Landwirtschaft in Stuttgart studierte, brauchte er eine Arbeitsstelle. Fündig wurde er damals schließlich in der Stuttgarter Kirchengemeinde Herz Jesu. Die suchten nämlich einen Küster und Hausmeister. Anders als geplant blieb Maier hier sein ganzes Arbeitsleben lang im Dienst der Kirche. Auch weil er dabei viel Schönes erlebt hat. Von einem berührenden Erlebnis als Küster berichtet Maier im Interview mit katholisch.de und spricht auch darüber, wie er seinen letzten Arbeitstag begehen möchte.
Frage: Herr Maier, Sie sind seit 36 Jahren Mesner. Wird das ein schwerer Abschied für Sie?
Maier: Ja, das wird es. Ich mache jetzt alles zum letzten Mal. Ich habe das letzte Mal die heiligen Öle in St Eberhardt Stuttgart abgeholt. Ich werde das letzte Mal Gründonnerstag vorbereiten, das letzte Mal Karfreitag und dann das letzte Mal Ostern als Mesner feiern. Da ist mir schon wehmütig ums Herz. Ich habe mein halbes Leben hier in der Gemeinde verbracht, meine Kinder sind hier großgeworden. Meine Frau war auch in der Kirchengemeinde beschäftigt. Ich habe immer vor dem Frühstück die Kirche aufgesperrt und abends vor dem Schlafengehen die Kirche abgeschlossen. Das hat zu unserem Leben selbstverständlich dazugehört. Als ich mich vor 36 Jahren hier in der Gemeinde als Küster beworben hatte, dachte ich nicht daran, dass ich so lange bleiben werde. Ich hatte eigentlich Landwirtschaft studiert. Heute kann ich sagen, ich habe meine Kirchengemeinde wie einen Bauernhof versorgt. In der Landwirtschaft gibt es auch nie Feierabend. Es war für mich als Mesner und Hausmeister immer selbstverständlich, dass ich für meine Kirchengemeinde da bin, wann immer es geht. Ich bin der Mesner von Herz Jesu: Ich bin dafür zuständig, dass alles in Ordnung ist, dass die Kirche sauber ist und dass die Ausstrahlung des Raumes stimmt. Auch wenn die Kirche nicht mehr die ist, die sie vor 36 Jahren war.
Frage: Was meinen Sie damit?
Maier: Schauen Sie mal: Damals in den 80er Jahren kamen zu einer Sonntagsmesse 250 Leute. Abends nochmals 120 Personen. Es gab mehrere Messen unter der Woche, wir hatten bis zu 20 Ministranten am Altar stehen. Heute habe ich im Gottesdienst unter der Woche fünf Personen und am Sonntagmorgen vielleicht 60 Gottesdienstbesucher und drei Ministranten. Das sind doch Zahlen, die eine klare Aussage haben. Es werden immer weniger Gottesdienste und Gläubige. Das tut mir schon weh.
Frage: Haben Sie sich die Zahlen jetzt für das Gespräch aufgeschrieben?
Maier: Nein, das habe ich alles im Kopf. Ich muss ja immer zweimal im Jahr die Gottesdienstbesucher zählen, sowas vergesse ich nicht.
Frage: Warum gehen Sie denn gerne in die Kirche?
Maier: Mir hat mein Glaube immer viel Kraft gegeben. Ich war schon als Kind mit meinen Eltern immer sonntags in der Kirche. Das, was mir von den vielen Predigten aus meiner Zeit als Küster im Kopf geblieben ist, habe ich versucht zu leben. Ich wollte durch mein Leben auch ein Vorbild für andere sein. Ich glaube, die Leute sehen bei mir schon, dass ich nicht im Streit mit der Kirche bin. Vielleicht hat das den einen oder anderen auch ermutigt zu bleiben. Natürlich gibt es Dinge in der Kirche, die mir weh tun. Die Kirche macht Fehler, Gott ist größer. Darauf vertraue ich. Ich denke, Gott hat mich an den richtigen Platz gestellt, wo ich meine Lebensaufgabe erfüllen konnte.
Frage: Können Sie sich noch an ein besonderes Erlebnis in den 36 Jahren als Küster erinnern?
Maier: Einmal bin ich mittags in die Kirche gekommen, da lag ein Säugling in einer Decke gewickelt auf der Kirchenbank. Der Kleine hat mir sehr leidgetan. Ich habe sofort die Polizei und das Jugendamt verständigt. Später habe ich erfahren, dass eine Mutter aus Rumänien dieses Kind dort abgelegt hatte. Sie war in großer Not, der Kleine war erblindet. Das war sehr dramatisch damals. Das Baby kam dann zu einer Pflegefamilie. Nach einem Jahr hat sich die Mutter wieder bei der Pflegefamilie des Kindes gemeldet und es kam zu einer Zusammenführung. Das habe ich alles mitbekommen und ich habe mich schon sehr gefreut, dass ich damals helfen konnte.
Frage: Gab es auch Momente, in denen Sie nicht mehr helfen konnten?
Maier: Nein, etwas Schlimmes habe ich nie erlebt, Gott sei Dank. Ich hatte zwar einige Male den Krankenwagen während der Messe rufen müssen, wenn jemand in Ohnmacht gefallen war, aber es ging immer gut aus. Ansonsten habe ich halt das übliche Tagesgeschäft als Mesner. Diebstahl, Einbrüche und manchmal pinkelt auch mal wer in die Kirche. Ein Tabernakelschlüssel wurde mir auch gestohlen, der fehlt mir bis heute. Einmal ist ein Dieb sogar mit einem Schubkarren in die Kirche gefahren und dann mit dem Opferstock wieder raus. Der Pfarrer hatte ihn noch dabei beobachtet und dachte, das sei nur ein Handwerker. Ich bin seitdem immer auf der Hut. Ich öle meine Opferstöcke auch ein. Dann können die Diebe keine Klebestreifen mehr darin anbringen, um so das Kleingeld einzusammeln. Man hat schon seine liebe Not mit manchen Mitmenschen.
Frage: Ist Ihnen als Küster einmal auch einmal ein Missgeschick passiert, an das Sie sich noch gut erinnern können, zum Beispiel eine abgebrochene Osterkerze kurz vor der Ostermesse?
Maier: Wenn die Osterkerze bricht, ist das der Albtraum eines Mesners! Das ist mir noch nie passiert, Gott sei Dank. Ich habe auch immer eine zweite Osterkerze in der Sakristei stehen, für solche Fälle. Aber vergessen habe ich im Gottesdienst auch schon öfter was. Ich erinnere mich noch an eine Osternacht vor einigen Jahren: Es war dunkel in der Kirche und der Pfarrer zieht hinten mit den Ministranten ein. Da sehe ich, kein Kelch, keine Hostien, kein Wasser- und Weinkännchen am Altar. Während der Pfarrer also langsam in die Kirche eingezogen ist, habe ich genauso langsam vorne alles hergerichtet. Ich habe mir gesagt: Beweg dich langsam, sei andächtig, dann fällt es niemanden auf. Die Leute denken dann, das gehört dazu. Hauptsache, ich habe dabei ein frommes Gesicht.
Frage: Wie machen Sie denn Ihr frommes Gesicht?
Maier: Schauen Sie das Foto an, als ich die Heiligen Öle vorbereite. So sieht das aus (lacht.). Ich schaue ernst. Aber innerlich habe ich ein Lachen. Wir Christen sind doch durch Jesus Christus an Ostern erlöst worden. Daher denke ich, ist so ein inneres Lachen richtig. So ein kleines Osterlachen halt.
Frage: Worauf freuen Sie sich an diesen Ostern besonders?
Maier: Auf alles. Aber besonders, wenn ich dann im Gottesdienst zum Gloria wieder die Kirchenglocken einschalten kann und dazu den vollen Klang der Orgel hören werde. Das ist so ein feierlicher Moment. Ich denke, ich werde da sehr gerührt sein, weil ich weiß, es wird das letzte Mal sein, dass ich das als Mesner in meiner Kirche erlebe.
Frage: Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Maier: Bisher gibt es noch niemanden. Ich hoffe, es findet sich überhaupt jemand. Momentan ist es so, dass ich mir bei jedem Handgriff, den ich verrichte, überlege, was ich alles aufschreiben muss, damit sich mein Nachfolger nachher zurechtfindet. Nach 36 Jahren ist viel im Kopf. Ich habe viel aus Routine gemacht. Es hat lange gedauert, bis ich zum Beispiel wusste, was ein Jahreskreis ist und wie man den vorbereitet. Und wie intensiv ich das Kirchenjahr so immer miterleben konnte. Dafür bin ich heute sehr dankbar. Ich denke, mein Nachfolger wird sowieso nicht alles so machen, wie ich es getan habe. Ich habe es auch nicht so gemacht wie mein Vorgänger. Jeder sollte seine eigene Art finden, diesen Dienst zu verrichten. Ich sage dem Herrgott Danke für die lange Zeit hier, die für mich ein Geschenk war. Ja, so hat alles seine Richtigkeit für mich gehabt. Offiziell geht der Dienst im September zu Ende, dann werde ich 66 Jahre alt. Ich habe noch ein bisschen Zeit. Aber schon jetzt ist die Zeit zum Loslassen.