Warum Ulrike Böhmer lieber auf der Bühne als am Altar steht
Mit Anfang 20 macht Ulrike Böhmer eine Ausbildung zur Gemeindereferentin in Paderborn. Sie liebt es, mit Menschen gemeinsam den Glauben zu feiern. Dann beginnt sie in einer Kirchengemeinde zu arbeiten und begleitet zum Beispiel Kinder auf dem Weg zur ihrer ersten heiligen Kommunion. Doch im Gottesdienst steht sie immer nur daneben, der Priester verwaltet die Sakramente. Das macht sie nachdenklich.
Damals in den 80er Jahren wohnt die heute 60-Jährige in einem Wohnheim zusammen mit Studierenden aus anderen Diözesen. Dort erlebt sie eine "Enge", wie sie es beschreibt. "Es gab einen inneren Zwang, an Gottesdiensten teilzunehmen, die lieber fromm und mit dem Rosenkranz gestaltet waren, statt feministisch oder befreiungstheologisch", stellt sie fest. Um der katholischen Enge und Ängstlichkeit etwas entgegenzusetzen, gründete sie damals mit drei anderen Frauen eine Kabarettgruppe. "Durch den Humor konnte ich ausbrechen. Das war ein Ventil für mich, den Frust und den Ärger rauszulassen. Durch die Übertreibung und das Lachen wurde das auf eine andere Ebene gehoben", erklärt die ausgebildete Gemeindereferentin. Dennoch verspürte sie damals auch viel Freude im pastoralen Tun.
Zu Beginn der Arbeit als Gemeindereferentin hat sie dann ihren ersten öffentlichen Auftritt als Kirchenkabarettistin vor einem größeren Publikum. Anfang der 90er Jahre war das, erinnert sich die Theologin. Damals fragte sie Agnes Wuckelt, die heute stellvertretende Bundesvorsitzende der kfd ist, für ein feministisches Kabarett bei einer kirchlichen Tagung an. "Mit einer Kollegin habe ich das dann aus dem Stand gemacht", weiß Böhmer noch. Der Auftritt kam so gut an, dass sie mit Kabarett weitermachen wollte. Sie spürte schon damals, dass sie das Publikum begeistern kann. Ihre Bühnenfigur "Erna Schabiewsky" bringt die Themen und Probleme von Frauen in der Kirche ins Wort. Neben Kritik und Ärger kommt das Lachen aber nie zu kurz, meint Böhmer.
„Das Gefühl des "Immer-Wieder-Nicht-Gesehen-Werdens", hat mich sehr verletzt. Ich kann nicht länger bleiben, sonst werde ich in diesem System krank.“
Damals, als sie noch Gemeindereferentin war, verspürt sie eine innere Berufung. "Ja, ich wollte Priesterin werden", gibt sie zu, und präzisiert: "Predigerin". Sie habe damals deutlich gespürt, dass sie dazu berufen sei. "Die Bibeltexte lebendig auslegen, authentisch predigen, den Leuten etwas mitgeben, sie spirituell berühren, das kann ich", sagt sie überzeugt.
Viele Jahre war Ulrike Böhmer auch im Berufsverband für Gemeindereferenten engagiert, sogar als Bundesvorsitzende. Zur Zeit von Papst Johannes Paul II. schrieb sie in ihrer damaligen Funktion sogar einen Brief nach Rom, erinnert sie sich. Es ging um das Predigtverbot für Frauen. "Wir plädierten für eine Aufhebung davon im deutschen Sprachraum", weiß sie noch. Damals gab es keine Reaktion aus Rom, aber aus ihrem Bistum. Sie wurde von der Personalabteilung vorgeladen, aber ohne Ergebnis. Eine Enttäuschung für sie. In der Gemeinde führte dann letztlich eine Begebenheit zu ihrem Weggehen. Als sie an Ostern zusammen mit einer Frauengruppe von einer Reise aus dem Heiligen Land zurückkehrte, fragte niemand nach. "Dieses Gefühl des "Immer-Wieder-Nicht-Gesehen-Werdens", hat mich sehr verletzt", erinnert sich Böhmer.
"Ich kann nicht länger bleiben, sonst werde ich in diesem System krank"
1999 beendete Böhmer ihren Dienst in der Kirche als Gemeindereferentin. "Ich kann nicht länger bleiben, sonst werde ich in diesem System krank", erklärt sie ihre Entscheidung damals. Dann studierte Böhmer Sozialpädagogik und arbeitete nebenbei als Schulsozialarbeiterin. Am Ende des zweiten Studiums entscheidete sie sich ganz für die Arbeit als Kabarettistin auf der Bühne. "Die Anfragen dazu waren da", blickt sie nicht ohne Stolz zurück. Dann schriebt sie sogar das erste Soloprogramm. Ihr Thema auf der Bühne bleibt: Die Kirche und die Frauen. Eingeladen wird sie als Kirchenkabarettistin bis heute vor allem von kirchlichen Gruppen, Verbänden und Kirchengemeinden. "Die Themen, die ich anspreche, kennen die Leute dort", lacht Böhmer. "Wenn sie Spaß haben, dann weiß ich, die Botschaft ist angekommen." Auf der Bühne werde sie gesehen und gehört, sagt Böhmer, auch mit ihrer kritischen Stimme. Bedeutet dies ein Stück Freiheit für sie als Frau in der Kirche? "Ja", sagt Böhmer, "von dieser Bühne kriegt mich keiner mehr runter".
Ihre Berufungsgeschichte hat Ulrike Böhmer in dem Buch der Ordensfrau Schwester Philippa Rath aufgeschrieben. Dass es so viele Frauen sind, die sich zur Diakonin oder Priesterin berufen fühlen, war ihr zuvor nicht bewusst. "Viele von diesen Frauen tragen eine große Wunde mit sich herum, weil sie so wie ich Zurücksetzungen in der Kirche erfahren haben." Doch Ulrike Böhmer bleibt in der Kirche. Heute gestaltet sie auch wieder biblisch-spirituelle Kurse für Frauen. "Ich mache weiter, solange ich kann", sagt die Kirchenkabarettistin. "Ich will diesen Weg mitgehen." Nur Priesterin oder Diakonin will sie heute keine mehr sein. "Für mich ist es zu spät", sagt sie. Sie wolle jetzt auch nicht mehr Theologie studieren. Aber sie macht sich stark für die nächste Generation von Frauen in der Kirche. "Da sind auch wir alten Frauen noch gefragt, mitzukämpfen und zu unterstützen", so Böhmer.
Im Rückblick war es der richtige Weg für sie, so die Kirchenkabarettistin. Seit mehr als 20 Jahren steht Ulrike Böhmer nun schon auf der Bühne. "Durch diese äußere Freiheit habe ich meine innere Freiheit wieder gefunden", sagt sie. Ihre Bühnentexte schreibt sie selbst. Zwei Bücher sind daraus entstanden mit den Titeln "Und sie bewegt sich doch" und "Erna, übernehmen Sie". Es brauche die frechen und aufmüpfigen Frauen in der Kirche, ist sich Böhmer sicher. "Die Botschaft, die wir als Kirche haben, ist viel zu gut, um sie anderen zu überlassen." Sie mache es eben mit Witz und Humor. Der Terminkalender von "Erna Schabiewski" ist gut gefüllt.