"Deutsche Bischöfe gelten in der Weltkirche als sehr fortschrittlich"

Kfd und KDFB: Weibliche Welt hat klare Erwartung an deutsche Kirche

Veröffentlicht am 25.05.2023 um 00:01 Uhr – Von Benedikt Heider – Lesedauer: 

Bonn ‐ Regina Heyder und Regina Schulz kommen gerade vom Treffen der Weltunion katholischer Frauen im italienischen Assisi. Im Interview erzählen sie von ihren Erlebnissen, berichten über Sorgen und Nöte von Frauen in aller Welt und explizite Erwartungen an die Kirche in Deutschland.

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In der vergangenen Woche tagte die Weltunion der katholischen Frauenorganisationen in Assisi. Für den Katholischen Deutschen Frauenbund war Regina Heyder, für die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands Regina Schulz. Im katholisch.de-Interview erzählen die beiden, was sie in der vergangenen Woche erlebt haben, welche Sorgen und Probleme Frauen in aller Welt beschäftigen und wie die Weltkirche auf die deutsche Kirche blickt. Die 1910 gegründete Weltunion katholischer Frauenorganisationen vertritt nach eigenen Angaben fast 100 katholische Frauenorganisationen in rund 50 Ländern. Diesen gehören etwa acht Millionen Katholikinnen an.

Frage: Sie kommen gerade von der Generalversammlung der World Union of Catholic Women's Organisations (WUCWO) in Assisi und waren dort als Vertreterinnen Ihrer Frauenverbände. Was haben Sie denn die vergangene Woche dort gemacht?

Regina Heyder (Katholischer Deutscher Frauenbund): Wir haben uns mit insgesamt 830 Frauen aus der gesamten Weltkirche getroffen. Diese Vollversammlung trifft sich alle vier Jahre, verabschiedet Resolutionen, wählt ihren Vorstand und spricht über die Situation von Frauen in der Kirche. Dabei geschieht, was immer bei solchen Veranstaltungen passiert: Man trifft Menschen, redet mit ihnen, nimmt Situationen in anderen Ländern wahr. Und natürlich erzählt man auch von den Bewegungen in der eigenen Ortskirche.

Regina Schulz (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands): Es war eine spannende Woche. Wir haben auf der einen Seite viel diskutiert und einander zugehört. Wir haben uns in mehreren Sprachen verständigt zur Not auch mit Händen und Füßen. Ich fand es toll, wie gut wir uns dann verstanden haben – sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Mich hat es sehr beeindruckt, von der Lebenswirklichkeit vieler Frauen zu erfahren. 

Heyder: Und natürlich haben wir auch zusammen gebetet und gesungen.

Frage: Die Tagesordnung sah viel Raum für Liturgie vor …

Schulz: Die Gottesdienste wurden von verschiedenen Sprachgruppen vorbereitet. Je nachdem, wer vorbereitet hatte, hatten sie einen ganz anderen Charakter. Interessanterweise waren Frauen in den meisten Gottesdiensten nicht so sehr beteiligt. So etwas kennen wir in Deutschland ja fast nicht mehr. Durch die Internationalität gab es auch kein Lied, das alle gemeinsam singen konnten. Bei den wichtigsten Gebeten konnte aber jede in ihrer Sprache mitbeten – diese Gemeinschaft habe ich als sehr tragend empfunden.

Frage: Was bleibt Ihnen da besonders in Erinnerung oder was beschäftigt Sie jetzt ein paar Tage danach?

Heyder: Ein bezeichnender Berührungspunkt ist für mich: Gleich, aus welchem Land die Frauen kommen, es gibt überall Diskriminierung von Frauen. Es gibt überall Gewalt gegen Frauen. Und überall wird die Sehnsucht nach Frieden geteilt. Uns Frauen verbindet zudem ein starkes, gemeinsames ökologisches Engagement. Überall gibt es den Willen, dass Frauen in der Kirche mehr beteiligt werden. Das ist sehr stark betont worden – und zwar aus allen Ländern. Und dann gibt es auch die Punkte, wo man sieht, dass die Realitäten sehr unterschiedlich sind.

Regina Schulz und Regina Heyder mit einer Gruppe kenianischer Frauen
Bild: ©privat

Regina Schulz und Regina Heyder mit einer Gruppe kenianischer Frauen bei der Generalversammlung der Weltunion katholischer Frauenorganisationen in Assisi 2023.

Frage: Was sind das für Punkte?

Heyder: Für mich ist es vor allem an einem Beispiel sehr deutlich geworden. Wir haben eine Resolution zur Familie diskutiert. Aus Australien kam der Vorschlag, doch den Familienbegriff zu erweitern und etwa die alleinerziehenden Mütter oder Geschiedenen zu nennen. Das ist auch von Teilnehmerinnen aus afrikanischen Ländern verstärkt worden. Andere haben dies jedoch abgelehnt mit dem Hinweis, dass es ohnehin schon zu viel Verwirrung gebe, was den Begriff der Familie angeht. Da hat man gemerkt, dass es große Ungleichzeitigkeiten gibt, obwohl die Lebenswirklichkeiten überall dieselben sind. 

Frage: Gibt es etwas, das Sie besonders erschüttert hat?

Schulz: Was mich wirklich erschüttert hat, waren die Berichte über Gewalterfahrungen. Es gibt auf dem afrikanischen Kontinent einen Stamm, bei dem es heißt, wenn ein Mann seine Ehefrau nicht schlägt, dass er sie nicht liebe. Dort wird Gewalt kulturell umgedeutet. 

Frage: Welche Rolle spielt die Kirche dabei? 

Schulz: Soweit ich die Frauen verstanden habe, versuchen sie, mithilfe ihrer kirchlichen Organisation Aufklärung zu betreiben und Frauen fortzubilden. Diese Frauen verstehen sich als Akteurinnen des Wandels. Sie wollen etwas an diesen Verhältnissen ändern. 

Frage: Das hört sich eher gesellschaftspolitisch als kirchenpolitisch an. 

Heyder: Das würde ich so nicht sagen. Die gesellschaftspolitischen Forderungen sind vielleicht einfach etwas einheitlicher als die kirchenpolitischen. Aber man darf nicht vergessen, dass Kirche in konkreten Gesellschaften handelt und deshalb immer auch politisch sein muss. Die WUCWO beschäftigt sich mit Dingen, die sowohl kirchenpolitisch als auch gesellschaftspolitisch relevant sind. 

Frage: Der Montag war zum Beispiel mit "Die Frauen in der Kirche" überschrieben. Was kam da zur Sprache?

Schulz: Es gab drei Sprecherinnen, die sehr interessante Vorträge gehalten haben: Schwester Anne Béatrice Faye aus Senegal und Anne Marie Pelletier, Mitglied der zweiten Kommission für das Diakonat der Frau. Am stärksten beeindruckt hat mich die italienische Dogmatikerin Schwester Linda Pocher. Sie hat Maria neu gedeutet. Ihr Grundgedanke war, dass Maria im Grunde Jesus alles beigebracht hat. Zum Beispiel, dass die Mutter Nahrung für das heranwachsende Kind ist. Das ist ein interessanter Gedankenanstoß in Bezug auf den Leib Christi. Vor allem, weil die Marienverehrung innerhalb der Organisationen sehr stark ist.

Heyder: Am ersten Abend hat Schwester Nathalie Becquart vom Synodensekretariat gesprochen. Sie hat ganz klar gesagt: Eine Kirche ohne Frauen ist keine synodale Kirche. Mit Blick auf die unterschiedlichen Lebenssituationen in der Kirche hat sie von Diversität gesprochen; sie hat die Reziprozität der Geschlechterverhältnisse und die Gleichheit aller Getauften betont. Auf Französisch klingt das noch schöner: diversité, réciprocité, égalité. [Vielfalt, Reziprozität, Gleichheit] 

Schwester Faye: In Afrika gibt es die gleichen Probleme wie in Europa

Anne Béatrice Faye lebt in Burkina Faso. Sie beschäftigt sich mit Geschlechterfragen und arbeitet in der Ausbildung von Ordensleuten und Priestern. In ihrem Beitrag beleuchtet sie die afrikanische Vorbereitung der Weltsynode. Klerikalismus, die Rolle der Frau und Missbrauch spielen auch dort eine große Rolle.

Frage: War der synodale Weg der Weltkirche darüber hinaus ein Thema?

Schulz: Vom Vorstand des WUCWO ist da auf jeden Fall schon einiges mit in Bewegung gesetzt worden. Die katholischen Frauenverbände beziehen sich immer wieder auf das, was der Papst zur Rolle der Frau sagt.
Heyder: Die Frauenverbände sind durchaus ein wichtiges Sprachrohr. Es ist ja nicht umsonst so gewesen, dass Nathalie Becquart die Eröffnungsansprache gehalten hat. Schon dadurch stand die Vollversammlung unter dem Vorzeichen der Synodalität. Das wurde sogar sichtbar: Afrikanische Kolleginnen haben in ihren Kleidern immer auch Bekenntnisse ausgedrückt. Manche Stoffe zeigten Maria und Jesus, andere das Synodenlogo. Die Synode ist tatsächlich ein wichtiger Punkt für die Frauen. Es kam auch zur Sprache, wie sehr sich die Frauen an den Umfragen zur Synode beteiligen konnten. Leider wurden auch Frauen an der Teilnahme gehindert.

Frage: Aber wie sieht es denn konkret aus? Welche Hoffnung oder Befürchtungen haben Frauen mit Blick auf die Weltsynode?

Heyder: Die Hoffnung ist, dass Frauen künftig in der Kirche an Entscheidungen beteiligt werden. Dass die Kirche partizipativer wird für Frauen. Das kommt auf allen Kontinenten zur Sprache, und die Hoffnung besteht für alle Ebenen der Kirche, bis hin zur Pfarrei.
Schulz: Ich glaube es ist sehr wichtig, wirklich einmal hinzuhören, zuzuhören und daraus dann eben auch Forderungen abzuleiten und etwas davon umzusetzen. Weltweit spielt die Enzyklika Laudato Si eine große Rolle. Für viele Frauen, gerade in Afrika und Asien, ist der Umweltschutz überlebenswichtig. Von daher ist es wichtig, dass auch Frauen bei der Synode zu Wort kommen und gehört werden – nur so kann sich etwas ändern.

Frage: Welche Rolle spielt der Papst für die Frauen? Manche Aussagen könnten ja durchaus für Stirnrunzeln sorgen …

Heyder: Als die WUCWO angekündigt hatte, dass es vor der eigentlichen Versammlung eine Papstaudienz geben wird, gingen die Anmeldezahlen noch einmal deutlich in die Höhe. Papst Franziskus wird hoch verehrt. Und er wird in dem wahrgenommen, was er Gutes, Anregendes, Vorwärtsbringendes sagt. In den deutschsprachigen Medien ist über diese Audienz bei Papst Franziskus vor allem berichtet worden, dass er davon sprach, die Frau sei dazu erschaffen worden, die Einsamkeit des Mannes zu lindern. In dieser Ansprache hat er aber noch viel mehr gesagt. Er hat von Diskriminierung gesprochen, vom Schrei nach Gerechtigkeit. Und von der synodalen Kirche mit den Frauen. All das, was Papst Franziskus an Brauchbarem sagt, wird von Theologinnen rezipiert und stark gemacht. Das andere wird verschwiegen. Es gibt eine Rezeption und es gibt eine Nichtrezeption, aber es gibt keine Kritik.
Schulz: Das hat auch beeindruckt. Gerade bei den Vorträgen haben die Theologinnen eine wunderbare diplomatische Art. Sie sagen etwas und jede hört im Grunde genau heraus, worum es geht. Aber sie sagen es so, dass die Texte trotzdem ansprechend sind, wenn sie im Vatikan gelesen werden. Das ist anders als beim Synodalen Weg in Deutschland. Da wurde sehr genau formuliert. Die Frauen der WUCWO beherrschen die diplomatische Sprache sehr.  Es ist die Frage, ob wir Frauen damit nicht letztlich sogar weiter kämen …

Frage: Alles in allem hört sich Ihr Bericht sehr ausgeglichen an und weniger nach Diskussion und Dissens an …

Schulz: In Einzelgesprächen oder in Gesprächen, wo wir mit nicht ganz so vielen zusammen waren, war es durchaus möglich, strittige Themen anzureißen. Aber es blieb im Grunde dabei, einfach zu sagen "So sehen wir das" und "Ihr seht das so". In diesem Sinne ist es nicht wirklich zu einer Auseinandersetzung gekommen. Spannend fand ich, dass einige Frauen uns angesprochen haben, und gesagt haben "Wir wissen, ihr seid in manchen Themen einfach fortschrittlicher". Wir deutschen Frauen haben weltweit schon so einen Ruf. Der Konsens ist, dass wir alle auf ein gemeinsames Ziel hinaus wollen. Es war jetzt nicht so, dass jemand gekommen ist und gesagt hat "Wie könnt ihr nur?" Das fand ich auch wieder bemerkenswert.

„Es gibt natürlich auch die weltkirchliche Erwartung, dass Ortskirchen, die Themen gesetzt haben, damit vorangehen.“

—  Zitat: Regina Heyder

Frage: Wurden Sie denn explizit auf Deutschland angesprochen?

Heyder: Ja, wir wurden tatsächlich auf die Diskurse in Deutschland angesprochen. Dabei werden vor allem die deutschen Bischöfe gesehen. Sie werden in der Weltkirche als sehr fortschrittlich wahrgenommen. Die Frauen bei der WUCWO wissen, dass wir eine Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sind. Sehr spannend fand ich jedoch, dass diese Realitäten global präsent sind. Gerade durch die Migration von Familienmitgliedern bekommen viele mit, was in Europa los ist.

Frage: Sie haben eben die Rolle Deutschlands im theologischen Diskurs angesprochen. Sind Ihnen Erwartungen oder Sorgen begegnet?

Schulz: Es gibt eine ganz klare Erwartung. Vor allem von den anderen europäischen Frauen: Deutschland sollte in der Weltunion der Frauen die theologische Entwicklung einspeisen und deutlich vertreten.

Frage: Das betrifft jetzt die Organisation der Weltunion.

Heyder: Es gibt natürlich auch die weltkirchliche Erwartung, dass Ortskirchen, die Themen gesetzt haben, damit vorangehen.

Von Benedikt Heider