Pollack: Überwiegende Mehrheit der Katholiken denkt protestantisch
Aus Sicht des Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack nehmen Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen und Konfessionslosen in Deutschland immer weiter ab. "Ich würde sagen, dass die überwiegende Mehrheit der Katholiken und Katholikinnen in Deutschland tatsächlich protestantisch denkt", sagte Pollack dem Internetportal "kath.ch" (Donnerstag) in einem Interview. Der Religionssoziologe bezieht sich darin auf die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), an der er mitgearbeitet hat und die in wenigen Monaten erscheinen soll. Schwerpunkte der 2022 durchgeführten Untersuchung sind unter anderem Vergleiche zwischen Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen und die Wahrnehmung und Erwartung an kirchliche Reformprozesse. Die Deutsche Bischofskonferenz beteiligt sich erstmals an der Untersuchung. "Darin geben zwischen 86 und 88 Prozent aller Befragten an, dass alle Religionen in gleichem Maße Recht und Unrecht haben", so Pollack. Zwischen Angehörigen der Konfessionen und Konfessionslosen ließe sich dabei keine Differenz ausmachen.
"Die überwiegende Mehrheit der Katholiken und Katholikinnen in Deutschland glaubt heute nicht mehr daran, dass die Kirche heilig ist, auch wenn das so im Glaubensbekenntnis steht", betonte der Religionssoziologe weiter. Er sei nicht in der Position, der Kirche Empfehlungen zu geben. "Aber von einer beobachtenden, analytischen Perspektive muss ich konstatieren: Die Reformvorstellung vieler Katholikinnen und Katholiken, einschließlich derer, die sich beim Synodalen Weg engagieren, führt zu einer im Kern radikal anderen Kirche, als die, welche sie historisch haben."
"Dann verwischt man das, was die katholische Kirche im Kern ausmacht"
Die katholische Kirche sei nur begrenzt reformierbar – "und einige Forderungen, die im Kontext des Synodalen Weges und des synodalen Prozesses formuliert werden, gehen über diese Grenzen hinaus", sagte der Religionssoziologe. Die Kirche verstehe sich als eine von Gott eingesetzte Institution. Dem Priester komme aufgrund der apostolischen Sukzession eine besondere Autorität zu, eine Mittlerrolle zwischen Welt und Gott zu übernehmen. "Wenn jetzt im Kontext des synodalen Prozesses gefordert wird, die Differenz zwischen Geweihten und Nicht-Geweihten aufzuheben, wenn man sagt, das Priestertum ist allenfalls das Priestertum aller Gläubigen oder aller Getauften, dann verwischt man das, was die katholische Kirche im Kern ausmacht", erklärte Pollack. Wichtig sei dafür nicht das Geschlecht der Kleriker. "Bedeutsam aber ist der Zölibat, denn mit diesem vollzieht der Klerus, ob männlich oder weiblich, eine Absonderung von der Welt, ohne die es ein Heiliges nicht geben kann."
Gleichwohl könne die Kirche mit der Zeit gehen und tue dies auch. Veränderungen müsse sie jedoch mit ihrer Tradition und der Bibel begründen. Eine starke Spannung zwischen "dem Zeitgeist und dem, was die Kirche ist", gebe es dennoch.
Er wundere sich auch darüber, dass die Medien den Bischöfen unterstellten, der massenhafte Abfall von der Kirche sei ihnen gleichgültig, erklärte der Religionssoziologe. "Ich glaube, dass die Medien den Kulturwandel, der sich unter den Bischöfen in den letzten 20 Jahren vollzogen hat, nicht sehen oder nicht sehen wollen." Sie gingen offenbar davon aus, dass das Anschreiben gegen "böse, elitäre Bischöfe, denen vermeintlich alles egal ist", mehr Aufmerksamkeit bringe. "Ich wünschte mir eine differenziertere Berichterstattung zu dem Thema", so Pollack. (cbr)