Einzige Partei, die theologische Deutungskategorien in die Debatte aufnehme

Suizidbeihilfe: Ethikerinnen warnen vor "Verschwisterung" mit AfD

Veröffentlicht am 14.07.2023 um 12:24 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Die Argumentation der AfD in der Bundestagsdebatte um Suizidbeihilfe finde sich "eins zu eins" in der Position der katholischen Kirche wieder, kritisieren Kristina Kieslinger und Kerstin Schlögl-Flierl. Sie mahnen einen seriösen Lebensschutz an.

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Die katholischen Ethikerinnen Kristina Kieslinger und Kerstin Schlögl-Flierl fordern in der Debatte um eine gesetzliche Regelung der Suizidbeihilfe eine klare Abgrenzung der Kirche von der AfD. "Um sich als Katholische Kirche nicht mit rechtsradikalen Positionierungen zu 'verschwistern', sehen wir es als Aufgabe von Lehramt und Theologie, einen seriösen Lebensschutz mit Gehalt zu füllen und eine klare Abgrenzung zur AfD vorzunehmen", schreiben Kieslinger und Schlögl-Flierl in einem Gastbeitrag in der Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart" (Sonntag). Kristina Kieslinger ist Inhaberin der Romano-Guardini-Professur für Ethik an der Katholischen Hochschule Mainz, Kerstin Schlögl-Flierl hat den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Augsburg inne.

Es sei irritierend, dass die AfD die einzige Partei sei, die theologische Deutungskategorien in die Debatte aufnehme, schreiben die Theologinnen. So habe die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Beatrix von Storch, ihre Ablehnung beider Gesetzentwürfe damit begründet, dass Anfang und Ende des Lebens allein in Gottes Hand lägen. "Diese Argumentation findet sich eins zu eins in der offiziellen Position der katholischen Kirche zum Suizid wieder", so die Ethikerinnen. Aus theologischer Perspektive ergäben sich jedoch kritische Anfragen an ein solches Gottesbild. "Ein souveräner Patriarch, der über Leben und Tod herrscht, passt nicht zur Vorstellung eines personalen Gottes, der mit Liebe im Dialog mit den Menschen ist."

Ernüchterung über Scheitern der Gesetzentwürfe

Zudem sei die Katechismus-Aussage zu hinterfragen, dass ein Suizid "der Liebe zum lebendigen Gott" widerspreche. "Schlägt hier nicht das Wesen der Liebe Gottes, der das Leben will, in einen Zwang zum Leben um?", fragen Kieslinger und Schlögl-Flierl. Auch sei zu überwinden, dass in der Kirche von Suizid als Sünde gesprochen werde. "Er stellt doch eigentlich eine Hoffnungsabsage an uns und an Gott dar. Und das ist in der Tat ein Tabubruch."

In der vergangenen Woche waren im Bundestag zwei Gesetzentwürfe zu einer Regulierung der Suizidbeihilfe gescheitert. Diese Neuregelung war nötig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für nichtig erklärt hatte. Mit dem Scheitern beider Gesetzentwürfe im Bundestag hatten Kieslinger und Schlögl-Flierl nach eigenen Worten nicht gerechnet "und im ersten Moment waren wir einigermaßen ernüchtert". Für die Betroffenen bestehe so weiterhin eine unsichere rechtliche Lage.

Die Ethikerinnen begrüßen den unter anderem vom SPD-Abgeordneten Lars Castellucci vorgebrachten Entwurf, weil dieser "nach unserer Einschätzung der Idee eines gesetzlichen Schutzkonzeptes am besten gerecht wird, um die Freiverantwortlichkeit bei Menschen mit Suizidgedanken festzustellen". Außerdem würden ausdrücklich auch soziale Belange angesprochen und auf ein bestehendes Beratungssystem zurückgegriffen. Für die Beurteilung eines Suizidwunsches sei es wichtig zu beurteilen, dass dieser nicht einer psychischen Erkrankung entspringe. Auch ein Zwang von außen müsse ausgeschlossen werden. Dies sei oft aber schwierig zu bestimmen. (cbr)