Was Weltjugendtags-Teilnehmer umtreibt: Ein Tag mit einer Pilgergruppe
Um 8.15 Uhr ist Deadline. Dann muss jeder die Unterkunft verlassen haben, denn das Fitnessstudio will öffnen und regulären Betrieb gewährleisten. Die Gruppe hat ihr Nachtlager im vierten Stock, in einer kleinen Turnhalle. Dort liegen Sportmatten aus, die als Matratzen benutzt werden. Das alles klingt nicht gerade nach einem Luxusurlaub. Doch für Weltjugendtags-Verhältnisse ist das, was der Gruppe aus dem Bistum Aachen zugewiesen wurde, eigentlich schon Luxus. Einerseits ist die Gruppe ziemlich unter sich – nur in der ersten Nacht haben auch andere Jugendliche im Fitnessstudio übernachtet. Außerdem gibt es viel Platz, ausreichend Duschen – und die Lage der Unterkunft quasi im Stadtzentrum ist optimal. "Wir haben wirklich Glück", sagen mehrere Jugendliche unisono und warten mit ihren Rücksäcken, während andere noch hastig packen. Denn heute müssen sie etwas mehr mitnehmen als sonst – und das nicht nur, weil sie an den Strand gehen.
15 Jugendliche und junge Erwachsene bilden die Gruppe, die aus dem nordrhein-westfälischen Düren und dessen Umgebung stammt. Es ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Pfadfindern, Messdienern, Leuten aus Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und solchen, die nicht unbedingt viel mit Kirche am Hut haben. Doch zunächst habe es lange Zeit gar nicht danach ausgesehen, dass sie überhaupt eine Gruppe zusammenbringt, sagt Sarah Dittrich, Jugendbeauftragte des Bistums Aachen in der Region Düren/Eifel. Sie ist die Verantwortliche für die Gruppe. Man habe auf vielerlei Weise versucht, unter den Jugendlichen in der Region Werbung zu machen. Doch viele hätten abgewunken, weil sie nicht unbedingt auf eine kirchliche Veranstaltung wollten. Andere hätte der Massencharakter abgeschreckt. Doch nach vielen Anstrengungen habe es geklappt.
Ein "Stückchen vom Himmel"
Unten an der Eingangstür wird erstmal durchgezählt. Dann geht es ein paar hundert Meter weiter zum Frühstück in der nahegelegenen Pfarrgemeinde. Auf der Straße neben der Kirche haben Volunteers einen Stand aufgebaut, an denen es Brötchen, Joghurt, Saft und kalten Kakao gibt. Gegessen wird auf der Stufe vor der Kirche. Eine Pilgerin aus Rumänien kommt auf die Gruppe zu. Sie möchte ihren Ansteck-Button tauschen – ein Wunsch, der ihr gerne erfüllt wird. Denn unter den Weltjugendtagsteilnehmern ist das Tauschen von Sachen eine Art Sport. Dazu bekommt sie noch ein kleines Päckchen Gummibären. "Es ist diese bedingungslose Liebe und Gemeinschaft, die den Weltjugendtag ausmacht“, sagt Dittrich. Diese Erfahrung sei wichtig für die Jugendlichen, da sie diese in Deutschland oft nicht machten. Bei der aktuellen Lage mit allen Krisen und Kriegen sei der Weltjugendtag wie ein "Stückchen vom Himmel": "Als wir hier mit der Deutschlandfahne durch die Straßen gelaufen sind, wurden wir von allen Seiten bejubelt."
Nachdem die Dürener in den vergangenen Tagen viel vom geistlichen Programm des Weltjugendtags mitgenommen und etwas Sightseeing in der Stadt gemacht haben, wollen sie es an diesem Freitag etwas entspannter angehen: Es soll an einen Strand in der Nähe von Cascais im Westen Lissabons gehen. Doch der Weg dorthin ist alles andere als entspannt. Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Lissabon ist in diesen Tagen ein Abenteuer für sich: An den Einlässen zu den Stationen, an denen man sein Ticket über einen Scanner ziehen muss, sind die Schlangen lang, in den Zügen fühlt man sich nicht selten wie eine eingelegte Sardine. Die-U-Bahn-Fahrt zum Bahnhof Cais do Sodré ist noch einigermaßen erträglich. Doch in der S-Bahn Richtung Cascais müssen alle Fahrgäste im wahrsten Sinne des Wortes eng zusammenrücken.
Auf ihrer Fahrt zum Strand müssen die Dürener erst noch einen Zwischenstopp einlegen. Zwei Stationen nach dem Lissaboner Stadtteil Belem müssen alle erstmal raus aus dem Zug. Dann geht es zu Fuß auf einen öffentlichen Parkplatz. Dort stehen die zwei Kleinbusse, mit denen die Gruppe aus Westdeutschland angereist ist. Die Teilnehmer haben morgens in der Unterkunft all das einpacken sollen, was sie in den kommenden Tagen nicht mehr brauchen werden, um es in die Autos zu laden. Dazu wird noch etwas Proviant umgepackt. Noah hat seine Tasche schon verstaut und vertreibt sich seine Zeit mit Tellerjonglieren – die Utensilien dafür waren in den Autos. Er macht gerade ein Praktikum in der kirchlichen Jugendsozialarbeit in Düren und ist spontan zum Weltjugendtag mitgekommen.
Austausch mit anderen Kulturen
Für ihn waren Kirche und Glaube nicht unbedingt der Grund, um nach Lissabon zu fahren, sondern eher die Lust auf ein Abenteuer, erklärt er. Ziemlich berührt haben ihn aber die vielen Kontakte, die er fast automatisch zu anderen Menschen knüpft. "Es ist der Austausch mit anderen Kulturen, der es hier für mich ausmacht", sagt er. Immerhin kann er sich vorstellen, weiter etwas im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit zu machen.
Andere haben dagegen einige Glaubensfragen mitgebracht: Die 14-jährige Linn ist Messdienerin, hat aber gerade Zweifel, ob sie sich mit dem katholischen Glauben überhaupt identifizieren kann. "Es gibt manche Aussagen von Leuten in der Kirche, die ich mit meinen Überzeugungen nicht vereinbaren kann." Vor allem beschäftigt sie das Thema Frauen in der Kirche. "Hier bei den Katechesen haben wir uns oft gefragt, warum keine Frau vorne steht", sagt sie. Dennoch habe es viele Momente gegeben, die ihr Mut gemacht hätten, es doch weiter mit der Kirche zu versuchen.
Das Thema Gleichberechtigung und auch Vielfalt in der Kirche ist ein Thema, dass die Gruppe sehr beschäftigt, sagt Sarah Dittrich. Sie trägt einen Rucksack in Regenbogenfarben – ganz bewusst als Zeichen der Unterstützung für die LGBTQ-Community. Schief angeschaut oder gar kritisch angesprochen wurde sie dafür noch nicht geworden, betont sie. "Ich habe dafür bisher nur Wohlwollen gemerkt." Es sei einfach die Lebensrealität mancher Menschen. "Und der Papst hat bei seiner Begrüßung schließlich auch gesagt, die Kirche sei für alle." Die Jugend sei dafür da, um gerade bei einem Thema wie diesem wachzurütteln.
Nach einer kurzen Trinkpause an den Autos gibt es ein weiteres Intermezzo im Zug – mit den bekannten Begleiterscheinungen. In Carcavelos steigt die Gruppe schließlich aus. Nachdem nochmal durchgezählt worden ist, geht es zu Fuß weiter zum Strand. Zum wiederholten Mal ruft einer aus der Gruppe „Schmetterling" – das Codewort dafür, dass die anderen anhalten sollen, weil einer es gerade nicht über die Ampel schafft oder sonst Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren. Einige Minuten später geht es durch eine Unterführung endlich direkt ans Meer.
Für inklusivere Kirche
Jolene und Steffen haben ihre Handtücher nebeneinander ausgebreitet. Die beiden sind ein Paar, er leitet einen Kinder- und Jugendtreff der katholischen Jugendarbeit, sie ist zwar mit der Kirche aufgewachsen, praktiziert aber seit einigen Jahren nicht mehr. Die Gottesdienste beim Weltjugendtag empfindet Jolene als sehr feierlich. Doch auch sie wünscht sich eine inklusivere, offenere Kirche. Dann, sagt sie, könne sie sich auch wieder vorstellen, häufiger in den Gottesdienst zu gehen.
Steffen erzählt, dass es beim Weltjugendtag bei Gebeten viele Momente gegeben habe, bei denen er das Gefühl hatte, alle seinen gleich, der der oben oder vorne sitzt, sei "einer von uns". Dass Kirche dort nicht "von oben herab" stattgefunden habe, gefällt ihm. "Aber dann gibt es wieder Momente, bei denen man sich denkt, es ist wie immer: Oben sitzen ältere Männer und erklären uns, wie Kirche funktioniert." Gerade beim Weltjugendtag sei das schade, "denn hier könnte man etwas bewegen". Berührt hat ihm beim Weltjugendtag vor allem die Offenheit der anderen Teilnehmer. "Da kommen Leute auf dich zu, die dir etwas schenken wollen, die alle für dieselbe Sache hier sind." Er fände es toll, wenn dieser Geist den Weltjugendtag überdauern könnte, sagt er. Danach nimmt er seine Freundin bei der Hand und läuft mit ihr ins Meer hinein.
Wie der Weltjugendtag in diesem Sinne nachhaltig sein kann und die Teilnehmer ihre Erlebnisse in den Alltag in Deutschland hinüberretten können, das beschäftigt auch Sarah Dittrich. Die Mitglieder der Gruppe seien in den vergangenen Tagen regelrecht aufgeblüht. "Ich hoffe sehr, dass die Leute auch über Lissabon hinaus zusammenbleiben und vielleicht eine Art Weltjugendtags-Gruppe bilden können, die sich weiter trifft." Die Signale von den Jugendlichen sind schon mal gut: Viele können sich das sehr gut vorstellen.
Der Strandbesuch bildet nur einen der Höhepunkte des Tages. Zunächst geht es zurück nach Belem, wo sich die Gruppe den Torre de Belem, einen berühmten Turm und Wahrzeichen Lissabons, ansehen will. Und am Abend steht noch der Kreuzweg mit dem Papst in der Lissaboner Innenstadt an. Danach kann die Dürener Gruppe auch wieder in ihre Unterkunft – sie ist ab 21 Uhr für sie verfügbar.