Würzburger Synode und Synodaler Weg: "Heute weniger Mitbrüderlichkeit"
Macht, Klerikalismus, Sexualität – viele der Themen, die beim Synodalen Weg diskutiert wurden, lagen auch rund 50 Jahre zuvor bei der Würburger Synode (1971-1975) auf dem Tisch. Einige der Beschlüsse von damals prägen das kirchliche Leben in Deutschland bis heute, andere wurden im Vatikan verboten oder nie beantwortet. Das frustriert Walter Bayerlein. Der heute 87-Jährige war Teilnehmer der Würzburger Synode und hat den Synodalen Weg verfolgt. Der frühere Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht in München gehörte jahrzehntelang dem Vorstand des Diözesanrates der Katholiken der Erzdiözese München und Freising an und war Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Im katholisch.de-Interview zieht er einen Vergleich zwischen Synodalem Weg und Würzburger Synode und erklärt, warum der Kirche nicht mehr viel Zeit zur Korrektur bleibt.
Frage: Herr Bayerlein, wie oft haben Sie sich beim Verfolgen des Synodalen Wegs an die Würzburger Synode erinnert gefühlt?
Bayerlein: Eigentlich ständig, weil das Bestreben und die Anliegen immer noch die Alten sind, denen ich als Mitglied der Würzburger Synode einige Jahre meines Lebens gewidmet habe.
Frage: Welche Anliegen sind das?
Bayerlein: Es geht um die Macht in der Kirche, um Klerikalismus, um die sinnvolle humane Gestaltung von Ehe, Familie und Sexualität und um die Mitwirkungsrechte nichtgeweihter Mitglieder der Kirche, um nur einige Beispiele zu nennen.
Frage: Und wo liegen aus Ihrer Sicht die großen Unterschiede zwischen Synodalem Weg und Würzburger Synode?
Bayerlein: Zunächst einmal unterscheidet sich der Ausgangspunkt: Damals waren Bischöfe, Geistliche und Laien in einer Aufbruchstimmung nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils. Der Synodale Weg ist damit beschäftigt, die durch die Offenlegung der Missbrauchsfälle eingetretene Katastrophe irgendwie in den Griff zu bekommen. Spannungen haben auch schon die Würzburger Synode geprägt, zumal nach der umstrittenen Enzyklika "Humanae vitae". In Anwesenheit des Allerheiligsten im Würzburger Dom haben wir oft heftig diskutiert, meistens aber auch sehr konstruktiv. Im Lauf der Jahre ist das gegenseitige Vertrauen stetig gewachsen. Der größte grundlegende Unterschied liegt aber in der Frage des Statuts.
Frage: Inwiefern?
Bayerlein: Die Würzburger Synode hatte ein von Papst Paul VI. approbiertes Statut, nach dem alle das gleiche beschließende Stimmrecht hatten – ob Bischof, ob Theologieprofessor oder Laie, ob Frau oder Mann. Es gab keine Sperrminoritäten und die Bischöfe konnten nur dann ein Veto einlegen, wenn sie begründen konnten, dass etwas gegen die Glaubens- oder Sittenlehre sprach, und zwar – das ist entscheidend – vor der Beschlussfassung, und zwar durch das Kollegium der Bischofskonferenz. Die beschlossenen Texte, zu denen kein solches Veto vorlag, wurden mit der Veröffentlichung im Amtsblatt des Bistums kirchliches Gesetz. Das hat dazu geführt, dass die Debatten ungeheuer ernsthaft waren, weil es für den Beschluss auf jedes Wort ankam. Beim Synodalen Weg konnten schon einige wenige Bischöfe dagegen von ihrer Sperrminorität Gebrauch machen und die Bischöfe sind kirchenrechtlich nicht dazu verpflichtet, die Beschlüsse umzusetzen. Sie konnten sich damit viel mehr – manchmal ostentativ – zurücklehnen. Mit Bischof Georg Bätzing hat die Bischofskonferenz einen tatkräftigen und besonnenen Vorsitzenden, der meinen größten Respekt hat. Das Verhalten einiger Hardliner und einzelner Bischöfe, soweit ich das aus den Medien erfahren habe, empfinde ich heute als sehr viel weniger kollegial und "mitbrüderlich" als noch zur Zeit der Würzburger Synode.
Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht auch Unterschiede bei den Themen?
Bayerlein: Die Würzburger Synode war unterfüttert durch eine große Umfrage unter den Gläubigen. Die Themen kamen somit aus der Mitte der kirchlichen Gemeinschaft. Die Themen des Synodalen Wegs wurden durch einen anderen Fokus bestimmt, nämlich durch die systemischen Ursachen für den sexuellen Missbrauch in der Kirche. Deshalb meint man in Rom, den Synodalen Weg als Ergebnis einer elitären, abgehobenen Akademikerschicht am Rande des Kirchenvolkes verunglimpfen zu können, die eine neue evangelische Kirche propagieren wolle. Ich finde solche Bemerkungen – die ja leider mitunter auch von Papst Franziskus selbst berichtet werden – sehr irritierend und verletzend für Menschen, die – wie wir damals in der Würzburger Synode – aus Liebe zur Kirche viel Zeit und Kraft in dieses Projekt investiert haben.
Frage: Demokratie in der Kirche, Zölibat, Diakonat der Frau – all das lag vor 50 Jahren schon auf dem Tisch. Passiert ist bis heute aber nicht wirklich etwas. Woran liegt das?
Bayerlein: Das hängt alles mit der Frage der Machtverteilung und der Art der Machtausübung in der Kirche zusammen. Selbst Bischöfe werden von Rom oft wie subalterne Verwaltungsbeamte behandelt bei gleichzeitiger Überhöhung des kirchlichen Amtes. Von den originären Mitwirkungsrechten der Laien, die, wie das Zweite Vatikanum sagt "vom Herrn selbst" zum "Heilsdienst" an der Welt und in der Kirche berufen sind (LG 33), scheint man in Rom in der Praxis wenig zu halten. Unsere Kirche hat insoweit kein Theoriedefizit, sondern ein Praxisdefizit. Wir haben beispielsweise auf der Würzburger Synode in zweiter Lesung auf der Grundlage einer Gewaltenunterscheidung einen Text zur Verwaltungsgerichtsbarkeit mit über 90 Prozent Zustimmung verabschiedet. Das ist dann in Rom aber einfach auf Eis gelegt worden.
„Als gläubiger Christ bin ich aber nach wie vor der Überzeugung, dass der Heilige Geist jederzeit für eine Art Notlandung in seiner Kirche gut ist. [...] Rom hat den Heiligen Geist nicht exklusiv abonniert.“
Frage: Die Idee einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde auch beim Synodalen Weg aufgegriffen …
Bayerlein: Ja, aber dieses überfällige Projekt liegt wieder zur Prüfung in Rom. Man weigert sich dort hartnäckig, zwischen einer Demokratie als Staatsform und bewährten demokratischen Regeln für das Zusammenleben, die weithin der Menschenwürde entsprechen, zu unterscheiden. Offenbar ist eine Wahl gegenüber einer Berufung durch eine Oberinstanz aus kirchlicher Sicht ein Makel. Dabei kommt der Papst selbst durch Wahl in sein Amt. Es gibt den alten menschenrechtlichen Grundsatz: Was alle angeht, daran sollen auch alle mitwirken. Es heißt in der Benedictus-Regel, der Abt solle alles mit Rat tun. Aber der Rat ist in der Kirche nach wie vor etwas, das man einfach ignorieren kann. Es ist ärgerlich, dass wir so lange auf eine Veränderung der Kirche zum Besseren warten müssen. Man hat aus meiner Sicht nicht mehr viel Zeit zur Korrektur. Sonst werden noch mehr Menschen in der Kirche resignieren und gehen. Die heilsame christliche Botschaft wird dadurch geschwächt, im Einzelnen und in der Gesellschaft.
Frage: Sie sind also nicht besonders optimistisch, dass die Vorlagen dieses Mal in Rom Gehör finden und entsprechende Umsetzung erfahren?
Bayerlein: Nein. Wenn überhaupt kann die Weltsynode etwas bringen, obwohl die Vorzeichen dafür sehr unterschiedlich sind. Auf der einen Seite gibt es jetzt ein "Instrumentum laboris", in dem die gegenwärtigen Probleme offen aufgelistet sind. Auf der anderen Seite ist die Nichtberufung der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, schon ein herber Schlag. Und die Berufung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller ist für mich auch kein positives Signal.
Frage: Nichtsdestoweniger nehmen einige Beobachter aktuell eine veränderte Stimmung und Bewegung in der Kirche wahr. Inwiefern lässt sich die Stimmung mit der rund um das Zweite Vatikanische Konzil vergleichen?
Bayerlein: Die Erfahrung mit dem Konzil hat mein Leben geprägt: Ich war in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil Mitglied der BDKJ-Stadtführung in München und da kam mir vieles in der Kirche zementiert vor. Bei dem, was von oben aus Rom kam, haben wir oft die Stacheln aufgestellt, so wie junge Menschen eben sind. Dann kamen aber Berichte über das Zweite Vatikanum und ich bin hellhörig geworden: Überrascht hat mich damals, dass die Versammlung die im Vatikan vorgefertigten Texte vom Tisch gewischt und die Texte selbst erarbeitet hat. Beeindruckt hat mich dann die Erfassung der Kirche als "Volk Gottes unterwegs", die positiv veränderte Sicht auf die Rolle der Laien für Welt und Kirche, die grundlegend veränderte Haltung zur Religionsfreiheit und vor allem die revidierte Lehre zum Judentum. Das waren für mich große Hoffnungszeichen und wichtige Impulse für mein Christsein. Und das hat sich in der Kirche zunächst auch spürbar ausgewirkt. Aber dann hat man in Rom die von Johannes XXIII. weit geöffneten Fenster wieder auf Kippstellung zu bringen versucht. Häufig mit Erfolg. Als gläubiger Christ bin ich aber nach wie vor der Überzeugung, dass der Heilige Geist jederzeit für eine Art Notlandung in seiner Kirche gut ist. Er weht, wo er will, wann er will und wie er will. Rom hat den Heiligen Geist nicht exklusiv abonniert. So kann diese Versammlung vielleicht tatsächlich zu der Bewegung werden, die dem Papst Rückenwind gibt – von dem ich aber nicht weiß, ob er ihn wirklich will und ob er ihn noch verkraftet.
Wie die Weltsynode den Synodalen Weg noch retten kann
Bisher kam aus Rom nur Gegenwind für den Synodalen Weg und seine Ideen für Laienbeteiligung. Ein Ausweg aus dem Streit um die Gestaltung der bischöflichen Autorität könnte nun ausgerechnet auch aus Rom kommen: Das Arbeitsdokument der Synode stellt Fragen, die auch die deutschen Synodalen umtreiben.
Frage: Vor rund 50 Jahren hat die Würzburger Synode ihre Ergebnisse vorgestellt. Was davon wirkt bis heute nach?
Bayerlein: Viele der Ergebnisse der Würzburger Synode sind im Nachhinein in Vergessenheit geraten, spielen aber auch heute noch eine Rolle. Texte aus dem Beschluss "Unsere Hoffnung" dienen noch heute vielen Pfarrgemeinderäten als inspirierender Einstieg in die Tagesordnung. Die Jugendarbeit lebt nach wie vor von dem Text, der damals verabschiedet wurde. Das, was von der Würzburger Synode über den Sinn von Ehe, Familie und menschlicher Sexualität formuliert wurde, ist aus meiner Sicht das Beste, was katholischerseits bis dahin veröffentlicht worden war. Aber natürlich hat Rom vieles auch verboten, etwa die Predigt durch Laien, die wir beschlossen haben. Die wurde 1983 durch das neue Kirchenrecht wieder verboten – aus meiner Sicht völlig grundlos.
Frage: Was wird aus Ihrer Sicht das Vermächtnis des Synodalen Weges sein?
Bayerlein: Wenn man jetzt einen Strich zieht und schaut, was der Synodale Weg erreicht hat, sagen manche Menschen, dass er nichts erreicht habe. Ich widerspreche da: Er hat gezeigt, dass es in einer Kirche so wie in Deutschland möglich ist, Probleme offen und schnörkellos zu benennen und damit in einen offenen Austausch zu treten, in dem sich auch reformwillige Bischöfe offen zu Veränderungen bekennen. Die vatikanischen Dikasterien wären gut beraten, das wirklich ernst zu nehmen. Ob sie jeder dieser Lösungen zustimmen, die in der Tat weltkirchlich manchmal noch ein wenig fremd ausschauen, ist eine andere Frage. Dass der Synodale Weg nichts erreicht hat, kann man deshalb nicht sagen. Dass es viel zu wenig ist, schon. Aber das liegt schon im Statut begründet. Eine weitere Frucht liegt in dem Netzwerk, das damit geschaffen wurde.
Frage: Was meinen Sie damit?
Bayerlein: Nebulös spricht man oft vom Geist einer Versammlung, ohne genau zu wissen, wie man ihn fassen kann. Durch die Beratungen und die Zusammenarbeit bei der Würzburger Synode hatten wir ein Netzwerk quer durch alle Diözesen und kirchlichen Ämter. Dieses Kapital haben wir hernach aber einfach verdummt. Der Synodale Weg sollte diesen Fehler nicht erneut begehen.