Litauen nimmt Geflüchtete aus Ukraine und Belarus auf

Bischofskonferenz-Generalsekretär: Bei Migration Nächstenliebe zeigen

Veröffentlicht am 22.10.2023 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Vilnius ‐ Im Umgang mit Migration sind Nächstenliebe und gesunder Menschenverstand zentral, sagt der Generalsekretär der litauischen Bischofskonferenz, Kęstutis Smilgevičius, im katholisch.de-Interview. Ähnliches gelte auch für die Weltsynode.

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Litauen liegt im Mittelpunkt der weltpolitischen Lage: Es hat Grenzen mit Russland und Belarus, zudem kommen ukrainische Geflüchtete ins Land – zusätzlich zu Geflüchteten etwa aus dem Nahen Osten. Im Interview betont der Generalsekretär der litauischen Bischofskonferenz, der Priester Kęstutis Smilgevičius, welche Herausforderungen und Werte für Gesellschaft und Kirche jetzt wichtig sind.

Frage: Herr Smilgevičius, wie verändern die unterschiedlichen Fluchtbewegungen das kirchliche Leben in Litauen?

Smilgevičius: Für die Kirche ist das eine Aufgabe und eine Gelegenheit, um sich zu engagieren und diesen Leuten zu widmen. Die ukrainischen Flüchtlinge sind für uns seit Langem ein Thema. Viele litauische katholische Familien haben ukrainische Flüchtlingsfamilien aufgenommen. Zusätzlich betreut die litauische Caritas sehr vielseitige Hilfsprogramme. Die Kirche hat mehrere nationale Kollekten für die Ukraine organisiert. Man kümmert sich um die Menschen, die gezwungen waren ihr Land zu verlassen. Für die Flüchtlinge bietet die Kirche seelsorgerische Hilfe an. Als katholische Kirche in Litauen setzen wir uns für die Wahrung der Menschenrechte auch von illegal Eingereisten ein und bieten materielle Hilfe. Beides sind wichtige Anliegen für uns.

Frage: Durch die Fluchtbewegungen kommen Menschen mit sehr unterschiedlichen religiösen Traditionen ins Land. Ist das für die Kirche nicht auch eine Herausforderung in einem so katholisch geprägten Land?

Smilgevičius: Nein, das ist eine Gelegenheit, um geistlich reicher zu werden. Wir können uns und unseren Glauben aus einer anderen Perspektive betrachten. Das ist auch ein Ansporn für unsere Gläubigen. Hier leben Menschen mit verschiedenen Konfessionen und Religionen seit Jahrhunderten zusammen. Für uns ist das selbstverständlich.

Frage: Gilt das auch für Muslime, die vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko an die litauische Grenze gebracht werden, um das Land zu destabilisieren?

Smilgevičius: Muslime sollten genauso gut behandelt werden wie alle anderen – schließlich haben wir in unserem Land seit dem Ende des 14. Jahrhunderts eine muslimische Minderheit. Sie sind unsere geliebten Mitbürger, unsere Brüder und Schwestern. Auch deswegen genießen sie dieselben Rechte wie alle anderen Flüchtlinge. Zwar reisen sehr viele von ihnen weiter, weil sie beispielsweise Verwandtschaft in anderen europäischen Ländern haben oder ein anderes Land als Ziel haben. Aber das sollte für uns nur ein Randaspekt sein: Muslime wie Nichtmuslime sind Menschen, um die wir uns kümmern und deren Menschenrechte unantastbar bleiben müssen.

Bild: ©katholisch.de/cph

Litauen – hier die Kathedrale von Vilnius – ist ein katholisch geprägtes Land. Knapp 74 Prozent der Menschen gehören der katholischen Kirche an.

Frage: Litauen hat große historische und kulturelle Verbindungen zu Polen, wo es im Umgang mit der Ukraine wie auch mit muslimischen Geflüchteten immer wieder zu Verwerfungen kommt. Einerseits gibt es dort Vorbehalte gegen muslimische Immigration, andererseits wird die Unterstützung für die Ukraine hinterfragt. Was sagen Sie diesen Menschen?

Smilgevičius: Es kann sein, dass diese Rhetorik eher zeit- und umstandsbedingt ist. Vor den Wahlen werden die Worte in vielen Ländern radikaler. Aber das sind oft keine definitiven Positionen von politischen Gruppen. Ich glaube, dass wir alle Fragen rund um das Thema Migration beantworten müssen – und dass wir auch Antworten finden können. Aber in allem dürfen wir einen gesunden Menschenverstand und die Nächstenliebe nicht vergessen.

Frage: Wenn es um unterschiedliche Perspektiven geht, wendet sich der Blick der Kirche schnell auf die Weltsynode, bei der viele unterschiedliche Vorstellungen von Kirche aufeinandertreffen. Auch mit Blick auf die reiche multikulturelle Tradition Litauens: Wie kann da vermittelt werden?

Smilgevičius: In der Weltsynode müssen wir danach suchen, was uns als Weltkirche eint. Es gibt Repräsentanten aus ganz vielen Teilen der Welt. Aber sie sollen nicht versuchen, ihre eigene Vorstellung von Kirche durchzusetzen, sondern die Situation ihrer Kirche als Beitrag zur Lösung der globalen Probleme begreifen. Die Synode ist vor allem Gebetstreffen, also eine Zeit des Schweigens und des Zuhörens. Es ist sehr schwierig, Lösungen oder die Veränderungen der Situationen für das große Ganze zu finden. Deshalb ist es essenziell, aufeinander zu hören. Die Kirche in Deutschland hat etwa einen großen Schatz an Erfahrungen, auch an schmerzlichen Erfahrungen. Wenn es beispielsweise um Religionskriege oder die Konfessionalisierung geht. Das kann dazu beitragen, Differenzen und Konflikte zu vermeiden. Die nationalen Beiträge können fruchtbar sein, wenn wir alles abwägen, zuhören und wieder abwägen. Das ist nicht einfach und das verstehen die Synodenväter. Aber das müssen wir tun, weil Prioritäten in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gesetzt werden. Nur durch aufmerksames Zuhören lassen sich die relevanten Fragestellungen herausarbeiten.

Frage: Litauen ist ein vom Kulturkatholizismus geprägtes Land. Wenn Sie einen Blick auf Deutschland werfen, wo die Missbrauchsaufarbeitung und die Säkularisierung das kirchliche Leben bestimmen – welche Schlüsse ziehen Sie da für Ihr Land?

Smilgevičius: Es ist durchaus möglich, dass einige Themen aus den westeuropäischen Ländern hier in Zukunft relevanter sein werden. Davor haben wir aber keine Angst, sondern wir verfolgen laufende Diskussionen mit Aufmerksamkeit. Das gilt auch etwa für das Thema Missbrauch, das in Mitteleuropa breit diskutiert wird. Das ist auch bei uns etwas, mit dem wir uns ständig auseinandersetzen. Erst im vergangenen Herbst haben wir uns deshalb neue Leitlinien dazu gegeben. Zwar haben wir hier nicht so hohe Zahlen wie anderswo, aber dennoch ist jeder Fall einer zu viel. Diese Themen dulden kein Herumreden und keine leichten Ausreden. Wir müssen handeln, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen.

Von Christoph Paul Hartmann