Onlineshopping und Patriarchenfrust bei der Weltsynode im Vatikan
Ein Tag hat 24 Stunden, eine Woche sieben Tage – mehr ist nicht drin. Das mag ein Grund sein, weshalb viele der Synodalen in Rom von Tag zu Tag müder aussehen. An ihren bunten DIN A5-Kärtchen um den Hals erkennt man die römischen Synodenmitglieder rund um den Petersplatz sofort. Wie sie aus aller Welt in die Ewige Stadt zur ersten Etappe der Weltsynode gekommen sind, so strömen sie auch allmorgendlich über das römische Kopfsteinpflaster Richtung Synodenaula im Vatikan. Viele zu Fuß, an der Glaubenskongregation und lauernden Journalisten vorbei, andere mit dem Auto oder vatikanischen Shuttlebussen bis unmittelbar vor die Synodenhalle und wieder andere biegen kurz vor Sitzungsbeginn in die entgegengesetzte Richtung zur Porta Sant'Anna ab, um vorbei an Touristen und Journalisten durch die Vatikanischen Gärten zur Audienzhalle zu kommen, in der die Weltsynode tagt.
Dort in der Aula Paul VI. beginnen die Synoden-Sitzungen mit einem morgendlichen Gebet und Verlautbarungen zu Geburts- und Weihetagen oder anderen Festivitäten der Teilnehmenden. Da bei dieser Synode einige Laien mit von der Partie sind, gibt es auch gelegentlich Applaus, wenn Ehepartner oder Kinder Geburtstag haben. Der synodale Tagesablauf beginnt um 8.45 Uhr und geht – mit einer dreieinhalbstündigen Mittagspause – bis 19.30 Uhr. Redebeiträge und Schweigeeinheiten wechseln sich ab. Auf großen Bildschirmen in der Audienzhalle und inmitten der runden Tische, an denen die Synodalen sitzen, läuft dann ein Countdown. Der Blick durch das erste Drittel der Halle, in dem die Synode tagt, und auf Smartphone- und Laptopbildschirme zeigt, dass sich die Zeiten nicht nur zum Gebet, sondern auch mit Amazon-Bestellungen, Social Media oder der Lektüre nutzen lassen.
Zornige Patriarchen und gelassene Kellner
Zur Mittagszeit und am Abend strömen die Synodalen aus dem Vatikan in die Stadt oder zu ihren Unterkünften. Man trifft sich mit Studienfreunden, Kollegen oder der mitgereisten Entourage, wie beispielsweise manch ein Patriarch. Da Rom nach den heißen Sommermonaten vermehrt auch wieder von Touristen und Einheimischen bevölkert wird, kann es leicht passieren, dass selbst ein Kirchenfürst höchsten Rangs vor einem altenigesessenen Ristorante zwischen Mülleimern und Motorrollern auf dem Bürgersteig warten muss – sehr zu seinem Leidwesen und dem der rund zehnköpfigen Begleitung. Doch erfahrene römische Kellner beeindruckt auch wildestes patriarchale Zetern und Wüten nur wenig – zumal man im überfüllten Lokal gerade schon mindestens zwei weitere Bischöfe verköstigt. Bischöfe kommen und gehen – das wissen römische Kellner wohl am besten.
Die Stadt geht derweil ihrem gewohnten Gang. Betrüger fangen kleine Touristengruppen mit zwielichtigen Angeboten ab, größere Reisegruppen drängeln sich zwischen Verkehr und Schlaglöchern aneinander vorbei und Nachwuchskleriker in schwarzen Anzügen streifen durch die Gassen. Thema ist die Weltsynode für die wenigsten. Die Einheimischen sprechen vermehrt über die Bauarbeiten für das Heilige Jahr 2025 und Touristen genießen schon heute die neue Fußgängerzone von der Engelsburg bis nach St. Peter.
Besonders eindrücklich wurde die Diskrepanz zwischen Synoden- und Alltagswelt am Mittwoch der dritten Synodenwoche. Während Papst Franziskus auf dem Petersplatz seine Generalaudienz abhielt, feierten die Synodenväter und -mütter am Kathedra-Altar des Petersdoms Eucharistie. Pünktlich zur Wandlung in der Basilika brandeten die Begeisterungsstürme der Audienzteilnehmer vom Platz in den Dom. Die Weltsynode findet in ihrer eigenen Welt statt.
Immer zu Beginn eines neuen Themenblocks findet dieser Gottesdienst im Petersdom statt. Dabei präsentiert sich die katholische Kirche als Weltkirche und zeigt die ganze Bandbreite ihrer Riten: So feierte die Synodengemeinschaft neben Eucharistiefeiern im lateinischen Ritus auch eine byzantinische Liturgie mit dem melkitischen Patriarchen auf altgriechisch, arabisch und italienisch. Und doch zeigt sich ein gewohntes Bild: Kardinäle sitzen vorn im Chorgestühl, Bischöfe in eigenen Bankreihen und auch die Laien haben ihren eigenen Bereich. Abgrenzung spielt auch sonst in der Synodenwelt eine Rolle. Am offensichtlichsten ist die päpstliche Informationssperre, die zunehmend zu einer aufgeheizten Stimmung während der täglichen Pressekonferenzen führt.
Während die Synode hinter verschlossenen Türen tagt, laden Interessengruppen bewusst öffentlich zu Veranstaltungen ein. Beispielsweise veranstaltete das Aachener Hilfswerk Missio eine Reihe von Symposien in den Räumlichkeiten des Campo Santo Teutonico. Internationale Reformgruppen und Verbände organisieren ebenfalls öffentliche Vorträge, Begegnungsveranstaltungen und Vernetzungstreffen in der Stadt. Viele Redner und Engagierte kommen eigens für diese Veranstaltungen in die Stadt. Immer wieder hört man, es sei ihnen wichtig im Umfeld der Synode ihre Stimme zu erheben – dafür sei kein Weg zu weit.
Neben diesen öffentlichen Veranstaltungen zieht es Synodale immer wieder auf Veranstaltungen, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. In Hinterzimmern treffen sie sich in diesen Tagen zu unzähligen Vernetzungstreffen von Sprach- und Interessengruppen. Botschaften öffnen ihre Türen, kirchliche Einrichtungen stellen ihre Infrastruktur zur Verfügung und in ruhigen Ecken werden Informationen und Kontaktdaten ausgetauscht.
Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bei Vernetzungstreffen
Einige dieser Veranstaltungen finden unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen statt. Nichts soll nach außen dringen, Fotos sind verboten und Namen werden überprüft, bevor Zutritt gewährt wird. Wie man hört auf Wunsch von Synodalen, die vorsichtig sind wie und wo sie gesehen werden. Bisweilen übertrifft die Öffentlichkeitsangst hierbei die der vatikanischen Kommunikationsbehörde.
Die erste Etappe der Weltsynode findet zu großen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – das betrifft die Arbeit in der Synodenaula aber auch flankierende Treffen von liberalen wie konservativen Kräften. Und auch die Synodenarbeit – so ist immer wieder zu hören – fokussiert sich auf Themen im Maschinenraum der Kirche. Synodale berichten, dass frühestens nach der zweiten Etappe im Herbst 2024 mit konkreten Ergebnissen zu rechnen ist. Ob diese "heiße Eisen" der Kirchenpolitik betreffen, ist jedoch fraglich. Wahrscheinlich werde alles auf Grundlagenarbeit bezüglich des kirchlichen Miteianders hinauslaufen. Auf deren Basis könne dann irgendwann in weiteren Schritten – vermutlich nicht vor 2025 – über Sexualmoral, Anthropologie und weitere Fragen beraten werden – wenn der Papst dies wolle. Die Kirche denkt in Jahrhunderten.
Auch hier zeigt sich eine Differenz zwischen "drinnen" und "draußen". Während die "säkulare Gesellschaft", wie es Kardinal Hollerich in einer Ansprache an die Synode formulierte, zeitnah auf konkrete Antworten zu "heißen Eisen" warte, müsse die Synode nun Grundlagenarbeit leisten. Diesen Umstand gilt es für den Vatikan und die mehr als 400 Synodenteilnehmer schließlich nach außen zu kommunizieren. Auf die Antwort scheint in Rom jedoch keiner zu warten.