Standpunkt

9. November: Ein Tag für Zivilcourage

Veröffentlicht am 09.11.2023 um 00:01 Uhr – Von Tilmann Kleinjung – Lesedauer: 

München ‐ "Nie wieder ist jetzt" – diesen Satz hört man in diesen Tagen oft, schreibt Tilmann Kleinjung und appelliert an die Zivilcourage jedes einzelnen, zu garantieren, dass jüdisches Leben in Deutschland in aller Öffentlichkeit stattfinden kann.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Heute wäre ein Tag zum Feiern. Vor 20 Jahren wurde in München der Grundstein für die neue Synagoge mitten in der Stadt gelegt. Die alte Hauptsynagoge war am 9. November 1938 zerstört worden. Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern hatte als sechsjähriges Mädchen den Terror dieser Nacht miterlebt. "Nicht stehen bleiben!", sagte damals ihr Vater, an dessen Hand sie durch München lief. Nur nicht auffallen. Es grenzt an ein Wunder, dass nach dem 9. November und allem, was folgte, in Deutschland wieder jüdisches Leben möglich wurde. Dass Jüdinnen und Juden wieder heimisch wurden. 2006, nach der Einweihung der neuen Synagoge im Herzen Münchens, hat Charlotte Knobloch gesagt: "Meine Koffer sind ausgepackt, ich bin da."

Warum uns heute doch nicht nach Feiern zu Mute ist: Der Angriff der Hamas, das schlimmste Pogrom seit dem Holocaust, und der Krieg in Israel und Gaza haben zu einer neuen Welle von Judenhass geführt – auch in Deutschland. Die große und stolze Israelitische Kultusgemeinde in München bittet die "Jüdische Allgemeine" ihre Zeitung in neutralen Kuverts zu verschicken, aus Angst, die Empfänger könnten als Juden identifiziert werden und Bedrohungen ausgesetzt sein. Dieser alte Hass auf Juden, auf alles Jüdische ist nie verschwunden. Es gibt ihn immer noch, auch in neuen Spielarten, als importierten Hass, der dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht.

Das Pogrom des 9. November kam nicht aus dem Nichts. Der Judenhass hat eine lange Geschichte in diesem Land. Was nach dem 9. November 1938 kam, hat sich ins kollektive Gedächtnis der Welt eingebrannt: die geplante und gezielte Ermordung von sechs Millionen Juden.

"Nie wieder ist jetzt". Diesen Satz hört man in diesen Tagen oft. Zu dieser Verpflichtung gehört, dass jüdisches Leben in aller Öffentlichkeit stattfinden kann. Ohne Angst vor Verfolgung, Bedrohung und Gewalt. Das zu garantieren, ist nicht nur Aufgabe eines wachsamen Staates. Es liegt auch an der Zivilcourage jedes einzelnen. 

Von Tilmann Kleinjung

Der Autor

Tilmann Kleinjung ist Leiter der Redaktion Religion und Orientierung im Bayerischen Rundfunk (BR).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.