Beck: Vatikan sorgt dafür, dass Menschen sich von Kirche distanzieren
Die Missbrauchsbetroffene Johanna Beck hat deutliche Kritik an den jüngsten "brieflichen Warnschüssen" aus dem Vatikan an die Adresse der katholischen Kirche in Deutschland geäußert. "Ich wünschte, ich könnte auf diese Schreiben mit Gelassenheit reagieren. Aber als kirchenbewegte Person erschreckt es mich, zu sehen, dass bei Franziskus nach wie vor die negativen Narrative über die vermeintlich pseudoprotestantischen, überbürokratischen und quasihäretischen Deutschen verfangen", schreibt Beck in einem Beitrag für die Wochenzeitschrift "Christ in der Gegenwart" (Ausgabe 49/2023) mit Blick auf den Ende November bekannt gewordenen Brief des Papstes an vier Kritikerinnen des Synodalen Wegs.
Der Papst bleibe bei seinem Monitum, wonach sich große Teile der Kirche in Deutschland "immer weiter vom gemeinsamen Weg der Weltkirche zu entfernen" drohten. "Genau das Gegenteil ist der Fall: Nicht die deutschen Katholiken entfernen sich immer mehr von der Weltkirche und von Rom, sondern der Vatikan sorgt mit Reformunwilligkeit, mangelndem Engagement im Missbrauchskontext und mit diskriminierendem Gebaren dafür, dass sich hier immer mehr Menschen von der katholischen Kirche distanzieren", schreibt Beck, die Mitglied des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz ist und sich öffentlich für die Aufarbeitung des sexuellen und geistlichen Missbrauchs in der Kirche engagiert, weiter.
"Sonst wird dieses System stets neue Opfer hervorbringen ..."
Als Betroffene verletze Franziskus' Schreiben sie auch ganz persönlich, so Beck. "Er kritisiert darin, dass die hiesige Kirche 'in einer gewissen Selbstbezogenheit die immer gleichen Themen' behandele und sich lieber auf 'Buße' und 'Anbetung' konzentrieren solle. Zur Erinnerung: Der deutsche Synodale Weg wurde nach den erschütternden Erkenntnissen der MHG-Studie ins Leben gerufen, um die Missbrauchsproblematik bei ihrer strukturellen Wurzel zu packen", schreibt Beck. Solange dieser Abgrund nicht radikal aufgearbeitet und die missbrauchsbegünstigenden Strukturen reformiert würden, müsse man sich um "die immer gleichen Themen" drehen. "Sonst wird dieses System stets neue Opfer hervorbringen."
Beck wirft "Rom" in ihrem Beitrag ein "selektives Verständnis von Marginalisierung" vor: Wer von der Welt "da draußen" versehrt worden sei und sich brav asymmetrisch bemitleiden und beseelsorgen lasse, gelte als sehens- und hörenswert. "Wer von der Kirche selbst verwundet wurde und aufgrund dessen die Systemfrage stellt, nicht." Die Anliegen von Missbrauchsbetroffenen würden in der Regel nicht umgehend vom Papst beantwortet. "Unsere Schreie durchdringen nur in den seltensten Fällen die Mauern des Vatikans. Müssen wir uns als Bettler auf die Schwelle des Petersdoms setzen, um endlich vom Papst wahrgenommen zu werden?"
Papst Franziskus hatte sich Ende November erneut kritisch zu Reformforderungen der Kirche in Deutschland geäußert. Er teile die "Sorge über die inzwischen zahlreichen konkreten Schritte, mit denen sich große Teile dieser Ortskirche immer weiter vom gemeinsamen Weg der Weltkirche zu entfernen drohen", schrieb Franziskus in einem persönlichen Brief an vier Kritikerinnen des Reformprozesses der Kirche in Deutschland. "Anstatt das 'Heil' in immer neuen Gremien zu suchen und in einer gewissen Selbstbezogenheit die immer gleichen Themen zu erörtern", lade er dazu ein, "sich zu öffnen und hinauszugehen, um unseren Brüdern und Schwestern zu begegnen, besonders jenen, die an den Schwellen unserer Kirchentüren, auf den Straßen, in den Gefängnissen, in den Krankenhäusern, auf den Plätzen und in den Städten zu finden sind", so Franziskus.
Konkrete vatikanische Kritik am Synodalen Ausschuss
Der Papst bezog sich in dem Brief, der auf Deutsch verfasst und handschriftlich mit "Franziskus" unterzeichnet war, konkret auf den wenige Tage zuvor konstituierten Synodalen Ausschuss, der in den kommenden Jahren die Einrichtung eines auf Dauer angelegten Synodalen Rates vorbereiten soll. In diesem Gremium wollen Bischöfe und Laien ihre Beratungen über die Themen Macht, Rolle der Frau, Sexualmoral und priesterliche Lebensform fortsetzen – ein Vorhaben, das der Vatikan in einem früheren Schreiben bereits abgelehnt hatte.
Wenige Tage nach Franziskus' Schreiben war zudem ein Brief von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin an die deutschen Bischöfe bekanntgeworden, in dem dieser die den Männern vorbehaltene Priesterweihe und die Lehre der Kirche zur Homosexualität für künftige Gespräche zwischen den Bischöfen und der Kurie als nicht verhandelbar bezeichnete. Auch dieses Schreiben wurde als vatikanisches Stoppschild für zentrale deutsche Reformbestrebungen bewertet. (stz)