Co-Vorsitzende des Synodalforums zu Sexualität über vatikanische Erklärung

ZdK-Vize Mock: Es braucht einen Rahmen für die Segenshandlungen

Veröffentlicht am 20.12.2023 um 12:00 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit der Vatikan-Erklärung "Fiducia supplicans" sind Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare möglich, sollen aber nicht ritualisiert werden. Was heißt das für die Beschlüsse des Synodalen Wegs? Birgit Mock, die das zuständige Synodalforum geleitet hat, äußert sich im katholisch.de-Interview dazu.

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Was halten die führenden Protagonisten des Synodalen Wegs von der römischen Erklärung "Fiducia supplicans", die Segnungen gleichgeschlechtlicher und wiederverheiratet-geschiedener Paare ermöglicht und was folgt aus ihr für die gefassten Beschlüsse des Prozesses, gerade im Blick auf die geplante Handreichung zu Segensfeiern? Birgit Mock, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), die gemeinsam mit dem Aachener Bischof Helmut Dieser das Synodalforum "Leben in gelingenden Beziehungen und Partnerschaften" leitete, zeigt sich im Interview froh über das Papier aus dem Vatikan. Nun werde in Deutschland wie geplant weitergearbeitet, kündigt sie an.

Frage: Frau Mock, manche Beobachter, Theologen und Reformbefürworter sprechen nach der Vatikan-Erklärung zu den Segnungen von einer bahnbrechenden Entscheidung. Bei genauerem Hinschauen scheint sie aber höchstens ein "Reförmchen" zu sein. Wie schätzen Sie das ein – besonders vor dem Hintergrund dessen, wofür sich der Synodale Weg ausgesprochen hat?

Mock: Ich halte die römische Erklärung zum Segen für einen Durchbruch. Was mich nachhaltig gefreut hat: dass die Kraft des Segens und der bedingungslos angebotene Segen so in den Vordergrund gestellt wird. Ich glaube, das ist wirklich das Neue an dieser Erklärung.

Frage: Haben Sie ins Synodalforum reingehorcht? Wie ist da die Stimmung?

Mock: Wir hatten viel Kontakt nach der Veröffentlichung der Erklärung, weil es eine große Freude über sie gab. Wir haben in Deutschland so viele Jahre an diesem Thema gearbeitet, und wir haben das getan, um mit den Paaren, die um den Segen bitten, gemeinsam diese Möglichkeit zu eröffnen; um den Seelsorgenden, die jetzt schon segnen, den Rücken zu stärken, und um deutlich zu machen, dass es eben nicht sein kann, dass Seelsorgende mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen müssen. Wir wollen deutlich machen, dass der Segen auch für die Angehörigen der Paare und die Gemeinschaft, in der sie leben ein ganz wichtiges Zeichen ist. Denn wir sind fest davon überzeugt, dass sich Gott in der Liebe dieses Paares längst wiederfindet.

Frage: Jetzt sagen aber manche, dass in der Erklärung nur bestätigt wird, was ohnehin schon in der Praxis möglich war: So ein Segen, wie der in der Erklärung ausgeführt wird, hätte man immer schon spenden können.

Mock: Bisher bestand immer die Frage, ob erst die Lehre der Kirche in Bezug auf Paarbeziehungen und Sexualität geändert werden muss, bevor man segnen kann. In der jetzigen Erklärung ist das genau umgekehrt: Die Lehre der Kirche ist (noch) nicht verändert worden, aber der Segen ist möglich. Das eröffnet aus meiner Sicht eine sehr wichtige Brücke in die Praxis – eine Praxis, die wir in Deutschland ja schon seit vielen Jahren haben und die dadurch sehr gestärkt wird.

Segensfeier für Paare, die sich lieben
Bild: ©picture alliance/dpa/Fabian Strauch (Symbolbild)

"Bisher bestand immer die Frage, ob erst die Lehre der Kirche in Bezug auf Paarbeziehungen und Sexualität geändert werden muss, bevor man segnen kann. In der jetzigen Erklärung ist das genau umgekehrt: Die Lehre der Kirche ist (noch) nicht verändert worden, aber der Segen ist möglich", sagt Birgit Mock.

Frage: Aber der Synodale Weg plädierte ja ganz klar für eine Neubewertung von Homosexualität und der Situation von wiederverheiratet-geschiedenen Paaren. Das Dokument will jedoch nicht von der bestehenden Doktrin abrücken, sie wird sogar ausdrücklich bestätigt. Kann man die Erklärung einfach nur als kleines Entgegenkommen gegenüber progressiven Strömungen betrachten, das den Kern der Frage, sprich eine Lehränderung, aber nicht angehen will? Oder steckt darin doch ein kleiner Bewusstseinswandel?

Mock: Ich lese das Dokument in Bezug auf die Lehre von Paarbeziehungen und Sexualität so, dass sich in der Lehre nichts verändert hat. Aber die vatikanische Erklärung ermöglicht es nun, mit den Spannungen von Ungleichzeitigkeiten umzugehen. Das ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Signal, weil es in der Kirchengeschichte oft um die Frage ging: Kann die Praxis der Lehre vorausgehen? Und mit dieser Erklärung, in der ein vertieftes Verständnis der Pastoral und damit ein verändertes Verständnis der Praxis entwickelt wird, ist das möglich. Ich finde den Text an den Stellen besonders lesenswert, wo von den vielen Formen des Segens in der Bibel erzählt wird, wo Gott sich den Menschen öffnet, wo er ihnen seine unbedingte Liebe zusagt. Segen ist mitten in der Welt. Gott spricht den Menschen Zuwendung und Heil zu. Diese große Kraft, die damit verbunden ist, wird nochmal in den Mittelpunkt gestellt – und das ohne Vorbedingungen.

Und eine weitere wichtige Aussage möchte ich gern aus dem Papier zitieren: "Die Kirche muss sich im Übrigen davor hüten, ihre pastorale Praxis auf die Festigkeit vermeintlicher doktrineller oder disziplinarischer Sicherheit zu stützen, vor allem wenn das Anlass gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein, wo man, anstatt die anderen zu evangelisieren, die anderen analysiert und bewertet, und anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im Kontrollieren verbraucht" (FS 25). Das halte ich wirklich für wegweisend.

Frage: Dennoch: Ist eine Neubewertung der Lehre seitens des Vatikans nach diesem Dokument eher in weitere Ferne gerückt oder absehbar doch möglich?

Mock: Das muss man mal abwarten. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass der Vatikan immer wieder für Überraschungen gut ist. Wir in Deutschland haben uns auf dem Synodalen Weg sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt und haben hierzu eine ganz klare Positionierung gefunden. Wir sind überzeugt, dass alle Menschen von Gott geschaffen und geliebt sind – und die Gottesebenbildlichkeit eben auch im Blick auf ihre geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung gilt.

Frage: Wie bewerten Sie in dem ganzen Zusammenhang den deutlichen Widerspruch zum Nein der Glaubenskongregation zu Segnungen aus dem Frühjahr 2021?

Mock: In der neuen Erklärung werden ja Brücken gebaut, indem auf das damalige Responsum eingegangen wird. Und gleichzeitig wird die Interpretation erweitert und vertieft, wie es heißt. Das scheint mir eine römische Strategie zu sein, an Vergangenes anzuknüpfen, es an einigen Stellen aber doch zu modifizieren, um am Ende zu Veränderungen zu kommen. Und die Motivation für die Veränderungen erwächst aus dem Blick auf die Menschen und ihren Glauben.

Alte Lehre und neue Möglichkeiten: Die Segenserklärung des Vatikan

Der Vatikan erlaubt Segen für homosexuelle Paare – wenn auch mit einigen Einschränkungen. Der Weg dorthin ist eher abenteuerlich, zeigt eine Analyse des Papiers. Dennoch stehen am Ende viele neue Möglichkeiten.

Frage: Kommen wir nun auf die Frage des Rahmens solcher Segnungen. Das Dokument spricht sich klar gegen eine Ritualisierung und Formalisierung aus. Was wird nun aus der Handreichung, die der Synodale Weg für Segnungsfeiern angekündigt hat?

Mock: Die Handreichung werden wir wie geplant angehen. In Deutschland haben wir ja schon viele Praxiserfahrungen mit Segenshandlungen. Diese werden wir sammeln und zur Verfügung stellen, weil wir eben auch dazu beitragen wollen, dass Seelsorgende ein qualifiziertes Angebot machen können, dass sie sich nicht alles selbst zurechtsuchen müssen. Wir wollen Gebetstexte, die sich dafür eignen, leicht zugänglich zur Verfügung stellen. Auch Papst Franziskus spricht ja von geeigneten Gebeten und einer Sensibilisierung von Seelsorgenden für Gelegenheiten von Segenshandlungen.

Diese Arbeit werden wir im neuen Jahr aufnehmen. Jede Seelsorgerin und jeder Seelsorger soll die Möglichkeit haben, spontan zu agieren. Aber damit es einen Grundstock gibt, auf den man zurückgreifen kann, werden wir eine Sammlung erstellen.

Frage: Trotzdem ist es wohl so, dass solche Segensfeiern, die der Synodale Weg will, nicht vom Papst gewünscht sind: Es soll nicht in einem liturgischen Rahmen sein, dazu soll man grundsätzlich alles vermeiden, was auch nur im Entferntesten an eine Eheschließung erinnern könnte. Wird man trotzdem Wege finden, das Ganze doch irgendwann in einem ritualisierten Rahmen feiern?

Mock: In unserem Beschluss hatten wir ja schon grundgelegt, dass eine Segenshandlung, wie wir sie für Deutschland möchten, das eine ist – und eine sakramentale Eheschließung das andere. Das war auch den Bischöfen wichtig. Wir möchten gerne, dass die Segenshandlung eine eigene Dignität hat. Und dazu braucht es einen Rahmen. In diesem Sinne werden wir in Deutschland weiterarbeiten.

Frage: Sie hatten davon gesprochen, dass die Erklärung ermögliche, mit Ungleichzeitigkeiten umzugehen. Welche weltkirchliche Sprengkraft erwarten Sie von dem Dokument?

Mock: Ich glaube, dass diese Erklärung eine große weltkirchliche Chance bietet. Sie reagiert ja, und das wird im Text ausdrücklich gesagt, auf verschiedene Anfragen. Am Ende können die Ortskirchen selbst entscheiden, ob sie diese Möglichkeit für sich nutzen wollen oder nicht. Aber dass sie eröffnet wird, ist aus meiner Sicht wirklich wegweisend und bietet eine Chance, dass wir weiterhin gut gemeinsam Weltkirche sein können.

Frage: Viele Bischöfe haben bisher gesagt, sie würden ihre Seelsorger in den Diözesen nicht daran hindern, gleichgeschlechtliche oder andere Paare zu segnen, es selbst aber nicht tun, solange es aus dem Vatikan keine Position dazu gibt. Jetzt wäre der Weg für Bischöfe frei. Erwarten Sie jetzt, dass sie einen solchen Segen spenden?

Mock: Ja. Ich kann mir das gut vorstellen.

Von Matthias Altmann