Wastl wirft Bistum Augsburg mangelnden Aufklärungswillen bei Missbrauch vor

Gutachter: Gänswein behinderte Aufklärung der Vorwürfe gegen Ratzinger

Veröffentlicht am 09.01.2024 um 11:46 Uhr – Lesedauer: 

Augsburg ‐ Missbrauchs-Gutachter Ulrich Wastl kritisiert sowohl die katholische Kirche als auch den Freistaat Bayern. Er erhebt Vorwürfe gegen das Bistum Augsburg – und berichtet über Behinderungsversuche des früheren Papstsekretärs Georg Gänswein.

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Zwei Jahre nach Veröffentlichung der Studie über sexuelle Gewalt im Erzbistum München und Freising hat Gutachter Ulrich Wastl Vorwürfe gegen den früheren päpstlichen Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, erhoben. Dieser habe die Aufklärung der Vorwürfe gegen den damals emeritierten Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger mit Blick auf dessen Zeit als Münchner Erzbischof (1977-1982) behindert, sagte Wastl der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstag). Gänswein habe versucht, mit rechtlichen Ausführungen "uns den Rahmen vorzugeben, in dem wir überhaupt arbeiten hätten dürfen", berichtete Wastl.

"Ähnliches trug uns später unser Auftraggeber vor", so der Gutachter. Allerdings habe das Erzbistum letztlich klar hinter der Unabhängigkeit der Kanzlei gestanden. "Aber es gab nicht nur im Falle Benedikts Einflussnahmeversuche und Drohszenarien", fügte er hinzu. "Es wurde über Bande gespielt, verzögert und auf unseren Auftraggeber, die Erzdiözese München und Freising, eingewirkt."

Dem Bistum Augsburg warf Wastl mangelnden Aufklärungswillen vor. Die Diözese wolle lediglich eine Studie durchführen, die sich vor allem mit den Auswirkungen sexualisierter Gewalt auf Betroffene befasst und nicht mit den mutmaßlichen Tätern oder Vertuschern, so der Experte. Ohne vollständige Aufklärung hätten alle anderen Bemühungen kaum einen Wert. Wastl kritisierte, dass der Augsburger Bischof Bertram Meier kürzlich zunächst ablehnte, einem Missbrauchsopfer 150.000 Euro zu zahlen. Das sei erschütternd. "Das von den deutschen Bischöfen installierte System der Anerkennungsleistungen orientiert sich ausdrücklich an Entscheidungen staatlicher Gerichte über Schmerzensgeldzahlungen", betonte der Rechtsanwalt.

Kritik an Bayern

Neben der katholischen Kirche sieht Wastl auch beim Freistaat Bayern noch immer erhebliche Defizite im Umgang mit Missbrauchsopfern. Die von der Staatsregierung eingerichtete Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt erfülle nicht im Ansatz ihren nötigen Anspruch, sagte der Anwalt von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW). Sie sei ein Witz. "Ich habe den Eindruck, deren Einrichtung war mehr oder weniger dem Landtagswahlkampf geschuldet", so Wastl. Mit deren Empfehlung von damals habe die Stelle allenfalls ansatzweise etwas zu tun. Wichtig wäre eine "gänzlich unabhängige und entsprechend finanziell ausgestattete Stelle, die Betroffene nicht nur umfassend berät, sondern auch deren Interessen vertritt", mahnte der Sachverständige. Es müsse ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Betroffenen und Kirche hergestellt werden.

Wastls Kanzlei stellte im Januar 2022 ein Gutachten für das Erzbistum München und Freising vor, in dem von mindestens 497 Opfern, 235 mutmaßlichen Missbrauchstätern und von einem weit größeren Dunkelfeld die Rede war. Den ehemaligen Münchner Erzbischöfen Friedrich Wetter und Ratzinger warf sie persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor; ebenso dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx. (tmg/KNA)