"Sehen uns als Pioniere" – Das Ehepaar Bolz leitet eine Gemeinde
Nie hätte sie gedacht, dass das einmal möglich sein wird, sagt Andrea Bolz. Die 63-jährige Gemeindereferentin und ihr 64-jähriger Mann Bertram, der Ständiger Diakon ist, stehen gemeinsam an der Doppelspitze der Seelsorgeeinheit Calw-Bad Liebenzell. Und das ist etwas Besonderes in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Kennengelernt haben sich Andrea und Bertram Bolz während des Studium der Religionspädagogik in Freiburg. Dort haben sie ihre Ausbildung zu Gemeindereferenten absolviert. Andrea Bolz arbeitet danach als Religionslehrerin an verschiedenen Schulen und Bertram Bolz, ihr späterer Ehemann, übernimmt verschiedene Seelsorgeaufgaben in den Kirchengemeinden Mössingen, Horb und Rottenburg-Wendelsheim. Dann wird er zum Ständigen Diakon geweiht. 1999 beschließt das Ehepaar gemeinsam mit ihren beiden Kindern auf die kanarische Insel Teneriffa auszuwandern. Ihre Söhne sind damals 12 und 16 Jahre alt.
Bertram Bolz wird in Teneriffa über das Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz als katholischer Seelsorger für die deutsche Gemeinde in Puerto de la Cruz angestellt. Seine Frau kümmert sich darum, dass die Familie sich eingewöht und in der neuen Umgebung zurechtfindet. Viele Initiativen und Aktionen ruft Bertram Bolz in der dortigen Gemeinde ins Leben. Doch dann steht alles auf der Kippe, denn er erleidet einen Herzinfarkt. Das Auslandssekretariat will daraufhin eine weitere Mitarbeiterin einstellen. Andrea Bolz steigt in die Gemeindearbeit auf Teneriffa mit ein, organisiert Veranstaltungen, plant Konzerte und begleitet dort Familien. Der kirchliche Dienst erfüllt die beiden, auch weil sie als Team zusammenarbeiten können. Als die beiden Söhne die Insel wieder verlassen, um in Deutschland zu studieren, arbeiten Andrea und Bertram Bolz mit viel Engagement auf der Insel weiter.
Als sich allerdings das erste Enkelkind ankündigte, entschließen sich die beiden nach 16 Jahren der Insel den Rücken zu kehren und bewerben sich wieder für einen kirchlichen Dienst in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Gemeinsam erhalten sie jeweils eine Stelle in der Seelsorgeeinheit Calw-Bad Liebenzell, das sind zwei Kleinstädte im Nordschwarzwald. Etwa 10.000 Katholiken leben in den dazu gehörenden Kirchengemeinden St. Josef in Calw und St. Lioba in Bad Liebenzell, verteilt über 38 Ortschaften. Das Gemeindegebiet liegt in der Diaspora. Das bedeutet, dass es im Gemeindegebiet weit weniger Katholiken gibt als evangelische Christen. "Da fährt man zu einem Trauerfall schon 50 Kilometer von einem Ende der Seelsorgeeinheit in das andere", erklärt Diakon Bolz.
Zum Seelsorgeteam in Calw gehören noch vier Priester. Diese betreuen die muttersprachlichen Gemeinden vor Ort, weil zu der Seelsorgeeinheit auch italienische, kroatische und portugiesische Gläubige gehören. Pfarrvikar für die deutschen Gemeinden ist ein indischer Priester, der gleichzeitig seine Promotion in Tübingen macht. Die pastorale Situation vor Ort spitzt sich zu, als der letzte leitende Priester die Gemeinde 2017 verlässt und die Seelsorgeeinheit daraufhin von wechselnden Administratoren geleitet wird. Nach und nach übernimmt das Ehepaar Bolz sämtliche Aufgaben in Verwaltung und Personalführung der Pfarrei. Der zuständige Dekan, der zu diesem Zeitpunkt Administrator und gleichzeitig Leiter der Nachbargemeinde ist, unterstützt die beiden und nimmt an Sitzungen teil. Doch für die konkrete Umsetzung der Aufgaben waren "dann doch wieder wir allein zuständig", blickt Andrea Bolz zurück.
Der Diakon und seine Frau, die Gemeindereferentin, mussten vieles entscheiden und es wurden ihnen Verantwortlichkeiten zugeschoben, die sie eigentlich gar nicht haben durften, "weil wir rechtlich keine Vorgesetzten waren", erklärt Andrea Bolz weiter. Auch bei Problemen mit dem Personal, waren die beiden die ersten Ansprechpartner. Doch das Ehepaar Bolz hatte damals kein Stimmrecht im Kirchengemeinderat und konnte letztendlich nichts entscheiden. Dazu fehlte ihnen als kirchlichen Mitarbeiter die offizielle Beauftragung aus dem Bistum. Dann stellten die Kirchengemeinderatsgremien per Beschluss bei der Diözese einen Antrag, um Andrea und Bertram Bolz zu sogenannten "Pfarrbeauftragten" zu bestellen. Erst hieß es aus der Personalabteilung aus Rottenburg, dass das nicht gehe, "weil es keinen zuständigen Pfarrer vor Ort gibt", weiß Bertram Bolz noch. Deshalb wollte der Bischof diesen Weg nicht gehen. Als die beiden dann nicht mehr damit gerechnet hatten und sich schon darauf einstellten, zur geplanten Zeit in den Ruhestand zu gehen, wurden sie zu einem Gespräch beim Bischof eingeladen. Im Januar 2023 war das. "Und dann ging es plötzlich ganz schnell", erinnert sich Andrea Bolz. Schon wenige Wochen später werden die Gemeindereferentin und ihr Mann offiziell zu Pfarreibeauftragten und Leitern der beiden Kirchengemeinden in Calw-Liebenzell bestellt und damit formal anerkannt. Ihre Parrbeauftragung umfasst damit eine ganze Seelsorgeeinheit, das gab es bislang in der Diözese nicht.
"Jeder hat seinen eigenen Kirchturm"
So ging dann doch in Erfüllung, was die beiden Kirchengemeinderatsgremien initiiert hatten und was den beiden Seelsorgern besonders wichtig war: "Dass alle Ja zu dem neuen Leitungsmodell sagen können", so Andrea Bolz. Schon im März 2023 wird das Ehepaar Bolz in einem Gottesdienst in ihr neues Amt eingeführt. Offiziell ist der 65-jährige Ständige Diakon Bertram Bolz damit der leitende Pfarreibeauftragte für St. Josef Calw und zuständig für 7.000 Katholiken und drei Kirchen. Seine Frau Andrea Bolz leitet St. Lioba Bad Liebenzell, dazu gehören rund 3.000 Katholiken und zwei Kirchen. "Jeder hat seinen eigenen Kirchturm", erklärt Bertram Bolz die Zuständigkeiten. "Und gemeinsam sind wir eine Doppelspitze", ergänzt seine Frau.
Dass Laien eine Gemeinde leiten können, ist im Kirchenrecht unter can. 517,2 festgelegt, allerdings muss dabei ein Priester als Dienstvorgesetzter fungieren. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart gibt es bislang vier Pfarreibeauftragte, die an der Spitze einer Gemeinde stehen. Auch das Ehepaar Bolz gehört nun dazu. Vorerst ist das Pilotprojekt auf fünf Jahre begrenzt und wird eng vom Bistum begleitet. Ein dazu beauftragter Priester, das ist Domkapitular Andreas Rieg aus Rottenburg, ist nun deren Dienstvorgesetzter, agiert jedoch im Hintergrund, nimmt an Dienstbesprechungen teil und greift nur im Notfall ein.
"Nun steht das, was wir schon jahrelang machen, endlich in unserem Arbeitsvertrag und wir sind in unserem Tun auch rechtlich abgesichert", freuen sich Andrea und Bertram Bolz. Sämtliche dazu gehörenden Aufgaben haben sich der Diakon und die Gemeindereferentin untereinander aufgeteilt. Taufen, Trauer- und Taufgespräche, Krankenkommunion sowie Beerdigungen übernimmt meist Bertram Bolz oder bei Bedarf die muttersprachlichen Priester im Team. Zusätzlich ist er für die pfarrliche Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, die diakonischen Aufgaben und Personalfragen zuständig. Seine Frau kümmert sich im gesamten Gemeindegebiet um die Erstkommunion- und Firmkatechese, hält stundenweise Religionsunterricht an Schulen und gestaltet mit einem Team aus Ehrenamtlichen die Familiengottesdienste in der Gemeinde. Die Gemeindereferentin übernimmt auch alle administrativen Aufgaben und hat die Personalverantwortung für die Pfarrei St. Lioba in Bad Liebenzell. Den Predigtdienst üben beide aus, im Wechsel mit den anderen Seelsorgern im pastoralen Team. Das Ehepaar Bolz ist zudem Dienstvorgesetzte für alle kirchlichen Mitarbeiter in der Pfarrei, außer den Priestern. Die beiden haben als Parreibeauftragte nun Stimm- und Antragsrecht im Kirchengemeinderat und leiten im Wechsel mit den gewählten Vorsitzenden die Sitzungen. "Es passt", sagt Bertram Bolz. Denn endlich gibt es eine Lösung für die Pfarrei.
"Es nützt nichts, sich ständig eine neue Kirche herbeibeten zu wollen"
"Zwischen uns gibt es keine Konkurrenz", erklären die beiden Seelsorger. Jeder erfülle seinen Dienst mit Herzblut. Auch aus der Gemeinde erntet das Ehepaar Bolz viel Lob für ihr Engagement. Gleichzeitig gibt es auch kritische Stimmen. So erzählt Andrea Bolz, dass es Gottesdienstbesucher gibt, die den Kirchraum verlassen, wenn sie aus der Sakristei herauskomme. "Die erwarten halt eine Eucharistie mit Priester", ergänzt ihr Mann Bertram Bolz. "Eine Liturgie kann aber auch ohne Priester sehr schön sein", meint die Gemeindereferentin. Gerne würde Andrea Bolz selbst die Eucharistie feiern können. Als Gemeindeleiterin wäre es für sie eine logische Konsequenz. Doch die Ämtertheologie lässt das in der katholische Kirche weder für Gemeindereferenten noch für Diakone zu. "Es nützt nichts, sich ständig eine neue Kirche herbeibeten zu wollen", meint Diakon Bolz. "Wir sind unserer Kirche sehr eng verbunden und wollen sie in eine gute Zukunft begleiten." Dabei spielt für die beiden die Ökumene eine wichtige Rolle. "Wir werden als Kirche Jesu Christi in Zukunft nur dann in dieser Gesellschaft noch Gehör und Akzeptanz finden, wenn wir als Christen mit einer Stimme sprechen", ist Bertram Bolz überzeugt. Die vielen Familien in den beiden Kirchengemeinden, die ihren Glauben ökumenisch leben, sind für ihn ein wegweisendes Beispiel dafür.
Zurzeit planen und bauen Andrea und Bertram Bolz ein neue Gemeindehaus für die Pfarrei St. Josef in Calw. Das wollen sie mit kirchlichem Leben füllen. "Wir sind Pioniere für unsere Kirche", sind sich die beiden sicher, "nur ohne Geistlichkeit, die darüber thront". Gut, dass Andrea und Bertram Bolz aus Teneriffa zurückgekommen sind. "Nicht nur wegen der inzwischen vier Enkel", freuen sich die beiden.