"Ein Wort des Nachdenkens in bedrängter Zeit"

Neues DBK-Friedenswort: Christlicher Pazifismus im Realitäts-Check

Veröffentlicht am 22.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Augsburg ‐ Der Ukraine-Krieg zeigt: Die Welt steckt in einer tiefen Krise. Welche Wege gibt es, sie zu überwinden? Und was ist mit dem Gebot des Gewaltverzichts angesichts militärischer Bedrohungen? Ein Blick in das neue Friedenswort der deutschen Bischöfe.

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"Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben" (Mt 5,5), heißt es schon in der Bergpredigt. Gewaltverzicht ist ein Kern der christlichen Lehre. Gleichzeitig musste sich die Kirche immer intensiv mit Gewaltverhältnissen beschäftigen. Zwischen diesen beiden Polen – absoluter Pazifismus versus Auseinandersetzung mit der Legitimation von Gewalt – bewegt sich seit Jahrhunderten die Debatte um eine christliche Friedensethik. Jede Zeit brachte dabei neue Erkenntnisse und besondere Aspekte mit sich. So auch die vergangenen beiden Jahrzehnte. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das Symbol schlechthin: Die Welt befindet sich aktuell in einer tiefen Krise – gar von einer Poly-Krise ist die Rede. In diese hinein veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) bei ihrer Frühjahrsvollversammlung eine neue friedensethische Schrift mit dem Titel "Friede diesem Haus" – ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium.

Das 175-seitige Dokument, das am Mittwoch vorgestellt wurde, beschreibt die zahlreichen Krisenherde auf der Welt – nicht nur im territorialen Sinne – und sucht nach einem Weg, sie zu überwinden. "Wir bleiben auch jetzt dabei, dass Friede dauerhaft nur wachsen kann, wenn die Gewaltverhältnisse ausgetrocknet und die Gewaltpotenziale eingehegt werden", fasste der DBK-Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing, die Intention des Dokuments zusammen – mit einem entscheidenden Zusatz: "Aber wir sind nicht blauäugig." Der Einsatz militärischer (Gegen-)Gewalt bleibe als Ultima Ratio möglich oder könne sogar geboten sein. Der Text selbst spricht von "christlichem Realismus".

Schon vor Ukraine-Krieg bearbeitet

"Friede diesem Haus" reiht sich ein in eine Liste von friedensethischen Dokumenten der deutschen Bischöfe und versteht sich als deren Fortschreibung. 1983 veröffentlichte die DBK das Wort "Gerechtigkeit schafft Frieden". Hintergrund waren der Kalte Krieg und vor allem die Frage der ethischen Rechtfertigung nuklearer Bewaffnung. Das Wort "Gerechter Friede" (2000) fällt in die Zeit nach dem Untergang des sowjetischen Kommunismus und der weltpolitischen Blockbildung. Damals eröffneten sich die Hoffnung auf eine friedlichere Welt, zugleich aber hatten sich bereits in den 1990er-Jahren neue Konflikte aufgetan. Das Konzept des "Gerechten Friedens" bleibt das Fundament aller friedensethischen Überlegungen der deutschen Bischöfe, auch in dem neuen Dokument. Und obwohl es wie eine Reaktion auf den Ukraine-Krieg wirkt, wurde schon vor dessen Beginn daran gearbeitet.

Soldaten der deutschen Bundeswehr stehen in Aufstellung zum Appell.
Bild: ©Thaut Images/Fotolia.com (Symbolbild)

Eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr halten die Bischöfe mit Blick auf die derzeitigen Konflikte für notwendig.

Insgesamt gliedert sich das neue Dokument nach einer Einleitung in vier Abschnitte: Nach der Klärung ethischer Grundlagen, bei der unter anderem auf die Bedeutung von persönlichen Tugenden und die Verantwortung jedes Einzelnen für die Friedensarbeit hingewiesen wird, folgt ein Blick auf globale Konflikte und Gewaltpotenziale. Dann werden politische Herausforderungen benannt und die Verantwortung der Religionen für die Überwindung der Gewalt beschrieben.

Im zweiten Teil geht das Friedenswort speziell auf das Spannungsverhältnis zwischen christlichem Pazifismus und bedingter Gewaltlegimitation ein. Die Bischöfe würdigen dabei ausdrücklich die Bedeutung des christlich motivieren Pazifismus. Gleichwohl betonen sie, dass es gewisse Umstände gibt – etwa die legitime Selbstverteidigung –, die zu Gewalt im Sinne von Gegenwalt ermächtigen können. Beide Ansätze müssten jedoch nicht grundsätzlich gegeneinander ausgespielt werden: "Es lohnt sich, sich stets bewusst zu machen, dass die unterschiedlichen Stränge alle ein gemeinsames Ziel verfolgen: die Minimierung und schließlich die Überwindung von Gewalt".

Angemessene Ausstattung der Bundeswehr sei nötig

Besonders seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Jahren werden weltweit Stimmen laut, die ein Umdenken in der Sicherheits- und Militärpolitik fordern – Stichwort "Kriegstüchtigkeit". Andere Positionen, geraden von christlichen Friedensaktivisten, fordern hingegen mehr "Friedenstüchtigkeit" statt zunehmender Aufrüstung. Die Position der Bischöfe dazu: Mit Blick auf neue Bedrohungen ist eine angemessene Ausstattung der Bundeswehr nötig. Auf absehbare Zeit werde es notwendig sein, auf Abschreckung zu setzen. Es grenze aber an "Irrsinn, angesichts der gewaltigen Probleme, die sich vor der Menschheit auftürmen, Unmengen von finanziellen und intellektuellen Ressourcen zu verschleudern, um uns gegenseitig davor abzuschrecken, einander zu vernichten, anstatt alle Kräfte darauf zu konzentrieren, gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern". Atomarer Aufrüstung erteilen die Bischöfe eine deutliche Absage.

Daran schließt sich im dritten Kapitel eine Analyse gegenwärtiger Entwicklungen an. "Unsere Welt in Unordnung" lautet seine Überschrift. Terrorismus, Klimakrise, Migrationsbewegungen, zerbröckelnde internationale Organisationen sind Symptome für diese Unordnung. Auch ungerechte Strukturen der Weltwirtschaft sowie Populismus und eine Aushöhlung der Demokratie gehören demnach dazu. "All das macht einen umfassenden Sicherheitsbegriff erforderlich, der auch ökonomische, ökologische, kommunikative, soziale und kulturelle Dimensionen der Sicherheit und des Friedens mit einbezieht." Die Bischöfe zeigen sich dabei überzeugt, dass Frieden nur unter der Herrschaft des Rechts und im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit gedeihen kann. Deshalb plädieren sie für die Stärkung der internationalen Institutionen – etwa eine Reform des Weltsicherheitsrats. Auch die Bedeutung von Kulturen und Identitäten bei Konflikten müsse stärker berücksichtigt werden: Es komme deshalb darauf an, einen angemessenen Umgang mit den legitimen identitären Bedürfnissen der Menschen zu finden, um gemeinsame Wege zu erschließen, Konflikte konstruktiv auszutragen.

Das vollständige Friedenswort

Das Friedenswort der deutschen Bischöfe mit dem Titel "Friede diesem Haus" kann auf der Webseite der Deutschen Bischofskonferenz heruntergeladen werden.

An die Analyse der Lage schließt sich ein Kapitel über Wege der Gewaltüberwindung aus Sicht der katholischen Friedensethik an. Zentral dabei sei, dass die Auswirkungen einer gewaltbelasteten Vergangenheit ernst genommen, und die Menschenrechte als Grundprinzipien einer internationalen Friedensordnung weiterhin verteidigt werden. Dabei brauche es auch den Aufbau einer nachhaltigen und gerechten Wirtschaftsordnung. Diese sozial-ökologische Transformation werde nur gelingen können, wenn auch international wieder zu einer Kultur der Kooperation und des Vertrauens zurückgefunden werde. Als friedensschaffende Maßnahme beschreiben die Bischöfe zudem eine Demokratisierung, die stärker als bisher kulturelle Gegebenheiten berücksichtigt: So spielen "gewachsene Erfahrungen sozialer Konfliktregulierung, Gerechtigkeitsvorstellungen und institutionelle Ausprägungen dieser Erfahrungen eine bedeutsame Rolle, die ihren Niederschlag im politischen System zu finden haben."

"Frieden braucht einen langen Atem"

Und was kann die Kirche ganz konkret dafür tun, um Frieden dauerhalt zu etablieren? Darauf geht das Dokument zum Abschluss ein. Die Bischöfe würdigen vorhandene Ansätze, Initiativen und Organisationen und benennen weitere Empfehlungen für die Friedenspraxis der Christen und der Kirche. Handlungsfelder dabei sind Dialog, Bildung, eine nachhaltige und integrale menschliche Entwicklung, Begegnung und Seelsorge, gesellschaftliche und politische Mitwirkung sowie durch ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit. Mit Blick auf die Russisch-Orthodoxe Kirche und deren Position zum Ukraine-Krieg hält der Text fest: "Es ist möglich, Beziehungen ruhen zu lassen, ohne einen harten Bruch zu vollziehen."

Bischof Bätzing betonte, dass Friede nach einem Krieg nicht automatisch da sei. "Frieden braucht einen langen Atem. Und es braucht einen viel längeren Atem, ihn auszubauen": Die Bischöfe wollen sich mit ihrer Schrift in die aktuelle Debatte angesichts des Umgangs mit einer sich verschärfenden Sicherheitslage einbringen. Es sei kein "Lehrtext mit Unfehlbarkeitsanspruch, sondern ein Wort des Nachdenkens in bedrängter Zeit". Sie sind gespannt auf die Reaktionen aus Politik und Zivilgesellschaft. Wie die ausfallen, wird sich zeigen.

Von Matthias Altmann