Der Fall Rupnik: Noch kein Ende in Sicht?
Der Fall um den ehemaligen Jesuitenpater und Mosaikkünstler Marko Ivan Rupnik scheint kein Ende zu nehmen. Seit Ende 2022 italienische Medien über mutmaßliche sexuelle Übergriffe berichteten, ist der slowenische Geistliche immer wieder in den Schlagzeilen. Gegen Rupnik liegen Missbrauchsvorwürfe aus den Jahren 1980 bis 2000 und aus Kreisen der Loyola-Gemeinschaft in Slowenien vor, die Rupnik 1980 gemeinsam mit der Ordensfrau Ivanka Hosta gegründet hatte. Vor einem Jahr hatte der Jesuitenorden in einer Erklärung bekanntgegeben, dass zahlreiche Zeugen glaubhaft gemacht hätten, dass es zu geistlichem, psychischem und sexuellem Missbrauch gekommen ist.
Dabei blieb es allerdings nicht. Vor wenigen Wochen wurden laut italienischen Medienberichten weitere schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Jesuiten bekannt. Eine ehemalige Ordensfrau der kürzlich vom Vatikan aufgelösten Loyola-Gemeinschaft sagte gegenüber der italienischen Zeitung "Domani", Rupnik habe ihr den Finger gebrochen und anschließend gesagt, er habe es aus Liebe getan und sie habe damit "das ewige Siegel der Gesellschaft Jesu". Dabei soll der heute 69-jährige Rupnik "extrem arrogant und narzisstisch" gewesen sein und immer wieder gesagt haben, er sei der größte Künstler Sloweniens, erzählte die Ordensfrau. Als geistlicher Begleiter habe er bei Beichten immer den Raum abgeschlossen und den Schlüssel in die Tasche gesteckt, um Druck auf die Ordensfrauen auszuüben.
Zwei weitere ehemalige Ordensfrauen, Gloria Branciani und Mirjam Kovac, sprachen kürzlich auf einer Pressekonferenz in Rom über ihre Erfahrungen. Branciani erzählte zum ersten Mal öffentlich ihre Geschichte und die Geschehnisse aus der damaligen Zeit in der Gemeinschaft. Dazu gehörte der von Rupnik geforderte Geschlechtsverkehr mit einer weiteren Person, was er mit der Heiligen Dreifaltigkeit rechtfertigte. Für sie war das Schlimmste, dass die Schwestern nie untereinander über das Erfahrene gesprochen hatten. Von Isolation war die Rede, ebenso von Manipulation: der Geistliche habe seine Autorität benutzt, um Druck auszuüben, sei in ihr Denken eingedrungen, sodass sie sich kaum von ihm loslösen konnten.
Verbot und Exkommunikation
Der ehemalige Jesuit hat sich neben seiner Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen vor allem als Mosaikkünstler einen Namen gemacht. In mehreren Ländern sind seine Werke in Kapellen, Kathedralen und Kirchen zu sehen. Eines seiner bekanntesten Werke ist die Kapelle "Redemptoris Mater" im Papstpalast des Vatikans. Aber auch in den international bekannten Wallfahrtsorten Lourdes (Frankreich) und Fatima (Portugal) schmücken seine Mosaikarbeiten sakrale Räume – und sorgen heute für Unmut, Frustration und Unverständnis.
Der Bischof des Marienwallfahrtsortes Lourdes, Jean-Marc Micas, meldete sich Anfang Februar zu Wort und erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur CNA, er habe viele wütende Briefe von Katholiken aus aller Welt erhalten. Darin forderten sie, die Mosaike des mutmaßlichen Missbrauchstäters aus dem Pilgerort zu entfernen. Für ihn, so der Bischof, der noch im vergangenen Jahr eine Sonderkommission aus Kunstexperten und Fachleuten zu den Rupnik-Mosaiken einberufen hatte, sei dies eine schwierige Entscheidung, die allerdings in den kommenden Monaten getroffen werden müsse. Anders reagierte man in Spanien: Dort beendete die Katholische Universität Francisco de Vitoria vor einem Monat die Zusammenarbeit mit Rupnik wegen anhaltender Missbrauchsvorwürfe. Beim Bau einer neuen Kapelle auf dem Universitätsgelände in der Nähe von Madrid verzichtete man auf die geplante künstlerische Beteiligung Rupniks.
Ausschluss aus Jesuitenorden
Während die einen über die Entfernung der Mosaike nachdenken, kommen andernorts neue hinzu. Seit vergangenem Sommer gehört eine Franziskanerkirche im bosnisch-herzegowinischen Mostar zu Rupniks Portfolio – nur eine halbe Autostunde vom umstrittenen Wallfahrtsort Medjugorje entfernt. Außerdem: eine Bischofskapelle auf der kroatischen Insel Hvar, deren Oberhirte als echter Rupnik-Fan mehrfach mit dem Slowenen zusammengearbeitet hat. Von den strengen Auflagen seines Jesuitenordens, dem er damals noch angehörte, ließ sich Rupnik offenbar nicht beeindrucken. Genauso wenig wie jene, die ihn seine Werke vollenden ließen. Der gebürtige Slowene vollendete trotz der Einschränkungen seiner Reise- und Künstlertätigkeit die begonnenen Projekte in Südosteuropa – und ließ sich dafür bezahlen, etwa von den Franziskanern in Mostar, die die Gläubigen dafür um großzügige Spenden baten.
Mitte Juni letzten Jahres kam dann der Ausschluss aus dem Jesuitenorden "wegen fortwährenden Ungehorsams". Obwohl die Jesuiten erwogen, Rupnik aus dem Klerikerstand zu entlassen, blieb er Priester. Der Ordensobere Johan Verschueren erklärte gegenüber der italienischen Zeitung "La Repubblica", dass "verschiedene Gründe, darunter die derzeitigen Grenzen der Vorschriften für ähnliche Situationen, dies nicht zuließen". Die Zuständigkeit liege beim Heiligen Stuhl, nicht beim Jesuitenorden.
Was macht der Vatikan?
Für die Reaktion des Vatikans muss man ins Jahr 2018 zurückgehen: Im Herbst 2018 ging bei den Jesuiten in Rom eine Anzeige ein. Rupnik soll einer erwachsenen Frau nach dem Geschlechtsverkehr die Beichte abgenommen und sie losgesprochen haben. Die sogenannte "absolutio complicis", die Lossprechung eines Mittäters in der Beichte, ist kirchenrechtlich ein äußerst schweres Vergehen. Sie wird automatisch mit der Exkommunikation, dem Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, geahndet. Demnach war Rupnik zeitweise exkommuniziert.
Zwei Jahre später, Anfang 2020, hatte ein Kirchengericht entschieden und bestätigt, dass Rupnik für schuldig befunden und damit aus der Kirche ausgeschlossen sei. Im Mai 2020 dann die Wende: Das Glaubensdikasterium schaltete sich in den Fall ein, stellte zwar weiterhin die Schuld fest, hob die Exkommunikation aber schnell wieder auf. Grund war die angebliche Reue Rupniks.
Weitere zwei Jahre später, im Januar 2022, zog das Glaubensdikasterium den Fall ganz an sich. Dabei hatte der Papst den slowenischen Geistlichen noch am 3. Januar 2022 in Audienz empfangen. In vorwiegend italienischen Medien wurde spekuliert, der Papst selbst habe die Aufhebung der Exkommunikation seines damaligen Mitbruders angeordnet. Andere vermuteten, der Papst habe Rupnik zu einem zurückgezogenen Leben in Buße geraten. Dies sei vor allem dann angeraten, wenn eine Strafverfolgung aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich sei.
Beide Theorien blieben jedoch unbewiesen. Dennoch leitete das Glaubensdikasterium eine Voruntersuchung ein. Das Ergebnis: Die Vorwürfe gegen den slowenischen Mosaikkünstler und Priester blieben bestehen. Ganze neun Monate später wieder eine Kehrtwende: Das Glaubensdikasterium stellte fest, die Vorwürfe gegen Rupnik seien verjährt, weshalb ein Strafprozess nicht eröffnet wurde.
Papst sei überrascht gewesen
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur "Associated Press" im Januar 2023 bestritt Papst Franziskus, sich inhaltlich in den Fall Rupnik eingemischt zu haben. Er zeigte sich vielmehr überrascht von den Vorwürfen, verteidigte aber die Praxis, dass der Vatikan in den mehr als 30 Jahre zurückliegenden Skandalfällen die kirchenrechtlichen Verjährungsfristen eingehalten und keine weiteren Sanktionen verhängt habe.
Offenbar ein Freifahrtschein für Rupnik selbst, der damals trotz Verbots durch den Jesuitenorden weiterhin öffentlich Gottesdienste feierte. So soll der slowenische Geistliche unter anderem in der römischen Basilika Santa Prassede konzelebriert und gepredigt sowie in der Lateranbasilika Führungen zu seinen Werken durchgeführt haben. Dazu trugen offenbar auch die Zweifel des Stellvertreters des Papstes für die Diözese Rom bei. Kardinal Angelo De Donatis, der als Unterstützer Rupniks gilt, hatte nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine kanonische Visitation gegen Rupnik und seine Mosaikwerkstatt "Centro Aletti", die zugleich ein geistliches Zentrum ist, angeordnet.
Wider Erwarten kamen bei der Untersuchung der Gemeinschaft und der Hauptvorwürfe gegen Rupnik, insbesondere der Exkommunikation, beim Visitator Zweifel auf – von Unregelmäßigkeiten beim Exkommunikationsantrag selbst war die Rede. Missbrauchsopfer äußerten nach der Veröffentlichung des Visitationsberichts scharfe Kritik am Vatikan und dem Umgang mit Rupnik. Die Null-Toleranz-Politik der Kirche gegenüber Missbrauch sei ihnen zufolge nur eine Marketingkampagne, Missbrauchstäter würden im Nachhinein geschützt und unterstützt, lautete die Kritik der Betroffenen.
Welchen Status der mutmaßliche Missbrauchstäter allerdings genießt, beweist vor allem der Epilog von Oktober vergangenen Jahres, als das slowenische Bistum Koper Rupnik aufnahm. Der Bischof von Koper, Jurij Bizjak, begründete die Entscheidung damit, dass noch kein Urteil gegen Rupnik vorliege und der Ex-Jesuit bis zu seiner Verurteilung alle Rechte und Pflichten eines Diözesanpriesters genieße. Die Slowenische Bischofskonferenz allerdings distanzierte sich von der Aufnahme Rupniks in das Bistum, während der Papst überraschend das Glaubensdikasterium damit beauftragte, den Fall Rupnik neu aufzurollen. Die Verjährung der Vorwürfe wurde aufgehoben, sodass ein Prozess stattfinden könne.
Ob und wann es zu einem Prozess kommen wird, steht allerdings noch nicht fest. Möglich ist, dass bis dahin noch weitere Fälle öffentlich bekannt werden, wie kürzlich die der ehemaligen Ordensfrauen Branciani und Kovac. Derweil teilte das vatikanische Presseamt mit, man habe in den vergangenen Monaten Informationen gesammelt, die vom Glaubensdikasterium nun ausgewertet werden. Auch weiter offen bleibt, was mit den Rupnik-Mosaiken weltweit passieren wird.