Seelsorge statt Verwaltung: Die neuen Regeln für Santa Maria Maggiore
Santa Maria Maggiore gilt vielen Rom-Pilgern als schönste der vier Papstbasiliken. Die goldene Kassettendecke, die bedeutenden frühchristlichen Mosaike und die Confessio unter dem Papstaltar mit den Reliquien der Krippe Jesu sind nur einige der Gründe für den bleibenden Eindruck, den Groß-Sankt-Marien hinterlässt. Am Mittwoch machte Santa Maria Maggiore hingegen mit einer auf den ersten Blick unscheinbaren Meldung international Schlagzeilen: Papst Franziskus ordnete die Verhältnisse an der größten Marienkirche Roms neu. Im Zentrum der Neuregelungen stehen eine Personalentscheidung und geänderte Statuten für die zur Basilika gehörende Gemeinschaft von Kanonikern.
Nach dem Willen des Papstes wird die Anzahl der Geistlichen des Kapitels um die Hälfte auf zwölf Kanoniker reduziert. Das Kirchenoberhaupt erläuterte in einem ergänzenden "Handschreiben", das zeitgleich mit den neuen Statuten für die Basilika vom Vatikan veröffentlicht wurde, die Mitglieder des Kapitels von ökonomischen und administrativen Aufgaben "befreien" zu wollen. Künftig liegt die Verwaltung nicht mehr in den Händen der zu Santa Maria Maggiore gehörenden Priester, sondern wird einem noch zu gründenden Verwaltungsrat anvertraut. Dieses Gremium bestimmt dann auch über die Höhe der finanziellen Zuwendung, die den Kanonikern zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zugesprochen wird.
Die Geistlichen der Basilika sollen sich dafür künftig "voll und ganz der spirituellen und pastoralen Begleitung" der Gläubigen kümmern, die Santa Maria Maggiore besuchen. Also Seelsorge, Beichte und Liturgie statt der Sorge um die finanziellen Belange von Groß-Sankt-Marien – und wohl auch des eigenen Bankkontos. Die Umsetzung der neuen Regeln leitet Erzbischof Rolandas Makrickas in die Wege. Der 52-jährige Vatikan-Diplomat aus Litauen wurde von Franziskus zum Koadjutor des Erzpriesters des Kanonikerkapitels mit dem Recht der Nachfolge ernannt. Damit kann es wohl als sicher gelten, dass Makrickas das Amt des Erzpriesters von Santa Maria Maggiore vom derzeitigen Inhaber Kardinal Stanislaw Rylko (78) übernimmt, wenn dieser in zwei Jahren dem Papst seinen altersbedingten Rücktritt anbieten muss. Traditionell ist damit auch die Erhebung in den Kardinalsstand verbunden.
Die neue Aufgabe stellt für Makrickas jedoch keine große Umstellung dar, denn seit Dezember 2021 war der Litauer "außerordentlicher Kommissar" für Santa Maria Maggiore. Neben seiner Aufgabe als Leiter der Verwaltung im vatikanischen Staatssekretariat – als erster Nicht-Italiener überhaupt – musste sich der Theologe um die Reform der Verhältnisse der in Turbulenzen geratenen Marienkirche kümmern. Seine Ernennung wurde vom Vatikan offiziell damit begründet, "auf die besonderen Schwierigkeiten der wirtschaftlichen und finanziellen Verwaltung des Kapitels der päpstlichen Basilika Santa Maria Maggiore zu reagieren, die durch die Ausbreitung der Pandemie noch verschärft wurden".
In einem Interview mit einer litauischen Nachrichtenseite gab Makrickas im vergangenen Jahr jedoch zu, dass der Papst ihm auch andere Aufgaben mit Blick auf die Kanoniker von Groß-Sankt-Marien mitgegeben hatte: Die Statuten des Kapitels müssten an die Gegenwart angepasst werden, "um diese Institution für das Heute nützlich zu machen". Der Wunsch von Franziskus sei die Bildung einer Gebetsgruppe von Priestern und Bischöfen, die für den Papst und die gesamte Kirche beten. Mit der Verwaltung sollten sie sich nicht mehr beschäftigen. Es sei notwendig, dass die Kanoniker die Einstellung zu ihrem Amt von "beneficio" (Nutzen) zu "servicio" (Dienst) änderten, so Makrickas. "Eine solche Reform ist auch ein Modell für die Weltkirche."
Dieses Idealbild eines Kanonikerkapitels spiegelt sich auch in den nun erlassenen aktualisierten Regeln wider. Dort verfügte Franziskus unter anderem, dass die Mitglieder des Kapitels, die nicht regelmäßig an den Liturgien in Santa Maria Maggiore oder den Sitzungen der Priestergemeinschaft teilnehmen, mit finanziellen Einbußen zu rechnen haben. Denn hinter vorgehaltener Hand wurde in der Vergangenheit öfters die Kritik geäußert, dass es den Kanonikern der Patriarchalbasiliken in erster Linie um ihr Gehalt, ihre Titel und ihre besondere Kleidung geht, die sie von anderen Klerikern abhebt. Das Gebet stand anscheinend nicht im Vordergrund ihrer Zugehörigkeit zum Kapitel. Das möchte Franziskus nun ändern – nicht nur in Santa Maria Maggiore.
Wohl deshalb gibt es auch beim Kapitel des Petersdoms seit 2021 einen Prozess der Erneuerung. Ziel ist es auch für Sankt Peter, "den liturgischen und pastoralen Dienst" in der weltberühmten Basilika zu stärken, gab der Vatikan damals bekannt. Bereits 2005 hatte der damalige Papst Benedikt XVI. die rechtlichen Verhältnisse in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern reformiert. Er hob den Status des der Kirche angeschlossenen Benediktinerklosters als Territorialabteil auf. Nun übt dort wie in den anderen päpstlichen Basiliken Roms ein Erzpriester die rechtliche Hoheit über die Kirche aus. Der Benediktinerabt ist nun nicht mehr einem Bischof gleichgestellt, sondern nur noch Vorsteher der Abtei. Die Lateranbasilika ist als eigentliche Bischofskirche des Papstes den anderen drei Basiliken Roms im Rang vorangestellt. Der Papst hat dort an seiner Stelle einen Erzpriester eingesetzt, um dem Domkapitel im Lateran vorzustehen. Dabei handelt es sich um Kardinal Angelo De Donatis, der als Generalvikar des Papstes für die Diözese Rom Sorge trägt. Dennoch kann der Papst dort als Bischof von Rom direkter durchgreifen als bei den weiteren Kapiteln, die bislang umfassende Rechte zur Verwaltung der ihnen anvertrauten Kirchen besaßen.
Mit den Reformen von Franziskus ist ihnen damit nun weitgehend ein Ende gesetzt. So legte der Papst nun etwa für Santa Maria Maggiore fest, dass der noch zu gründende Verwaltungsrat mit der Güter- und Vermögensverwaltung des Vatikan Apsa zusammenarbeiten werden. Das Kapitel der Basilika bleibt eine eigene kirchenrechtliche Körperschaft, wird aber dem Heiligen Stuhl "angegliedert". Das wird dem Papst sicher auch Kritik des römischen Klerus einbringen, der schon seit einiger Zeit um seine althergebrachten Rechte besorgt ist und zu viel Einmischung des Vatikan befürchtet. Doch Franziskus sieht die aktualisierten Regelungen für die Kapitel der Basiliken als eine Erneuerung, die im Geist der Kurienreform geschieht, die er in den vergangenen Jahren vorangetrieben hat. Am Mittwoch verwies er deshalb auf die Apostolische Konstitution "Praedicate evangelium", mit der 2022 die Reform der römischen Kurie abgeschlossen wurde.
Warum Franziskus nun das Kapitel von Santa Maria Maggiore vor dem von Sankt Peter rechtlich erneuert, mag einen einfachen Grund haben: Groß-Sankt-Marien ist die Lieblingskirche des Papstes. Er hat sie bereits über 100-mal besucht und vor dem Marienbild "Salus populi Romani" vor und nach jeder Reise ein Blumengesteck als Gruß an die Gottesmutter abgelegt. Dahinter steht die Tradition des Jesuitenordens, dem Franziskus angehört, dass seine Mitglieder, die in die Mission nach Übersee gingen, vor dem Aufbruch eine Reproduktion der Marienikone erhielten. Vor wenigen Monaten wurde zudem bekannt, dass der Papst in der Seitenkapelle, in der sich das Marienbild befindet, nach seinem Tod bestattet werden möchte. Vielleicht hat er wegen seiner Zuneigung für die größte römische Marienkirche auch eine historische Besonderheit des Kapitels nicht verändert: In Santa Maria Maggiore ist der König von Spanien der ranghöchste Ehrenkanoniker. Dieses Privileg rührt von einer Stiftung aus dem 17. Jahrhundert her, mit der König Felipe IV. von Spanien dem Kapitel der Marienkirche eine dauerhafte finanzielle Unterstützung zukommen lassen wollte. Bislang hat der derzeitige spanische Monarch von seinen Rechten als Protokanoniker allerdings noch keinen Gebrauch gemacht.