"Diginitas infinita" ist Lehrentwicklung im Trippelschritt
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Die Weiterentwicklung der Lehre der Kirche geht langsam voran. Oft zu langsam. Aber sie geht voran. Die vatikanische Erklärung zur Menschenwürde "Dignitas infinita" hat seit ihrer Veröffentlichung vor gut einer Woche für viel Enttäuschung und Kritik gesorgt: Zurecht beklagen queere Menschen, dass sie nach wie vor von der Kirche nicht so akzeptiert werden, wie sie geschaffen sind, und dass ihre Existenz als Anomalie gesehen wird.
Dass das Dokument nun immerhin eine einigermaßen klare Absage an die Kriminalisierung von Homosexualität an den Beginn seiner Ausführungen zur "Gender-Theorie" gestellt hat, ist ein Fortschritt im Trippelschritt – und bei näherem Hinsehen immer noch eine Enttäuschung, die viel zu kurz greift. Als Menschenwürdeverstoß wird nur gebrandmarkt, wenn Menschen "allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung" kriminalisiert, gefoltert und getötet werden. Die Haltung zur Kriminalisierung homosexueller Handlungen bleibt unausgesprochen. Papst Franziskus war da schon klarer, als er 2023 homosexuelle Handlungen gleichstellte mit allen anderen außerehelichen sexuellen Handlungen – für die katholische Kirche gilt das schon als Fortschritt.
Das Würdedokument zeigt aber an einer anderen Stelle, dass sich die Lehre fortentwickelt, die Kirche lernfähig ist und ihre eigenen Irrtümer korrigieren kann. Die Todesstrafe "verletzt unter allen Umständen die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen", heißt es apodiktisch. Die Fußnoten, die diese klare Aussage belegen sollen, verschleiern nur, dass sich die Kirche hier korrigiert und ihre Lehre tatsächlich ändert. Mit der Formulierung "unter allen Umständen" wird die Katechismus-Änderung von Papst Franziskus im Jahr 2018 noch verschärft. Ursprünglich, 1993, wurde die Todesstrafe noch als Ultima ratio zugelassen, soweit "unblutige Mittel” nicht hinreichen, 1997 hatte Papst Johannes Paul II. in einer Revision des Katechismus festgestellt, dass es solche Fälle praktisch nicht mehr gibt. Pius XII. hatte 1952 noch erklärt, dass rechtmäßig zum Tode verurteilte sich selbst ihres Rechts auf Leben beraubt hätten, und im Katechismus von Pius X. stand 1908 noch klar, dass die Todesstrafe rechtmäßig sei. Pius IX. hat während seines Pontifikats im 19. Jahrhundert noch selbst Exekutionen genehmigt.
Bei der Todesstrafe hat es Jahrzehnte und mindestens drei Pontifikate gebraucht, bis die Kirche mit ihrer einstigen Lehre brechen konnte. So wie Johannes Paul II. in den 1980er Jahren die Samen dafür pflanzte, könnten die Trippelschritte im Franziskus-Pontifikat hin zu einem menschenwürdigen Umgang mit queeren Menschen ähnliche Samen für spätere Lehrentwicklungen legen. Das ist eine kleine Hoffnung für die Zukunft. Sie hilft aber nicht den Menschen, die heute diskriminiert, verfemt und verfolgt werden – allzu oft im Namen des Glaubens.
Der Autor
Felix Neumann ist Redakteur bei katholisch.de und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten (GKP).
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.