Kontrollrechte von Gremien und fehlende Gerichte in der Kritik

Reform der NRW-Kirchenvorstände: Wie viel Macht nehmen sich Bischöfe?

Veröffentlicht am 23.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Düsseldorf/Aachen/Münster ‐ In Nordrhein-Westfalen regelt ein staatliches Gesetz, wie Kirchenvorstände das Gemeindevermögen verwalten. Nicht mehr lange – doch das geplante kirchliche Gesetz sorgt für Diskussionen: Entmachten die Bischöfe die gewählten Laien in den Pfarreien?

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In Nordrhein-Westfalen sind Staat und Kirche enger verbunden als im Rest Deutschlands – jedenfalls da, wo es um die Verwaltung des Kirchenvermögens geht. Immer noch gilt in dem westlichen Bundesland ein altes preußisches Gesetz, das die Arbeit von Kirchenvorständen regelt. In den anderen Bistümern, die auf dem Gebiet des ehemaligen Staates Preußen liegen, wurde dieses Gesetz schon vor Jahrzehnten aufgehoben. Jetzt will auch die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen damit Schluss machen. Mitte Mai beriet der Düsseldorfer Landtag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen CDU und Grüne zur "Aufhebung des Gesetzes über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens und des Staatsgesetzes betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen".

Dass ein staatliches Gesetz bestimmt, wie kirchliches Vermögen verwaltet wird und dass bei wichtigen Entscheidungen von Kirchenvorständen eine staatliche Behörde zustimmen muss, ist eine staatskirchenrechtliche Anomalie: War es nach dem vom Kulturkampf geprägten preußischem Verständnis noch selbstverständlich, dass der Staat die Kirche beaufsichtigt und Regeln aufstellt, ist in der freiheitlichen Rechtsordnung des Grundgesetzes das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen zentral. "Dieses Gesetzgebungsverfahren gehört in die Kategorie 'klarer Fall'", sagte der Chef der NRW-Staatskanzlei Nathanael Liminski bei der Landtagsdebatte. Bei der Abschaffung des preußischen Gesetzes handle es sich "schlicht und ergreifend um einen Akt der Rechtsbereinigung". Ein Gutachten des Kölner Staatsrechtsprofessors Markus Ogorek kam im Auftrag der Regierungsfraktionen zu dem Schluss, dass das preußische Gesetz ungerechtfertigt in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht eingreife und daher verfassungswidrig und nichtig sei.

Blick in den Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags
Bild: ©dpa/Federico Gambarini (Archivbild)

Der Düsseldorfer Landtag berät über die Abschaffung des alten preußischen Kirchenvorstandsrechts. Nach der Debatte anlässlich der ersten Lesung scheint die Abschaffung nur noch eine Formsache zu sein.

Das schlägt sich auch in der Verwaltungspraxis nieder. Im Gesetz sind einige Genehmigungsvorbehalte der Landesregierung vorgesehen. Wenn Kirchenvorstände zum Beispiel historisch oder künstlerisch wertvolle Gegenstände verkaufen wollen oder Gemeinden zu Verbänden zusammengeschlossen werden, muss formal die staatliche Behörde zustimmen. Außerdem gibt es Fälle, in denen die bischöfliche Behörde nur mit dem Land gemeinsam handeln kann, zum Beispiel wenn ein Verwalter bestellt werden muss, weil es keinen Kirchenvorstand gibt. Das Land kann außerdem in vielen Fällen Entscheidungen treffen, die eigentlich die bischöfliche Behörde treffen muss, das aber nicht tut. Auf Anfrage von katholisch.de erklärte ein Sprecher der Staatskanzlei, dass alle diese staatlichen Genehmigungs- und Eingriffsmöglichkeiten mindestens seit 2001 nicht ausgeübt wurden. "Es ist aber zu vermuten, dass die Landesregierung auch früher nicht in den genannten Fällen entsprechend tätig geworden ist", so der Sprecher. Schon jetzt sind staatliche Genehmigungsvorbehalte also faktisch totes Recht.

Kirchen sind für die Aufhebung

Die Kirchen sind bei der Abschaffung des alten Rechts mit im Boot. Während die evangelischen Landeskirchen schon lange eigene Regelungen anwenden, wird in den fünf katholischen Diözesen des Landes vorerst noch das preußische Recht angewandt. Seit 2022 arbeiten sie aber daran, ein eigenes kirchliches Kirchenvorstandsrecht vorzubereiten. In einem breit angelegten Beteiligungsprozess wurde ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der seit Ende März 2023 fertig vorliegt. Der Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf, Antonius Hamers, betont gegenüber katholisch.de, dass mit dem neuen Kirchenvorstandsrecht ein Rechtszustand beendet werde, der aus dem alten staatskirchlichen Verständnis des 19. Jahrhunderts kommt. An die Stelle des alten Rechts solle nun ein modernes treten. "Wir erleichtern die Arbeit unserer ehrenamtlichen Kirchenvorstände und garantieren zugleich weiterhin eine demokratische Beteiligung der Gläubigen an wichtigen vermögensrechtlichen Entscheidungen in unseren Kirchengemeinden", würdigt Hamers das neue Kirchengesetz.

Die Bistümer heben vor allem die Möglichkeiten hervor, dass Kirchenvorstände bald in digitalen Sitzungen tagen und entscheiden können, und dass die Gremien künftig kleiner werden. Grundsätzlich ändert sich aber nichts daran, wie Kirchenvorstände arbeiten. "Das neue Kirchenvorstandsrecht ist eine sehr katholische Lösung: Man geht die 'via tutior', den sicheren Weg", sagt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller gegenüber katholisch.de zu den neuen Kirchengesetzen. Der Experte für kirchliches Vermögensrecht sieht die meisten Änderungen als sinnvoll, letzten Endes aber bloß kosmetisch an. Das neue kirchliche Recht stehe weiterhin in der Traditionslinie des alten preußischen Rechts und transformiere lediglich das staatliche Recht ohne große Änderungen im kirchlichen Recht. "Man bleibt auf dem Gleis, das seit über 100 Jahren vorgegeben ist. Ich hätte mir gewünscht, dass man hier mutiger ist, und sich zum Beispiel am Rottenburger Modell orientiert, wo Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, also Pastoral und Vermögensverwaltung, in einem Gremium zusammengefasst werden", sagt Schüller. Dieser Mut habe in den nordrhein-westfälischen Bistümern aber gefehlt.

Kritik an Kontrollmöglichkeiten und fehlenden Verwaltungsgerichten

Dass die meisten Änderungen bloß kosmetisch seien, sieht auch Gangolf Ehlen so. Der Diplom-Kaufmann und ehemalige Beteiligungsmanager bei einer Sparkasse engagiert sich ehrenamtlich im Bistum Aachen und ist der schärfste Kritiker des neuen Kirchengesetzes. Ihn stören am neuen Kirchengesetz vor allem zwei Dinge: Die Genehmigungsvorbehalte der Landesregierung gehen nun an die bischöfliche Behörde über, also die Generalvikariate. Hier fehlt Ehlen eine Kontrollinstanz der bischöflichen Behörde. Im preußischen Gesetz ist für Konflikte der Rechtsweg zum Oberverwaltungsgericht festgelegt. Katholische Verwaltungsgerichte gibt es nicht.

Ein Baugeruest steht an der Forumskirche St. Peter in Oldenburg im Zentrum der Stadt.
Bild: ©picture alliance/Hauke-Christian Dittrich (Symbolbild)

Bei Renovierungsarbeiten an oft denkmalgeschützten Kirchen kann es schnell um größere Summen gehen, über die ein Kirchenvorstand beraten muss.

"In meinem Beruf habe ich viele Vertragswerke und Satzungen mitverhandelt", erläutert Ehlen. "Bei Satzungen geht es immer um Machtverhältnisse: Welche Befugnisse hat die Geschäftsführung, welche Aufsichtsmöglichkeiten hat der Beirat, welche Rolle hat die Gesellschafterversammlung." So sei es auch beim Kirchenvorstandsrecht – nur fehle hier eine wirksame Aufsicht der bischöflichen Behörde: "Niemand beaufsichtigt das Bistum – das hat mich schockiert. Deshalb setze ich mich für eine Reform ein, mit dem Macht kontrolliert wird." Und Macht müsse kontrolliert werden, sonst werde sie missbraucht.

Ehlen hat daher eine Petition an die Abgeordneten des Düsseldorfer Landtags gerichtet, mit der er den Landtag auffordert, dem Aufhebungsgesetz nicht zuzustimmen. Knapp über 1.000 Unterschriften hat sie bisher. Bei der Debatte zur ersten Lesung äußerten einige Redner zwar auch ihr Unbehagen an der bischöflichen Machtfülle. Dennoch zeichnet sich ab, dass Ehlens Petition bei ihnen keine Wirkung erzielt: Dass es sich um einen Verfassungsauftrag handelt, die Selbstverwaltung der Kirche auch formal herzustellen, ist breiter Konsens.

Für Ehlen verstecken sich die Abgeordneten damit hinter dem Argument der Verfassungswidrigkeit. Er hätte sich als Katholik gewünscht, dass die Abgeordneten die Aufhebung an die Bedingung knüpfen, das neue kirchliche Recht mit Kontrollmechanismen auszustatten, die rechtsstaatlichen Standards genügen. Denn an den Reformwillen der Bischöfe glaubt er nicht: "Die Kirche selbst ist aus eigener Kraft nicht in der Lage, etwas zu verändern: Die Theologie des Leitungsamts, die den Bischof zur Exekutive, Legislative und Judikative in seinem Bistum macht, verhindert das."

Konkret fordert Ehlen, dass in den Bistümern der Kirchensteuerrat oder der Vermögensverwaltungsrat als Kontrollorgan bestimmt wird, dessen Zustimmung dort nötig sein soll, wo bisher das Land zustimmen musste, also beispielsweise bei der Gründung von Kirchengemeindeverbänden oder bei der Änderung des Kirchenvorstandsrechts. Außerdem brauche es eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Diözesane Vermögensverwaltungsräte schon jetzt mächtig

Dass es eine kirchengerichtliche Kontrolle der Macht von Bischöfen und ihren Verwaltungen braucht, sieht auch Thomas Schüller so. "Im Bereich der kirchlichen Vermögensverwaltung gibt es die meisten Fehlerquellen, und trotzdem gibt es keinen Rechtsweg wie im staatlichen Bereich." Der Kirchenrechtler nimmt die Bischöfe hier aber in Schutz: "Die deutschen Bischöfe haben ihre Arbeit getan: Ihr Entwurf für eine Verwaltungsgerichtsordnung liegt seit Jahren in Rom, und sie warten und warten auf die nötige Zustimmung." Ohne die Zustimmung aus Rom sei ihnen die Hand gebunden, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten, die über ihr Handeln urteilt. So richtig Ehlen mit seiner Kritik liege: "Der richtige Adressat ist Rom", betont Schüller.

„Die Stärkung der Vermögensverwaltungsräte ist eine heilsame Frucht der unseligen Geschichte um Bischof Tebartz-van Elst.“

—  Zitat: Professor Dr. Thomas Schüller

Der Kirchenrechtler sieht auch keinen Mangel an Genehmigungsvorbehalten, die die Macht der bischöflichen Behörden einschränken. Deutschland sei in der Weltkirche Spitzenreiter bei den Kontrollmechanismen, weil es dort besonders viel Kirchenvermögen gibt, das es zu verwalten gilt. Schüller sieht seit der Finanzaffäre um den ehemaligen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz van Elst die Kontrolle kirchlichen Vermögens auf einem guten Weg. Die Rolle der diözesanen Vermögensverwaltungsräte sei seither deutlich stärker geworden: "Das ist eine heilvolle Frucht dieser unseligen Geschichte: In allen Diözesen sind die Vermögensverwaltungsräte seither mit unabhängigen und kompetenten ehrenamtlichen Laien besetzt und können so arbeiten und kontrollieren, wie es das Kirchenrecht vorsieht." Größere Geschäfte könne ein Bischof nicht ohne seinen Diözesanvermögensverwaltungsrat gültig abschließen. "Diese Forderung nach Kontrolle ist also schon erfüllt", stellt Schüller fest. Gerade haben die deutschen Bischöfe die Regeln für die Zustimmungsvorbehalte reformiert

Schüller wünscht sich allenfalls, dass die Kirchenvorstände bei kleineren Geschäften seltener auf die Genehmigung des Bistums angewiesen wären. "Da könnte man einiges an Genehmigungsvorbehalten für Entscheidungen von Kirchenvorständen deutlich entschlacken. Dann könnte man in den bischöflichen Verwaltungen auch viel Personal sparen. Das möchten aber weder die Bischöfe noch ihre Ökonominnen und Ökonomen: Da es in der Summe um so viel Geld geht, möchte man keine Fehler riskieren." Das habe aber nichts mit dem neuen Gesetz zu tun, das sei schon immer so gewesen.

Ab 1. Juli soll das kirchliche Gesetz gelten

Einig sind sich Ehlen und Schüller mit ihrer Kritik an einem Punkt im neuen Kirchengesetz. Bisher sieht das Recht vor, dass das Bistum Kirchenvorstände aufgrund "grober Pflichtwidrigkeit oder Ärgernis erregenden Lebenswandels" entlassen können. Im neuen kirchlichen Gesetz fällt zwar der "Ärgernis erregende Lebenswandel" weg, und aufgrund der auch für Ehrenamtlichen geltenden Grundordnung des kirchlichen Dienstes darf der Kernbereich privater Lebensgestaltung auch bei Kirchenvorständen keiner rechtlichen Bewertung unterzogen werden. Das Bistum kann Kirchenvorstände aber "aus wichtigem Grund, insbesondere wegen grober Pflichtwidrigkeit" ihres Amts entheben. Mangels Verwaltungsgerichten fehlt es an einer Kontrollinstanz, um im Konfliktfall zu überprüfen, ob ein Grund wirklich so wichtig war, dass eine Amtsenthebung nötig war. Schüller sieht hier eine Verschärfung und spricht von einem Einfallstor für Willkürakte der bischöflichen Behörde. "In den Kirchenvorständen sitzen oft sehr kompetente und selbstbewusste Leute, die einen guten Job machen, die aber unbequem sind. Mit der Änderung wächst die Versuchung, sich solcher Mahner zu entledigen – auch wenn sie mit ihrer Kritik recht haben", befürchtet Schüller.

Im Katholischen Büro weist man diese Kritik von sich: Kein Bischof wolle willkürlich Kirchenvorstände entlassen, zumal man ohnehin kaum Menschen finde, die sich als Kirchenvorstand engagieren wollen. Die Regelung sei so offen formuliert, um beispielsweise auch Fälle abzudecken, in denen die Amtsführung als Kirchenvorstand zwar nicht konkret zu beanstanden ist, eine Verurteilung wegen Untreue in einem anderen Zusammenhang aber Zweifel entstehen lässt – das seien aber rein hypothetische Fälle.

Der Landtag hat das Aufhebungsgesetz in den Hauptausschuss überwiesen. Mit einer endgültigen Verabschiedung ist spätestens im Juni zu rechnen. Zum 1. Juli treten dann die kirchlichen Vermögensverwaltungsgesetze in den fünf NRW-Bistümern in Kraft. Die Erleichterungen für die Arbeit der Gremien – etwa mit Blick auf digitale Sitzungen – werden sofort wirksam. Für die Wahl der neuen Kirchenvorstände kommt das Gesetz dann erstmals im Herbst 2025 zum Tragen. Wenn Rom sich bis dahin bewegt, könnte es dann vielleicht sogar ein kirchliches Verwaltungsgericht geben, das Rechtssicherheit auch im Konfliktfall sichert.

Von Felix Neumann

Informationen zum neuen Kirchenvorstandsrecht in Nordrhein-Westfalen

Für die fünf NRW-Bistümer koordiniert das Erzbistum Paderborn die Reform des Kirchenvorstandsrechts. Dazu stellt die Diözese umfangreiche Hintergründe und den Gesetzesentwurf für das Kirchenvermögensverwaltungsgesetz auf ihrer Webseite zur Verfügung.