Neues Kirchenvorstandsrecht verzögert sich – Landtag tritt auf Bremse
Überraschende Entwicklung bei der Reform des nordrhein-westfälischen Kirchenvorstandsrechts: Der nordrhein-westfälische Landtag hat die eigentlich zum Monatsende geplante Abschaffung des alten preußischen Vermögensverwaltungsgesetzes zugunsten kirchlicher Regelungen verschoben und eine Expertenanhörung angesetzt. Das teilten am Freitag die fünf nordrhein-westfälischen Bistümer mit. Bisher galt die Abschaffung des immer noch geltenden Gesetzes von 1924 als reine Formsache. Zum 1. Juli hätten kirchliche Gesetze zur Regelung der Kirchenvorstände in Kraft treten sollen. Laut den Bistümern verschiebt sich der Start der diözesanen Kirchlichen Vermögensverwaltungsgesetze (KVVG) auf Oktober oder November. Auf Anfrage von katholisch.de teilte die Landtagsverwaltung mit, dass die Anhörung voraussichtlich in der Hauptausschusssitzung am 5. September stattfinden mit. Die für Herbst 2025 angesetzten Kirchenvorstandswahlen seien durch die neuen Entwicklungen aber nicht beeinträchtigt.
Auch die Hintergründe für die neu angesetzte Expertenanhörung sind noch nicht bekannt. Eine Online-Petition an den Landtag, mit der Kritiker einen Stopp der Reform fordern, hat bisher lediglich gut 1.300 Unterschriften. Ende Mai hatte der Landtag eine Stellungnahme des pensionierten Staatssekretärs Günter Winands veröffentlicht, in der er massive Zweifel an der Argumentation der Regierungsfraktionen äußerte. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Gesetz selbstverständlich über Jahrzehnte angewandt wird, wenn die Verfassungswidrigkeit so offensichtlich sei, wie es in dem von den Regierungsfraktionen beauftragten Gutachten des Kölner Staatsrechtlers Markus Ogoreks dargestellt wird. Bislang waren die Regierungsfraktionen auf Grundlage des Gutachtens davon ausgegangen, dass die Regelung kirchlicher Vermögensverwaltung durch ein staatliches Gesetz verfassungswidrig und das Gesetz daher nichtig sei. Die Aufhebung des Gesetzes durch den Landtag wäre damit eine Formsache. "Nicht zuletzt aufgrund dieses Gutachtens wurde im Vorfeld seitens der Landtagsfraktionen versichert, von der Beantragung einer Sachverständigenanhörung abzusehen", heißt es nun von Seiten der Bistümer.
Stellungnahme befürchtet Klagewelle
Winands führt an, dass die Argumentation der Bistümer nicht verfange, dass das preußische Gesetz durch die Anwendung durch die Kirche als Kirchenrecht Geltung erlangt habe. Das Kirchenrecht kenne zwar die "Kanonisation" von staatlichen Rechtsnormen. Derart kanonisierte Rechtsnormen haben aber im Kirchenrecht "dieselben Wirkungen" wie im staatlichen Recht. "Wenn ein weltliches Gesetz nichtig ist, entfaltet es im staatlichen Recht keine Wirkung; ist ein weltliches Gesetz im staatlichen Bereich wirkungslos, hat es also gemäß can. 22 CIC auch keine Wirkung im kanonischen Recht. Eine im staatlichen Recht nichtige Norm hat keine Gültigkeit im Kirchenrecht", folgert daher Winand. Sollte das Gesetz tatsächlich nichtig sein, befürchtet Winands eine Klagewelle auf die Kirche zurollen, da die Kirchenvorstände damit bisher keine Rechtsgrundlage gehabt hätten. Über die kirchenrechtlichen Aspekte hinaus sieht Winand auch die Problematik, dass gar keine staatlichen Prüfungsrechte mehr vorgesehen seien. Dies sei aber angesichts der öffentlich-rechtlichen Rechtsform von Gemeinden erforderlich.
Winands, der bis 2010 Staatssekretär im NRW-Schulministerium war, empfahl dem Landtag auch mit Blick auf aktuelle innerkirchliche Debatten einen intensiven Beratungsprozess einschließlich einer Anhörung: "Der Gesetzgeber sollte sich bewusst sein, dass er mit der Aufhebung des VVG gerade zum jetzigen Zeitpunkt in einer laufenden, innerkirchlich sehr kontrovers geführten Debatte über die Beseitigung der traditionellen Pfarreistrukturen als Unterstützer der umstrittenen Fusionspläne wahrgenommen wird."
Erste Prüfung der neuen Kirchengesetze durch Land positiv
Die Staatskanzlei hatte Anfang Juni außerdem eine Antwort auf eine Berichtsbitte der FDP-Fraktion veröffentlicht. Die FDP hatte darin nach weiteren preußischen Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Vermögensverwaltungsgesetz gefragt und warum diese nicht aufgehoben werden. Die Staatskanzlei ging in ihrer Antwort davon aus, dass auch diese Normen rechtswidrig seien und entweder zeitgleich oder nach der Aufhebung des Vermögensverwaltungsgesetzes aufgehoben werden. Außerdem zeigte sich die Staatskanzlei davon überzeugt, dass die geplanten kirchlichen Gesetze den staatlichen Anforderungen genügen. Die Prüfung habe im April 2024 stattgefunden.
Die geplanten kirchlichen Gesetze, deren finale Entwürfe seit über einem Jahr bekannt sind, sollen das Kirchenvorstandsrecht nicht grundlegend ändern, sondern nur mit Blick auf Digitalisierung und Ehrenamtsfreundlichkeit optimieren. Dennoch gibt es seit Jahren deutliche Kritik an der Reform, insbesondere mit Blick auf Vorbehalte des Landes bei bestimmten Maßnahmen der Vermögensverwaltung und bei der Frage, unter welchen Bedingungen Bischöfe und Generalvikare Kirchenvorstandsmitglieder entlassen können. Gegenüber katholisch.de sagte ein Sprecher der Staatskanzlei, dass das Land die im preußischen Gesetz vorgesehenen Genehmigungs- und Eingriffsmöglichkeiten mindestens seit 2001 nicht ausgeübt hat. (fxn)
28. Juni 2024, 16.20 Uhr: Ergänzt um voraussichtlichen Termin der Anhörung.