Studie untersucht Europawahl mit Blick auf Sachsen

Wählen Christen tatsächlich weniger AfD?

Veröffentlicht am 21.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Karin Wollschläger (KNA) – Lesedauer: 

Leipzig ‐ Bei der Europawahl gaben in Sachsen 31,8 Prozent der Wähler ihre Stimme der AfD. Das Ergebnis gilt als Fingerzeig für die Landtagswahl am 1. September. Eine neue Studie analysiert die Ursachen, auch mit Blick auf die Rolle der Religionszugehörigkeit.

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Wissenschaftler des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universität Leipzig haben untersucht, wie sozial-, wirtschafts- und infrastrukturelle Faktoren mit der Stimmverteilung in sächsischen Gemeinden bei der Europawahl zusammenhängen. Ein Ergebnis: Die AfD, die in Sachsen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, war vor allem dort stark, wo die Infrastruktur schwach ist. Wo die Gemeinden klein sind, die Bevölkerung abwandert, wo Autobahnen, Apotheken, Supermärkte oder Grundschulen weit entfernt sind und der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist. Auch eine hohe Arbeitslosigkeit begünstigt ein hohes AfD-Wahlergebnis.

Neben den Strukturfaktoren spielen laut Studie häufig lokale politische und kulturelle Milieus und Traditionen eine Rolle. Verschiedene frühere Untersuchungen haben demnach bereits gezeigt, dass die AfD dort besonders erfolgreich ist, wo früher schon die NPD oder noch früher die NSDAP erfolgreich waren. Kontinuitätslinien lassen sich auch für die Milieus der SPD in Industrierevieren sowie der CDU (und ihrer Vorgängerparteien) vor allem in katholischen Gemeinden und Regionen nachweisen. Das Zweitstimmenergebnis von NPD und DSU bei den Landtagswahlen 2009 erklärt das gegenwärtige AfD-Wahlergebnis am stärksten, so die Leipziger Forscher. Dort, wo die extreme Rechte damals schon Erfolg hatte, ist heute auch die AfD überdurchschnittlich stark.

Die Landkarte mit Wahlergebnissen zeigt, dass die AfD in den Großstädten sowie in einigen katholisch-sorbisch geprägten Gemeinden in Ostsachsen weniger erfolgreich war. Interessant ist laut Studie, dass ein höherer Anteil an katholischen und protestantischen Kirchenmitgliedern in einer Gemeinde auch den AfD-Stimmenanteil statistisch signifikant erhöht, wenn auch nur leicht. Allerdings zeigt sich ein gegenteiliger Effekt für sorbisch-katholisch geprägte Gemeinden wie Crostwitz (93 Prozent katholische Kirchenmitglieder) oder Ralbitz-Rosenthal (89 Prozent katholische Kirchenmitglieder) im sorbischen Siedlungsgebiet.

Bild: ©Markus Kremser (Symbolbild)

Eine Beobachtung der Studie: Die AfD war in einigen katholisch-sorbisch geprägten Gemeinden in Ostsachsen weniger erfolgreich.

Hier verringert offenbar das stark verankerte sorbisch-katholische Milieu die AfD-Stimmenanteile statistisch signifikant. Die meisten Stimmen gingen dort eindeutig an die CDU. Allerdings: Auch in Crostwitz wählten 20,7 Prozent die AfD (CDU: 48 Prozent), in Ralbitz-Rosenthal 30,2 Prozent (CDU: 39,7 Prozent). Die CDU profitiert der Studie zufolge jedoch nicht grundsätzlich von höheren Anteilen von Kirchenmitgliedern in einer Gemeinde. Für die Links-Partei indes lasse sich sagen, dass ein höherer Anteil an Kirchenmitgliedern das Wahlergebnis signifikant und relativ stark verringere.

Die vergleichsweise niedrigeren AfD-Ergebnisse in einigen katholisch-sorbischen Gemeinden beruhen den Wissenschaftlern zufolge nicht nur auf der Religionszugehörigkeit. Die Spezifik der katholisch-sorbischen Gemeinden liege vermutlich eher in einem historisch tradierten hohen zivilgesellschaftlichen Organisationsgrad und der besonderen Milieubildung, die ihre Ursprünge im Kulturkampf Ende des 19. Jahrhunderts zwischen dem protestantischen Preußen und der katholischen Kirche – aber auch in der Verfolgung der Sorben im Nationalsozialismus – habe.

Das Gefühl des Abgehängtseins

"Unsere damit einhergehende Vermutung, dass dies auch ein bestimmender Faktor in anderen Gemeinden mit einer starken Zivilgesellschaft ist, wird durch die Beobachtung bestärkt, dass die lokale politische Kultur auf Gemeindeebene – bei aller Bedeutung der sozial-, wirtschafts- und infrastrukturellen Faktoren – ein relevanter Faktor ist", bilanziert die Studie. In Orten mit einer starken, lebendigen Zivilgesellschaft kann die AfD also mit ihrem Populismus und ihrer Programmatik weniger punkten.

Umgekehrt bilden verfestigte extrem rechte Milieus in Kombination mit schlechten Strukturbedingungen die Risikofaktoren hinsichtlich der Wahl extrem rechter Parteien. "Unabhängig von der persönlichen Betroffenheit von sozialer Ungleichheit entsteht in strukturschwachen Regionen ein Gefühl des Abgehängtseins", so die Studie. "Diesem entgegenstehen können – trotz ländlich-peripherer Lage – zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort und eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge."

Von Karin Wollschläger (KNA)