Halik: Kirche muss Ämter etablieren, die keine Ordination erfordern
Ende August trafen sich die europäischen Weltsynodenteilnehmer in Linz, um über das Arbeitsdokument für die zweite Sitzungsperiode der Synode im Herbst zu beraten. Unter den 43 Teilnehmenden waren der Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE), Erzbischof Gintaras Grusas (Vilnius), sowie die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen von Italien, Österreich und der Schweiz, Kardinal Matteo Zuppi (Bologna), Erzbischof Franz Lackner (Salzburg) und Bischof Felix Gmür (Basel). Mit dabei war auch der bekannte tschechische Priester, Theologe und Religionsphilosoph Tomas Halik. Er berichtete im Vorfeld des Interviews von zwei Konferenzen an der belgischen Universität Leuven zum Thema "Kirche und Gesellschaft in China und im Westen". Daran hätten asiatische Delegierte der Weltsynode teilgenommen, darunter zwei Bischöfe aus China und eine Theologin aus Hongkong. In diesem Zusammenhang betonte der Theologe, ihm sei zum ersten Mal bewusst geworden, wie wichtig die Dezentralisierung der Kirche sei, da die Bedingungen für kirchliches Leben in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich seien. Im Interview mit katholisch.de spricht er deshalb über Dezentralisierung, Reformvorhaben und welche Ämter die Kirche schaffen sollte.
Frage: Herr Professor Halik, welche strukturellen Veränderungen halten Sie für notwendig, damit die Kirche den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht wird?
Halik: Es ist notwendig, Ämter in der Kirche zu etablieren, die keine Ordination erfordern, einschließlich des Amtes der geistlichen Begleitung. Dieser Dienst erfordert sowohl ein persönliches Charisma als auch eine besondere Ausbildung, also Schulung und Supervision. Er ist eines von vielen Ämtern in der Kirche, für deren Ausübung Gott nicht zuletzt Frauen viele Charismen gegeben hat.
Frage: Sie haben bereits im Vorfeld die Dezentralisierung angesprochen. Was heißt das konkret für die ganze Kirche?
Halik: Der Dienst der Kirche im Zeitalter einer globalisierten Welt kann sich nicht auf territoriale Gemeinschaften beschränken. Auch für die Kirche im globalen Zeitalter gilt: lokal handeln, global denken. Lokal handeln heißt immer, den Kontext zu respektieren. Das erfordert eine Dezentralisierung der Kirche, die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, aber auch Solidarität: im Respekt vor denen, die anders sind als wir. Der Dienst der Seelsorger in den Krankenhäusern, in der Armee, in den Gefängnissen ist die Avantgarde dieses kirchlichen Dienstes, der allen offensteht, nicht nur den eigenen Mitgliedern.
Frage: Und "global denken" heißt?
Halik: Global denken bedeutet, die Katholizität und die Ökumene ständig zu vertiefen. Die universale Offenheit der Kirche, die ein Sakrament ist, ist Zeichen und Werkzeug für die Einheit der ganzen Menschheit. Diese Einheit ist ein eschatologisches Ziel, für das wir jedoch ständig arbeiten müssen. Die katholische Einheit der Kirche muss eine organische Einheit in Vielfalt sein, nicht die Uniformität und Konformität totalitärer Systeme.
Frage: Stichwort Vielfalt: Beim Europa-Treffen ging es unter anderem darum, die Vielfalt in Europa zu erkennen und sichtbar zu machen. Doch was bedeutet Vielfalt für die Kirche in Europa?
Halik: Das europäische Christentum befindet sich in einer paradoxen Situation: Wir sind eine Minderheit in einer weitgehend entkirchlichten Gesellschaft, die jedoch zweitausend Jahre unauslöschlicher Erfahrung mit vielen Formen des christlichen Glaubens in ihren Genen trägt. Das ist ein reiches und zugleich belastendes Erbe. Zu diesem Erbe gehören auch der europäische Säkularismus und Atheismus. Unsere Mutter, die europäische Kirche, hat viele unbekannte Nachkommen und viele "verlorene Söhne und Töchter". Ein tieferes Verständnis der europäischen Kultur bringt uns viele überraschende Begegnungen mit unseren unbekannten Brüdern und Schwestern.
Frage: Welche Rolle spielt dabei die Stimme der Kirche in Europa in der Weltkirche?
Halik: Wir müssen damit rechnen, dass für viele unsere synodale Einladung auf Misstrauen stößt. Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, braucht es Geduld und glaubwürdige Zeugen.
Frage: Wie sind die Erfahrungen von Synodalität auf anderen Kontinenten und was kann Europas daraus ziehen?
Halik: Das heutige Europa ist Missionsgebiet. Mission im nachchristlichen Europa kann weder eine "Reconquista" noch eine archäologische Ausgrabung sein, die von der Sehnsucht nach einer verlorenen Vergangenheit getrieben wird. Mission im Kontext der Synodalität ist keine einseitige Aktivität. Es geht um Begleitung, Dialog, Respekt und gegenseitige Bereicherung. Wir sind Zeugen Christi, aber wir haben kein Monopol auf Christus; Christus kann auch durch "andere" zu uns sprechen. Vielleicht wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Etappe des synodalen Weges gerade darin bestehen, die Gegenwart Christi auch jenseits der sichtbaren Grenzen der Kirche zu entdecken.
„Vielleicht wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Etappe des synodalen Weges gerade darin bestehen, die Gegenwart Christi auch jenseits der sichtbaren Grenzen der Kirche zu entdecken.“
Frage: Welche besonderen Herausforderungen und Chancen ergeben sich für Europa in diesem Zusammenhang?
Halik: Der Prozess der Säkularisierung war ein wichtiger Schritt in der Reifung des christlichen Glaubens. Nicht nur die persönlichen "dunklen Nächte", von denen die Mystiker sprechen, sondern auch die "kollektiven dunklen Nächte" bewirken eine entscheidende Wandlung (metanoia), eine österliche Erfahrung, eine Teilhabe an Kreuz und Auferstehung. Die synodale Erneuerung ist eine Gelegenheit, in eine neue Epoche der Geschichte des Christentums einzutreten und die verwandelnde Kraft des Auferstandenen durch die Verwandlung von "Leib und Seele" der Kirche, ihrer Mentalität und ihrer Strukturen zu erfahren.
Frage: In welche Richtung sollte sich die Kirche nach der Weltsynode also weiterentwickeln?
Halik: In der heutigen Welt sind viele Religionen (und einige Formen des Christentums) zu politischen Instrumenten der Verteidigung ethnischer oder zivilisatorischer Identitäten geworden, zu Instrumenten des Kulturkampfes der einen gegen die anderen. Das Christentum darf keine identitäre Religion sein. Unsere Identität ist nichts Statisches und Abgeschlossenes; unsere Identität ist der lebendige Christus und sein Geist. Wir müssen unsere Identität nicht ängstlich verteidigen, sondern dürfen sie immer wieder neu entdecken, um sie tiefer zu verstehen und zu deuten.