Frauen über Vatikan-Besuch: Sehen Perspektivwechsel in der Kurie
Eine Gruppe aus zwölf Frauen in unterschiedlichen Funktionen aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich im Vorfeld der Weltsynode aufgemacht, um in Rom mit verschiedenen Kurienvertretern zu sprechen. Wie die auf die Frauen-Gruppe aus Deutschland reagiert haben und ob schon der nächste Besuch in Rom geplant ist, erklären die Tübinger Dogmatik-Professorin Johanna Rahner und die Geschäftsführerin der Diözesanen Räte, Gabriele Denner, im katholisch.de-Interview.
Frage: Frau Denner, Frau Rahner, Sie waren mit zehn weiteren Frauen aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart zu einer Begegnungsreise in Rom. Was wollten Sie mit dieser Reise erreichen?
Denner: Im vergangenen Jahr durfte ich gemeinsam mit zwei weiteren Delegierten die Deutsche Bischofskonferenz bei einem Kongress im Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben vertreten. Dort habe ich festgestellt, wie wichtig die Kommunikation zwischen der deutschen Kirche und den Verantwortlichen im Vatikan ist. Daraufhin ist mit Vertreterinnen und Vertretern im Diözesanrat die Idee entstanden, dass wir mit Frauen nach Rom reisen, um so im Austausch Reformanliegen besonders aus Sicht von Frauen anzusprechen und um primär Vertrauen aufzubauen. Dabei wollten wir einfach zeigen, was bei uns in der Diözese schon möglich ist. Ich glaube, dieser Austausch ist uns gut gelungen. Auch, weil die Atmosphäre schon eine andere ist, wenn man sich gegenübersitzt und sich auf Augenhöhe begegnet.
Rahner: Wir sind mit einem ganzen Spektrum an Frauen nach Rom gereist, um zu zeigen, in welchen Leitungsfunktionen Frauen in einer durchschnittlichen deutschen Diözese bereits tätig sind. Ich war als Vertreterin der universitären Theologie dabei, aber es waren auch Frauen aus der Caritas und Jugendarbeit dabei, eine Pastoralreferentin, die Gemeindeleiterin ist, und eine Gemeindereferentin mit Taufbeauftragung. Man könnte die Reise jetzt salopp als deutsche Charme-Offensive bezeichnen. Aber darum ging es nicht: Wir wollten ein Bild der Kirche in Deutschland zeigen, das der Realität entspricht – und nicht rechtskatholischen Narrativen, die auch im Vatikan umhergeistern.
Frage: Inwiefern?
Denner: Wir haben gehört, dass gerade auch im Vatikan traditionalistische Kreise und sicher auch Seilschaften, mit entsprechenden finanziellen Mitteln, viele Entwicklungen verhindern oder auch in eine gewisse Richtung lenken möchten. Diese Gruppen produzieren Narrative, die sich dann – auch im Vatikan – in den Köpfen festsetzen. Das haben wir zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Synodalen Weg erlebt, wo eine Abstimmungsfrage aus dem Kontext gerissen wurde und es plötzlich hieß, der Synodale Weg wolle Priester abschaffen. Mir persönlich macht das große Sorgen, nicht nur weil es für das Vertrauen zwischen der Deutschen Kirche und dem Vatikan kontraproduktiv ist, sondern insgesamt zukunftsrelevante Entwicklungen für die gesamte Weltkirche verhindert. Da müssen wir vereint dagegen halten.
Frage: Was hat Sie bei Ihrem Besuch denn am meisten überrascht?
Denner: Mich hat vor allem die Offenheit und das absolute Interesse an uns überrascht. Vor dem Büro der Weltsynode steht übersetzt: "Eine synodale Kirche ist eine hörende Kirche." Und das ist nicht nur ein Slogan. Papst Franziskus stößt gerade mit dem synodalen Prozess Entwicklungen an, die so – weltweit betrachtet – vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wären. Und diese Entwicklung ist spürbar. Besonders überrascht war ich, dass die Nummer Zwei im Dikasterium für die Glaubenslehre Erzbischof John Joseph Kennedy, bei unserem Gespräch sagte, dass er am Konferenztisch normalerweise nur mit Bischöfen spreche und jetzt 12 Frauen kommen, denen Glaube und Kirche am Herzen liegen und die nicht nur ihre Forderungen auf den Tisch knallen wollen.
Rahner: Für mich war durchweg spürbar, dass die römische Kurie derzeit einen Perspektivwechsel durchmacht. Wir befinden uns in einer Zwischenphase, in der die ganze Breite der Pluralität innerhalb der katholischen Kirche ganz offen zutage tritt und man jetzt vor der Herausforderung steht, wie man das alles wieder zusammenbringt. In der Geschichte war es bisher so, dass die Kurie eine Linie vorgibt, die definiert, was katholisch ist, und die eingehalten werden muss. Das funktioniert heute so aber nicht mehr.
Frage: Sie haben den Besuch absichtlich direkt vor der Weltsynode stattfinden lassen. Beispielsweise das Thema Diakonat der Frau wurde im Vorfeld aber schon von den Beratungen ausgeklammert. Wie viel Überzeugungsarbeit konnten Sie denn generell für ihre Themen leisten?
Rahner: Wir haben in Rom auch den ehemaligen Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Kardinal Walter Kasper, getroffen. Mit ihm waren wir relativ schnell beim Thema Diakonat der Frau. In der Vergangenheit hatte er immer wieder eine besondere Form des Diakonats für Frauen – öffentlich oft "Diakonat light" oder "Diakonat sui generis" genannt – gefordert, die sich vom Diakonat für Männer unterscheidet. Inzwischen hat er seine Meinung aber geändert und hält den Diakonat für Frauen theologisch für möglich. Und wer Kardinal Kasper kennt, der weiß, dass er seine Ohren überall in Rom hat und sich mit vielen Menschen unterhält. Man hört auch von bestimmten Menschen, dass immer noch versucht wird, das Thema auszubremsen. Aber diese Frage lässt sich nicht mehr aufhalten, weil sie in allen Teilen der Weltkirche gestellt wird. Dabei geht es vor allem in den Kirchen des Südens gar nicht um das Thema Macht, sondern um Schutz für diese Frauen, wenn sie als Amtsträgerinnen der Kirche auftreten.
Frage: In Ihrer Reisegruppe waren unter anderem eine Gemeindeleiterin und eine Frau mit Taufbeauftragung dabei. Wie reagieren denn Kurienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter darauf, dass im Bistum Rottenburg-Stuttgart Dinge möglich sind, die in vielen anderen Orten der Weltkirche alles andere als üblich sind?
Rahner: Sie bekommen glänzende Augen. So kann man es vielleicht beschreiben. Die Chefin von Caritas Internationalis, Stephanie MacGillivray, macht Kurse, um Frauen für Leitungsaufgaben in der Kirche zu qualifizieren. Sie sagte uns, dass das genau das ist, was die Kirche braucht.
Denner: Die Zusammensetzung der Frauengruppen war so ganz bewusst gewählt, wir wollten aufzeigen, welche Kompetenzen wir haben und in welchen Funktionen Frauen bereits aktiv sind, so zum Beispiel in der Gemeindeleitung oder bei der Spendung der Taufe. Und beispielsweise Erzbischof Kennedy im Dikasterium für die Glaubenslehre ist nicht in Schockstarre gefallen, als er das gehört hat. Ganz im Gegenteil: Ich finde, alle Gesprächspartner haben durch die Bank überaus positiv reagiert und uns sogar ermuntert. Das ist einer der Wege, die wir gehen müssen: Diese erlebte Motivation und Bestärkung aus dem Vatikan darf jedoch keine Einbahnstraße bleiben: Wir haben immer wieder gehört, uns zu vernetzen, voneinander zu lernen und mit Christinnen in den Austausch zu gehen, um weltweit die Frauenperspektive in ein patriarchales System einzubringen.
Frage: Welche konkreten Anregungen für Ihre Arbeit in Deutschland nehmen Sie von Ihrem Besuch in Rom mit?
Denner: Wir werden in unserer Diözese ja irgendwann einen neuen Bischof bekommen. Wenn dieser ernannt ist, möchten wir uns so bald wie möglich mit ihm treffen und über unsere Erfahrungen austauschen und konkret schauen, was wir weiter umsetzen können: Dass wir beispielsweise bei der Pastoral- und Personalstrategie darauf achten, dass mehr Frauen in Gemeindeleitung kommen. Ein weiterer Punkt ist die Vernetzung mit dem Vatikan, aber auch mit Frauen aus anderen weltkirchlichen Kontexten. Bischof Luis Manuel Alí Herrera, der Leiter der Kommission für Kinder- und Jugendschutz im Vatikan, hat zum Beispiel schon angedeutet, dass er sehr interessiert ist an Unterlagen aus unserer Diözese zur Prävention und Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, weil wir bei diesem Thema gerade im internationalen Vergleich schon sehr weit sind. Wir haben ihn nach Deutschland eingeladen und er war sehr offen, zu uns zu kommen. Ich denke, das sollten wir auch mit anderen Kurienvertretern machen, um Kontakt zu halten und sich kennenzulernen.
Rahner: Als Theologin schaue ich mit einem analytischen Blick vor allem auf die Frage, wie man es hinbekommt, eine Hermeneutik der Diversität zu entwickeln. Es ist ein Kennzeichen der katholischen Kirche, vielfältig zu sein, aber trotzdem muss es eine Basis geben, auf der alle stehen. Diese Basis festzuhalten wird eine große Herausforderung.
Frage: Ihre Reise lief unter dem Motto "Ad-limina-Besuch mal anders". Kirchenrechtlich ist es vorgesehen, dass Bischöfe in der Regel alle fünf Jahre für ihre Ad-limina-Besuche nach Rom kommen. Wann ist Ihr nächster Besuch in Rom geplant?
Denner: Etwas Konkretes ist noch nicht geplant und es geht für uns auch nicht nur darum, alle paar Jahre nach Rom zu fahren. Wir werden jetzt die Weltsynode beobachten und vielleicht hin und wieder Briefe schreiben. Wir haben ja jetzt den Kontakt.