Berentzen: Synodaler Ausschuss durch Weltsynoden-Text herausgefordert
Michael Berentzen (41), Priester des Bistums Münster und Mitglied des Synodalen Ausschusses, hatte eine ganz besondere Rolle bei der Weltsynode im Rom: Er war als Helfer dabei und unter anderem für die Erstellung des täglicher Ereignisprotokolls zuständig. Grund für seine Arbeit bei der Synode war auch sein wissenschaftliches Interesse. Berentzen promoviert an der Gregoriana-Universität in Rom über ein Thema, das eng mit Synodalität zusammenhängt: die Frage, was in der Dogmatik unter dem Begriff Repräsentation verstanden wird. Oder anders formuliert: Wer repräsentiert das Volk Gottes? Im Interview spricht er darüber, was er von der Synode für seine Forschung mitnimmt und wie er die Versammlung generell wahrgenommen hat – auch im Vergleich zu den Versammlungen des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland. Dort fungierte Berentzen als einer der Moderatoren.
Frage: Herr Berentzen, die Weltsynode war sozusagen ein großes synodales Trainingslager, besonders mit Blick auf Partizipation und Repräsentation. War die Synode erfolgreich?
Berentzen: Der Erfolg wird an der Rezeption gemessen werden müssen. Ich meine, dass die Grundlagen für eine positive Aufnahme der Synode gelegt wurden. Der Prozess ist im besten Sinne vielversprechend, nun muss er in den Ortskirchen Anwendung finden. Es reicht nicht, ein Trainingslager auf eine Gruppe zu begrenzen, selbst wenn man davon ausgeht, dass sie das Volk Gottes repräsentiert. Die Synode war für das ganze Volk Gottes da.
Frage: Im Blick auf Ihre Forschung: Wissen Sie jetzt besser, was Synodalität ist? Der Begriff ist ja in den kirchlichen Debatten immer noch sehr schwammig.
Berentzen: Was im Prozess und im Schlussdokument über Synodalität als kirchliches Prinzip festgehalten wird, ist für jemanden, der sich theologisch damit auseinandersetzt, nichts Überraschendes. Dass das in bestimmten Punkten allerdings ausdrücklich im Dokument steht, ist schon bemerkenswert und erfreulich. Ich würde eher sagen, dass ich über das Theologische hinaus Synodalität besser verstehe als vorher – und auch erlebt habe, was es braucht, damit sich Synodalität ereignet.
Frage: Und was ist das?
Berentzen: Das Schlussdokument überschreibt als roten Faden die einzelnen Kapitel mit dem Untertitel der Umkehr. Das hat natürlich eine biblische Grundlage, ist aber auch ein geistlicher Vollzug, eine Haltungsfrage. Mir ist viel deutlicher geworden, dass es von jedem und jeder eine persönliche Umkehrbereitschaft braucht. Das heißt, ich trete in den Prozess ein, um etwas beizutragen, aber auch, um etwas zu empfangen. Von jedem, der spricht, kann ich etwas lernen, und jeder, der spricht, kann mich vielleicht sogar zu einer inneren Bekehrung herausfordern.
Frage: Das war ja auch der Ansatz der kommunikativen Methode der Synode, das "Gespräch im Geist". Hat die sich bewährt? Sie wurde von vielen ganz ausdrücklich gelobt.
Berentzen: Das würde ich schon sagen. Die Stärke des Gespräches im Geiste ist nicht nur die klare Struktur, dass alle zu Wort kommen, dass das Sprechen auch stark angeleitet ist mit dem Fokus auf Gemeinsamkeiten und auch auf Dissens, sondern das Element der Stille als Unterbrechung. Ich höre etwas, habe einen Impuls und spreche diesen als Antwort aus. Die Stille bedeutet eben genau, diesen gewohnten Ablauf zu unterbrechen und dem Gesprochenen die Chance zu geben, etwas in mir zu verändern. Das bedeutet im Letzten auch Umkehrbereitschaft. Das Schlussdokument hält aber fest, dass dieses "Gespräch im Heiligen Geist" eine von verschiedenen Methoden ist, diese Bedeutungsebene von Synodalität in ein konkretes Miteinander zu übersetzen.
Frage: Für viele hängen die Synodenbeschlüsse etwas in der Luft, weil Papst Franziskus auf ein nachsynodales Schreiben verzichtet. Es gibt Stimmen, die deshalb die gesamte Synode relativieren wollen. Wie sehen Sie das?
Berentzen: Das Gegenteil ist der Fall! Papst Franziskus war bei den Beratungen aufmerksam dabei und hat sich selbst beteiligt. Er hat verstanden, dass das Schlussdokument wirklich abbildet, dass um einen gemeinsamen Konsens gerungen wurde. Und deswegen gibt es für ihn keinen Grund, noch einmal einen persönlichen Unterscheidungsprozess vorzunehmen, der in der Arbeitsweise das Vatikan auch bedeutet, dass die Dikasterien beteiligt sind. Ich bin deshalb der Meinung, dass dieser Verzicht auf ein nachsynodales Schreiben ein starkes Zeichen für die Stärkung von Synodalität ist – und vielleicht auch ein Modell zur Entscheidungsfindung in Kirche. Denn diese Entscheidung des Papstes macht deutlich, wie nah der Prozess der Unterscheidung und derjenige der Entscheidung beieinander liegen können.
Frage: Welche Rolle spielen Ihre Erfahrungen bei der Synode genau für Ihre Fragestellung bei der Doktorarbeit?
Berentzen: Ich mache keine empirische Arbeit. Aber die Erfahrungen geben mir einen realistischen Horizont, wenn ich über synodale Theologie oder konkret über Repräsentanz nachdenke. Die Syondalversammlung hat sich durchgerungen zu einer klaren Präferenz für mehr Partizipation und damit auch breiterer Repräsentation. Vor dem Hintergrund dessen, was sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt hat an Rezeption und eben Nichtrezeption, kann man das als eine sehr selbstkritische Sicht auf die nachkonziliare Zeit deuten. Die Synode knüpfte sehr stark an die Ekklesiologie des Konzils an, die mit dem Volk-Gottes-Begriff die gemeinsame Würde und Verantwortung aller in den Vordergrund stellt. Sie geht aus meiner Sicht sogar noch darüber hinaus, weil sie als Konsequenz daraus nochmal stärker die Partizipation von Nicht-Geweihten an kirchlichen Entscheidungs- und Unterscheidungsprozessen sieht. Gleichzeitig ruft das Schlussdokument zu Experimenten in den Ortskirchen auf. Genau diese verschiedenen Übersetzungen von synodalen Ideen in die Praxis werden wichtig sein. Das gibt mir dann hoffentlich einen klareren Rahmen einzuschätzen, was tatsächlich relevant, was realistisch ist, aber auch, was manchmal theologisch etwas überhöht wird.
Frage: Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
Berentzen: Während des gesamten synodalen Prozesses ist immer wieder betont worden, dass im Vorfeld das ganze Volk Gottes befragt wurde. Was genau bedeutet das? Ganz offensichtlich ist das keine faktische Aussage. An den Umfragen zur Synode hat nur ein kleiner Prozentsatz der Gläubigen teilgenommen und die Eingaben wurden aus praktischen Gründen an mehreren Stellen gefiltert. Am Ende des Prozesses besteht aber die Gefahr, dass Entscheidungen damit legitimiert werden, dass alle beteiligt waren, auch wenn einzelne Personengruppen ihre Einstellungen gar nicht erst vertreten sahen. Hier braucht es nicht nur transparentere Wege, sondern auch theologische Klärungen, wann und aus welchen Gründen sich Entscheidungsträger auf das Volk Gottes berufen können.
Frage: Sie haben bereits gerade davon gesprochen, dass das Abschlusspapier der Synode zu synodalen Experimenten auffordert. Mit dem Synodalen Weg, jetzt dem Synodalen Ausschuss, gibt es ein solches Experiment in Deutschland bereits. Wegen ihm gab es einen großen Konflikt mit dem Vatikan: nicht nur wegen der Themen, sondern auch wegen des Ansatzes bei der Entscheidungsfindung. Wie sehen Sie das jetzt nach der Weltsynode: Kann sich dieser Konflikt von selbst entschärfen?
Berentzen: Ich gehe gestärkt und motiviert in die nächste Sitzung des Synodalen Ausschusses im Dezember. Ich meine, wir haben von der Synode einen Auftrag bekommen, den Weg fortzusetzen, als Ortskirche in Deutschland besser zu verstehen, wie auf der nationalen Ebene Synodalität stärker etabliert und mit mehr Leben gefüllt werden kann. Genau dafür ist der Ausschuss da. Gleichzeitig sehe ich mich und den Synodalen Ausschuss auch durch die Synode und das Schlussdokument herausgefordert, uns über die Etablierung von synodalen Strukturen hinaus zu hinterfragen: Was bedeutet es für uns, dass Synodalität von der Synode zuerst als Haltung beschrieben wird? Da müssen wir unsere Arbeit im Ausschuss miteinander selbstkritisch hinterfragen – und sicher auch das synodale Gremium, das der Ausschuss vorbereiten soll. Aber auf diese Auseinandersetzungen freue ich mich.
Frage: Sie sprechen gerade Selbstkritik an. Es wurde von einigen Teilnehmern des Synodalen Wegs moniert, dass es bei den Vollversammlungen in Frankfurt sehr konfrontativ zuging und die Debatten dort nichts mit dem zu tun hatten, was bei der Synode in Rom passiert ist. Diese Meinung äußerten jüngst erneut die vier Bischöfe, die nicht am Synodalen Ausschuss teilnehmen. War die Synode in Rom synodaler als der Synodale Weg in Deutschland?
Berentzen: Das synodale Miteinander war jeweils anders, auch anders akzentuiert. Mir würde es allerdings schwerfallen, in dem einen oder in dem anderen Prozess ein besseres synodales Miteinander auszumachen. Vielleicht würde ich aus heutiger Sicht in meiner Rolle als Moderator eher eingreifen, wenn Debatten in ihrer Hitzigkeit an Sachlichkeit verlieren. Das ist bei der Weltsynode schon besser gelungen. Trotzdem gehört zum synodalen Miteinander auch die Parrhesia, die freie Rede. Die gab es zwar auch in Rom, sie hatte aber in Frankfurt einen größeren Platz. Papst Franziskus hat, das ist meine Einschätzung, bei der Synode viel Wert auf ein harmonisches Miteinander gelegt. Das kann ich auch gut verstehen: Der Papst sieht die Polarisierung in der Kirche und hat gesagt, was wir auf weltkirchlicher Ebene brauchen, ist eine Erfahrung von Einheit. In Deutschland haben wir wegen des Auslösers des Synodalen Wegs – der Missbrauchskrise – vielleicht eher die Konfrontation gebraucht. Ich finde beides wichtig und beides will gekonnt sein. Wie bei der Synode in Rom auf Einwände der Synodalen reagiert wurde, so ist auch der Synodale Ausschuss ein Lernweg. Da ist jede Perspektive wichtig. Das Festhalten der vier Diözesanbischöfe an ihrem Fernbleiben trotz des starken weltkirchlichen Impulses bedaure ich daher sehr.
Frage: Zum Schluss noch ein Ausblick auf künftige Synoden, besonders hinsichtlich der Frage der Repräsentation. Bei der Weltsynode gab es das Novum, dass auch Laien mit Stimmrecht ausgestattet wurden und nicht nur Bischöfe. Kann man bei künftigen Synoden dahinter zurück?
Berentzen: Ich glaube, in naher Zukunft kann man dahinter nicht mehr zurück. Gleichzeitig bin ich vorsichtig, weil es in kulturellen Entwicklungen immer wieder Pendelschläge geben kann. Eine langfristige Etablierung von mehr Beteiligung wird kein Selbstläufer sein. Meine Vermutung ist aber, dass die nächsten Synoden in ähnlicher Weise stattfinden werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass es bei ihnen sogar noch ein stärkeres Bemühen darum geben wird, die verschiedenen Wirklichkeiten der Kirche abzubilden. Man merkt, dass Papst Franziskus die Synode wirklich als ein Ausdruck des Volkes Gottes versteht und sie als ein Unterscheidungs- und Beratungsgremium etablieren möchte. Spannend wird die Frage der Repräsentation mit Blick auf ein mögliches Konzil. Dogmatisch und kirchenrechtlich reicht es aus, zu sagen, dass das ganze Volk Gottes repräsentiert ist, wenn alle Bischöfe versammelt sind. Doch es ist eine theologisch ernstzunehmende Frage, was es bedeutet, wenn große Teile des Volkes Gottes das nicht für ausreichend hält. Und auch die Änderung bei der Synode durch Franziskus zeigt, dass in dieser Frage etwas Bewegung ist.