Kirche außerhalb der Komfortzone: Die Ära der Synodalität hat begonnen
Das vergangene Wochenende trägt das Potential in sich, in die Kirchengeschichte einzugehen: Mit dem Abschluss der zweiten Sitzungsperiode der Weltsynode ist auch der 2021 von Papst Franziskus ins Leben gerufene weltweite synodale Prozess zu Ende gegangen. Und damit soll nach dem Willen von Franziskus eine neue Ära in der Kirche beginnen: das Zeitalter der Synodalität. "Setzen wir also getrost unseren Weg gemeinsam fort", sagte das Kirchenoberhaupt beim Abschlussgottesdienst am Sonntag im Petersdom. "Legen wir den Umhang der Verzagtheit ab, vertrauen wir unsere Blindheit dem Herrn an, stehen wir auf und tragen wir die Freude des Evangeliums durch die Straßen der Welt." Damit machte Franziskus erneut klar, dass Synodalität für ihn kein Selbstzweck ist, sondern der Mission der Kirche dienen muss. Eine Aktualisierung der internen kirchlichen Verhältnisse also, um nach außen hin die Frohe Botschaft zu verkünden. Denn nur wer die eigenen Belange klar geregelt hat, kann seine Kräfte bündeln, um in die Welt hineinzuwirken und dort ernstgenommen zu werden.
Für die Kirche bedeutet die Implementierung von Synodalität vor allem eine Modernisierung in zwei Punkten, wie die Synode in ihrem Abschlussdokument herausgearbeitet hat: die größere Partizipation des gesamten Volkes Gottes an den Entscheidungen in der Kirche und eine grundlegende Dezentralisierung. Das ist die Reaktion auf klerikalistische Strukturen und eine zentralistische Grundstruktur, wie es sie derzeit in der Kirche gibt. Beides hat sich überlebt und soll nach päpstlichem Geheiß der Vergangenheit angehören. Mit seiner Forderung nach einer umfassenden Synodalität hat Franziskus gleichsam die "Verfassungsfrage" für die Kirche gestellt, sagte der theologische Synodenberater Thomas Söding im Interview mit katholisch.de. Ein Davor und Danach markiert die Weltsynode deshalb, weil sie den Wunsch nach diesen tiefgreifenden Veränderungen für die Kirche ein für alle Mal auf den Tisch gebracht hat. Es gibt kein Zurück mehr hinter Synodalität. Auch wenn die rechtliche Bindung für die Bischöfe immer noch nicht besonders groß ist, die Gläubigen bei Entscheidungen einzubeziehen – die moralische Verpflichtung ist es umso mehr.
Wie das konkret ausgestaltet wird, bleibt aber im Dunkeln. Der Papst gibt seiner Kirche nach dem Trainingscamp des synodalen Prozesses vorerst keine klaren Regeln für das nun folgende Abenteuer einer von Synodalität geprägten Kirche mit auf den Weg. Es gibt lediglich eine "Roadmap", eine vage Anleitung, für die nun kommenden Jahre der synodalen Erprobung, wie es der Bischofskonferenz-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing nach dem Ende der Synode formulierte. "Jetzt geht es darum, die Roadmap mit Leben zu füllen." Und genau das wird die Schwierigkeit für die synodale Zukunft der Kirche sein. Nicht, dass die Synode nicht genug Ideen bereitgestellt hätte, wo es langgehen könnte: mehr Verantwortung für Frauen in der Kirche, eine Rechenschaftspflicht für Bischöfe oder die Einrichtung von neuartigen Kirchenversammlungen. Doch was bedeutet das alles? Franziskus hat es wohl bewusst offengelassen, als er das Abschlussdokument unmittelbar nach der Verabschiedung durch die Weltsynode angenommen hat.
Die Klarheit, mit der Rom vor Franziskus gesprochen hat und die Katholiken jahrhundertelang gewohnt waren, sie fehlt. Das führt dazu, dass Interpretationen von Synodalität in viele Richtungen möglich sind: Auf der einen Seite fühlen sich die Vertreter des Synodalen Wegs in Deutschland durch die Weltsynode gestärkt. Auf der anderen Seite betonte etwa der Passauer Oberhirte Stefan Oster, dass Bischöfe und Priester weiterhin die Entscheidungsgewalt in der Kirche behalten. Es melden sich auch kritische Stimmen zu Wort, die einen "Dirigenten" für das Orchester der Kirche zurückhaben wollen. Was eine synodale Kirche im Konkreten bedeutet und wie sie sich in Europa, Asien oder Afrika unterscheidet – diese und viele weitere Fragen werden in den kommenden Jahren beantwortet werden müssen. Vor dieser Aufgabe können sich die Ortskirchen nach der Zäsur des synodalen Prozesses jetzt nicht mehr drücken.
Das bedeutet in letzter Konsequenz wohl auch, dass es unbequem in der Kirche werden wird – und das gilt für alle kirchenpolitischen und theologischen Lager und Richtungen. Konservative Katholiken können sich nun nicht mehr hinter dem Lehramt verstecken und fordern, dass alles so bleiben muss, wie es war. Und die Reformkräfte wurden durch die Synode zwar gestärkt, doch wohl nicht so, wie sie es sich gewünscht haben. Nicht umsonst hat Franziskus keine eindeutigen Beschlüsse in einem nachsynodalen Schreiben erlassen und hält sich beim Thema Frauenweihe zurück. Wer nach der Synode enttäuscht ist, weil beispielsweise der Diakonat der Frau (noch) nicht kommen wird, dem wäre auch Blauäugigkeit vorzuwerfen. Denn der Wunsch nach handfesten und weitreichenden Reformen, wie etwa der Zulassung von Diakoninnen, ist in einigen Ortskirchen zwar sehr groß und Jahrzehnte alt. Doch auf weltkirchlicher Ebene deutet kaum etwas auf deren Umsetzung in naher Zukunft hin.
Die Eindeutigkeit der Gestalt der katholischen Kirche ist verloren gegangen – und das ist auch gut so. Denn nun müssen sich Gläubige, Priester und Bischöfe grundlegend mit sich und der Kirche auseinandersetzen. Dabei sind sie aufgefordert, eine neue Gestalt von Kirche zu suchen, die in der Gegenwart Zeugnis für den Glauben an Christus geben kann. Wobei bestimmte rote Linien klar sind: Die katholische Kirche bleibt eine Kirche, in der Papst und Bischöfe eine Leitungsvollmacht haben. Doch was das konkret heißt, kann sich durchaus im Lauf der Geschichte weiterentwickeln. Das zeigt etwa der Blick auf das Konzept der Monarchie: Heute sind Könige in aller Regel keine absoluten Herrscher mehr, sondern an Gesetze gebundene Staatsoberhäupter in parlamentarischen Demokratien.
Um eine für die Gegenwart angemessene Gestalt der Kirche zu finden, müssen sich Laien und Kleriker aus ihrer Komfortzone herausbegeben: Im Sinne von Katholizität als großer Weite verstanden, wird Kirche in verschiedenen Kontexten oder in unterschiedlichen Ländern jeweils anders aussehen. Dass das zu Spannungen führen wird, liegt auf der Hand. Damit Kirche nicht daran zerbricht, wurde bei der Synode durch die Methode der spirituellen Konversation eingeübt, auf das Gegenüber zu hören, Gegensätze auszuhalten und den Konsens zu suchen. Diese Art der Verständigung empfiehlt auch das Abschlussdokument. Ob das außerhalb der Laborbedingungen der Weltsynode auch so gut funktionieren wird, bleibt fraglich. Jede Ortskirche hat es nun selbst in der Hand, die Ära der Synodalität zu gestalten.
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